Durchfall durch Frischkost – oder doch nicht?

Durchfall durch Frischkost – oder doch nicht?

Sehr viele Vogelhalter haben schon einmal irgendwo gehört oder gelesen, dass der Verzehr von Frischkost wie Obst, Gemüse oder Kräuter bei Vögeln Durchfall verursacht. Sogar manche Tierärzte sind davon überzeugt und raten Vogelhaltern deshalb davon ab, den Tieren täglich Frischkost zu reichen, und wenn, dann stets nur kleine Mengen, damit der Durchfall nicht so heftig wird. Wer diesen Rat befolgt, geht in aller Regel davon aus, das Beste für seine Tiere zu tun. Doch leider stimmt das nicht. Es handelt sich bei der Annahme, der Verzehr von Frischkost führe bei Vögeln grundsätzlich zu Durchfall, in Wahrheit um einen sehr hartnäckigen populären Ernährungsirrtum. Tatsächlich ist Frischkost gesund und gesunde Tiere ohne Unverträglichkeiten gegen bestimmte Nahrungsmittel bekommen normalerweise keinen Durchfall, wenn sie Frischkost fressen. Das gilt auch dann nicht, wenn sie größere Mengen der frischen Lebensmittel zu sich nehmen. Doch woher rührt der Irrglaube?

Missverständnis als Ursprung der vermeintlichen „Wahrheit“

Weshalb so viele Vogelhalter davon überzeugt sind, dass das Fressen von Frischkost bei ihren Tieren Durchfall hervorruft, lässt sich leicht erklären. Das „tägliche Brot“ vieler Heimvögel ist eine Mischung aus Körnern und Saaten. Dieses Körnerfutter enthält wenig Wasser, Frischkost hingegen steckt voller Flüssigkeit. Verzehren Vögel Frischkost, was für ihren Vitamin- und Nährstoffhaushalt ideal ist, nehmen sie mehr Flüssigkeit mit diesem Futter auf, als wenn sie sich ausschließlich von Körnerfutter ernähren würden. Diese größere Flüssigkeitsmenge ist nicht gefährlich für sie. Sie wird vom Körper verdaut und spült dabei die Nieren durch.

Die Flüssigkeit kann nicht anderweitig als über die hintere Körperöffnung ausgeschieden werden, weil Vögel nicht schwitzen können. Das Wasser verlässt den Vogelkörper deshalb in Form von Urin. Dieser wird meist gemeinsam mit dem Kot durch die Kloake – so heißt die Ausscheidungsöffnung der Vögel – vom Körper abgegeben. Bei ausschließlicher Fütterung mit Körnern und Saaten ist der Urinanteil in den Kotballen zum Beispiel bei Wellensittichen fest und weiß, der dunkle Kotanteil ist ebenfalls fest. Der eigentliche Kot kann nach dem Verzehr von Frischkost ein Mehr an Flüssigkeit nicht binden. Die Kotballen verlassen den Vogelkörper deshalb nach dem Frischkostverzehr in recht flüssiger Form. Zuweilen scheiden die Vögel nach dem Genuss stark flüssigkeitshaltiger Frischkost vorübergehend sogar reine Urintropfen ohne Kotanteil aus. Dieses Phänomen ist ganz natürlich und keineswegs ein Anzeichen für eine Erkrankung, sofern der flüssige Kot nur vorübergehend auftritt.

Bei uns Menschen gibt es etwas Ähnliches: Nachdem wir zum Beispiel eine große Portion Wassermelone oder Tomatensalat gegessen haben, müssen wir einige Zeit später häufiger Wasser lassen, als wenn wir eine trockene Mahlzeit zu uns genommen hätten. Bei den genannten Lebensmitteln handelt es sich um solche mit einem hohen Flüssigkeitsgehalt. In unserem Körper wird diese Flüssigkeit zu Urin verarbeitet. Anders als die Vögel haben wir Menschen jedoch zwei Ausscheidungsöffnungen und der Urin verlässt den Körper über die Blase und die Harnröhre. Kaum jemand würde davon ausgehen, unter einer Krankheit zu leiden, weil nach dem Verzehr flüssigkeitshaltiger Nahrung vorübergehend ein vermehrter Harndrang besteht.

Entsprechend sollte bei Vögeln ebenfalls nicht gleich vom Schlimmsten ausgegangen werden, wenn sie nach dem Verzehr von Frischkost vermehrt Urin absetzen. Doch leider verwechseln viele besorgte Vogelhalter und sogar etliche nicht auf die Behandlung von Vögeln spezialisierte Tierärzte eine zeitweise auftretende vermehrte Urinausscheidung mit echtem Durchfall. Auf diesem Missverständnis basiert das nur schwer aus den Köpfen der Menschen zu vertreibende Gerücht, der Genuss von Frischkost würde die Vögel krank machen und zu Durchfall führen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn Frischkost ist trotz ihres hohen Flüssigkeitsanteils ausgesprochen gut für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Vögel, weil Gemüse, Obst und Co. reich an wichtigen Nährstoffen sind.

Spezialfall rote Frischkost

Wer seinen Vögeln frische Futtermittel reicht, die einerseits viel Flüssigkeit enthalten und in denen andererseits natürliche rote Farbstoffe stecken, der kann einige Zeit nach dem Verzehr ein typisches Phänomen beobachten: Die Kothäufchen der Vögel sind breiig bis sehr flüssig und dabei mehr oder minder kräftig rot gefärbt. Dieser Anblick hat schon viele Menschen in Panik geraten lassen. Oft wird dann vermutet, es handele sich um blutigen Durchfall. Zeigen die Vögel keinerlei Symptome wie erhöhtes Ruhebedürfnis, aufgeplustertes Gefieder, kalte Füße, Zittern oder typische Anzeichen von Schmerzen, besteht in aller Regel jedoch kein Grund zur Sorge. Vielmehr hat die flüssigkeitshaltige rote Frischkost recht schnell den Verdauungstrakt passiert und wurde ausgeschieden – und mit ihr ein Teil der roten Farbstoffe.

Lebensmittel, bei denen dies häufig geschieht, sind unter anderem rote Paprika, Tomaten und Granatapfel. Nach dem Verzehr von Karotten verfärbt sich der Kot vorübergehend orange, ist aber nicht allzu flüssig, da Möhren nicht so viel Wasser enthalten wie die „roten“ Lebensmittel.

Wann besteht echter Grund zur Sorge?

Beobachten Sie bei Ihren Vögeln verflüssigten Kot, ohne dass die Tiere zuvor Frischkost zu sich genommen haben, könnte tatsächlich eine Erkrankung vorliegen. Auch dann, wenn der Flüssigkeitsanteil im Kot einige Zeit nach dem Genuss von Frischkost noch immer deutlich erhöht ist und die Tiere gleichzeitig erschöpft wirken, sollten Sie Ihre Vögel genau im Auge behalten.  Ein weiteres Alarmsignal ist mit Kot verschmiertes oder feuchtes Gefieder im Kloakenbereich.

Betrachten Sie die Ausscheidungen ganz genau und versuchen Sie herauszufinden, ob nur der Urinanteil erhöht ist oder ob der Kotanteil verflüssigt ist. Letzteres würde für echten Durchfall sprechen, ersteres könnte auf eine Nierenerkrankung zurückzuführen sein.