Erfahrungsbericht über blinde Agaporniden

Text und Bilder von Petra Gavras, Mai 2007

1. und 2. Woche

Der Unzertrennliche Oraio hatte eine Linseneintrübung
Der Unzertrennliche Oraio hatte eine Linseneintrübung

Im März 2007 lasen die neuen Halter von Oraio eine Anzeige im Internet, wonach im Tierheim ein Rosenköpfchen mit Behinderung abzugeben wäre. Angegeben wurde, dass das Tier eine „Kopf-Drehbewegung“ macht, nicht fliegen kann und sich nur am Käfigboden aufhält. Sie holten den Vogel im Tierheim ab und erfuhren nur noch, dass er „gefunden wurde“ und im Tierheim mindestens drei Monate verbracht hatte.

Die neuen Halter gingen zunächst davon aus, dass es sich bei der Drehbewegung möglicherweise um ein Symptom einer Nervenentzündung handeln könne, die in der Regel heilbar ist. Im Haushalt der Halter leben bereits zwei Rosenköpfchen, sodass der Vogel in Gesellschaft von Artgenossen leben kann.

Lebensfroh trotz Blindheit – der kleine Oraio
Lebensfroh trotz Blindheit – der kleine Oraio

Zu Hause angekommen, war das Entsetzen über den Zustand des Vogels zunächst groß. Er fiel von der Stange, seine Kopfbewegungen waren extrem schlimm. Es wurde festgestellt, dass ein Schleier auf den Augen des Tieres ist und es mindestens auf einem Auge nichts sehen kann. Es wurde sofort ein vogelkundiger Tierarzt aufgesucht. Dort wurde festgestellt, dass der Vogel auf dem rechten Auge zu 100 % und auf dem linken Auge zu ca. 80 % blind ist.

Eine ältere Verletzung am linken Flügel lag vor, die schon verwachsen war. Aufgrund der Tatsache, dass der Vogel bereits 15 Jahre alt war, sahen sowohl Tierarzt als auch Halter von einer Operation des Flügels ab, zumal der Vogel auch offenkundig schmerzfrei war. Sein Zustand war leicht bis mittel geschwächt. Er wurde mit hochwertigen Vitaminen und pflanzlichen Präparaten behandelt.

Es war klar erkennbar, dass die Kopf-Drehbewegungen dem Tier zur Orientierung dienten. Schließen Sie die Augen und bewegen Sie sich vorwärts, Sie werden Ihre Hände zur Hilfe nehmen – der Vogel nutzt hierzu seine Kopfdrehbewegung.

Bereits nach wenigen Tagen zeigte sich ein deutliche Verbesserung: die Kopf-Drehbewegungen im Käfig ließen nach (also kannte er sein Gebiet), seine Gefiederfarben „lebten“ auf und langsam und allmählich zeigte sich der Charakter eines Agaporniden wieder. Der Vogel erhielt den Namen „Oraio“ (griech. Schöner).

Oraio und zwei seiner Artgenossen am Körbchen mit den Leckerchen
Oraio und zwei seiner Artgenossen am Körbchen mit den Leckerchen

Schon nach der ersten Woche wurde deutlich, dass Oraios Lebenswille uneingeschränkt vorhanden ist. Bereits nach wenigen Tagen fand er sich ohne Probleme in seinem Käfig zurecht, und zwar ohne die auffälligen Kopfbewegungen. Er reagierte aufmerksam auf die Ansprache seiner Halter, erwiderte Pfiffe und unterhielt sich ständig mit den beiden bereits vorhandenen Rosenköpfchen.

Natürlich sollte der blinde Oraio nicht den ganzen Tag in seinem Käfig verbringen, daher wurde ein Brotkörbchen „geopfert“, welches sein neues Transportmittel wurde. Von seinem Körbchen aus erkundete Oraio seine nähere Umgebung.

Nach und nach kam immer mehr das eigentliche, pfiffige Verhalten eines Rosenköpfchens wieder zum Vorschein, Oraio blühte sichtlich auf!

Heute

Oraio lebt nunmehr seit drei Monaten bei uns und ist unser Sonnenschein. Wir haben einen DNA-Test machen lassen, wonach er ein Hahn ist.

Streicheleinheiten für den blinden Oraio
Streicheleinheiten für den blinden Oraio

Oraio kommt von selbst auf die Hand oder den Finger, krabbelt auf die Schulter, lässt sich gerne im Brotkörbchen mitnehmen, kuschelt gerne in der Halsbeuge, lässt sich am liebsten stundenlang kraulen und freut sich über jeden neuen angebrochenen Tag! Wir haben manchmal den Eindruck, als ob er jeden Tag jünger werden würde. 🙂

Seine Kopf-Drehbewegungen sind verschwunden und tauchen nur dann auf, wenn er an einem ihm unbekannten Ort ist (beispielsweise das erste Mal in einem Zimmer). Da alle anderen Sinne nicht eingeschränkt sind, weiß Oraio genau, wo er sich befindet und auch mit seiner schwachen Sehfähigkeit findet er sich überall zurecht. Alles neu Erlernte bleibt in seinem Gedächtnis erhalten und er profitiert beispielsweise am Folgetag schon davon (zum Verständnis: er hat einmal das Sofa erkundet, seitdem weiß er genau, wenn das Brotkörbchen auf dem Sofa steht und marschiert los, und zwar ohne herunter zu fallen).

Oraio ist heute genau so pfiffig und frech wir seine Artgenossen, die bei uns leben, er ist eben nur in seiner Mobilität eingeschränkt, die er von uns erhält.

Wir als neue Halter können Ihnen gar nicht beschreiben, wie viel Freude wir täglich mit unserem kleinen Sonnenschein haben. Wir haben unser Entscheidung, Oraio bei uns aufzunehmen nie bereut und würden es jederzeit wieder tun.

Ihnen, lieber Leser, können wir versichern, dass auch ein gehandicaptes Tier noch eine sehr gute Lebensqualität haben kann und möchten Sie bitten, an einem solchen Tier nicht einfach vorbei zu gehen.

Der blinde Oraio nach dem Baden
Der blinde Oraio nach dem Baden
Wer nichts sieht, hört umso aufmerksamer zu
Wer nichts sieht, hört umso aufmerksamer zu
Buchtipp
Cover des Buches 'Vogelhaltung mit Handicap'Weil mir, der Betreiberin von Birds-online.de, gehandicapte Vögel so sehr am Herzen liegen, habe ich gemeinsam mit der erfahrenen Vogelhalterin Sigrid März ein Buch geschrieben. Darin werden die häufigsten Handicaps vorgestellt, Herausforderungen im Alltag beschrieben und natürlich Lösungen aufgezeigt. Von Amputationen über Blindheit bis hin zu altersbedingten Einschränkungen wie Arthrose reicht die Themenpalette. Ergänzend gibt es ein paar Einrichtungstipps, um gehandicapten Vögeln ein angenehmes und sicheres Umfeld bieten zu können. Wir haben den Inhalt bewusst so gestaltet, dass er sich nicht nur um kleine Sittiche dreht. Kanarienvögel, Täubchen und größere Vogelarten wie Graupapageien und Co. wurden von uns gleichermaßen mit einbezogen.

Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags