Offene Worte vorweg

In einer Messiewohnung geboren, wurde diesem Wellensittich schon im Nest der linke Flügel von einer Ratte abgebissen, sodass er zeitlebens flugunfähig war.
In einer Messiewohnung geboren, wurde diesem Wellensittich schon im Nest der linke Flügel von einer Ratte abgebissen, sodass er zeitlebens flugunfähig war.

Im Rahmen der Haltung und Pflege behinderter Vögel gilt es, einige grundlegende Dinge zu beachten. Man sollte nicht glauben, diese Art der Vogelhaltung sei immer einfach und angenehm. Oft erlebt man Tage, die vor allem von Kummer und Sorgen geprägt sind. Auch ist es sicher keine gute Idee, sich einen behinderten Vogel ins Haus zu holen, wenn man zuvor nur wenig Erfahrung mit der Haltung der jeweiligen Tierart hat sammeln können. Wer körperlich behinderte oder chronisch kranke Vögel pflegt, sollte idealerweise im Vorfeld die Eigenarten gesunder Individuen derselben Art kennengelernt haben.

Behinderte Vögel stellen an ihren Halter in unterschiedlicher Hinsicht teils sehr hohe Ansprüche. Die wichtigsten Aspekte finden Sie in der Auflistung in diesem Kapitel. Ich möchte Ihnen damit einige Denkanstöße liefern, die Ihnen hoffentlich bei Ihrer schwierigen Entscheidung helfen, ob Sie der Aufgabe gewachsen sind oder nicht. Die hier gegebenen Informationen sollen nicht als Abschreckung dienen, sondern vielmehr die ungeschönte Wahrheit darüber vermitteln, wie sich der Alltag mit behinderten Vögeln darstellen kann.

Die Vögel benötigen Platz

Nahezu alle Arten von Behinderungen bei Vögeln haben eines gemeinsam: Man muss die betroffenen Tiere in den meisten Fällen in einem separaten Käfig unterbringen und sie zum Beispiel nachts von ihren gesunden Artgenossen trennen. Bei einer Volierenhaltung bestehen in aller Regel zu viele Unfallrisiken, sodass man den Platz für einen weiteren Käfig, der das neue Heim eines behinderten Vogels ist, unbedingt zur Verfügung haben sollte. Es ist normalerweise keine gute Idee, einen Behindertenkäfig auf den Boden einer bereits vorhandenen Zimmervoliere zu stellen, da sich der im separaten Käfig wohnende Vogel dort sehr wahrscheinlich nicht wohl fühlen würde. Überdies würde es von oben den Kot der Artgenossen regnen, was aus hygienischer Sicht abzulehnen ist.

Besonders schön wäre es für den behinderten Pflegling, wenn er nicht allein wäre, während er vom restlichen Schwarm separiert ist. Pflegt man beispielsweise einen flugunfähigen Vogel, wäre es sinnvoll, einen ebenfalls flugunfähigen Artgenossen oder einen sehr ruhigen anderen Vogel beziehungsweise einen liebevollen festen Partner als Gesellschaft in den Behindertenkäfig einziehen zu lassen.

Vor allem gehandicapte Vögel, die nicht gut fliegen können, laufen oft über den Boden, was eine große Unfallgefahr mit sich bringt.
Vor allem gehandicapte Vögel, die nicht gut fliegen können, laufen oft über den Boden, was eine große Unfallgefahr mit sich bringt.

Für flugunfähige Vögel sollte man Kletterbäume und Spielplätze auf dem Boden des Freiflugzimmers aufstellen, damit die Tiere wenigstens nach Herzenslust klettern können, wenn ihnen schon das Fliegen nicht (mehr) möglich ist. Solche Kletterbäume und andere Sitzgelegenheiten für behinderte Vögel nehmen ebenfalls Platz in Anspruch, was Sie unbedingt in die Planung Ihrer Zimmerbelegung mit einbeziehen sollten.

Am besten wäre es, die Vögel in einem separaten Zimmer unterzubringen, denn vor allem flugunfähige Vögel halten sich vergleichsweise oft am Boden auf. Das bringt die Gefahr mit sich, dass man bei einer kleinen Unachtsamkeit versehentlich auf die Tiere treten könnte – mit in fast jedem Fall tödlichen Folgen für den Vogel. Insbesondere wenn kleine Kinder mit im Haushalt leben, sind flugunfähige Vögel, die gern über den Boden laufen, in Gefahr. Doch auch Erwachsene, die es eilig haben oder gerade abgelenkt sind, könnten auf einen Vogel treten. Oder aber das Tier sitzt hinter einer Tür, die mit Schwung geöffnet wird. Dies kann zu sehr schweren Verletzungen bei dem Vogel führen. Deshalb ist die Haltung gehandicapter Vögel immer damit verbunden, dass man sehr umsichtig ist und ständig aufpassen sollte, die Tiere nicht versehentlich zu verletzen. Übrigens gilt das zuvor Beschriebene auch für blinde Vögel, die sich mitunter auf den Boden oder hinter Türen setzen, ohne etwas von der Gefahr durch Menschen zu ahnen.

Der nötige Zeitaufwand

Vögel, die eine Behinderung aufweisen, müssen meist in speziellen Käfigen untergebracht werden, die – je nach vorliegendem Fall – eventuell schwierig zu reinigen sind. Für die Käfighygiene sowie für die unter Umständen nötige regelmäßige medizinische Versorgung eines gehandicapten und damit verbunden häufig chronisch kranken Vogels benötigt man zweifelsohne mehr Zeit als für die Pflege gesunder Tiere. Wie viel mehr Zeitaufwand in diesem Zusammenhang anzusetzen ist, variiert von Fall zu Fall. Deshalb ist hierzu keine pauschale Aussage möglich.

Leider zeigt die Erfahrung, dass viele behinderte Vögel erheblich öfter erkranken als ihre nicht gehandicapten Artgenossen. Daher muss man sich als Vogelhalter darüber im Klaren sein, dass man mit gehandicapten Vögeln im Durchschnitt deutlich mehr Zeit in Wartezimmern von Tierarztpraxen verbringt als mit gesunden Tieren.

Vergleichsweise hohe Unterhaltskosten

Man verbringt mit vielen gehandicapten Vögeln nicht nur mehr Zeit bei Tierärzten, sondern lässt dort auch mehr Geld, als wenn man ausschließlich nicht behinderte Vögel pflegt. Einerseits bedeuten häufige Tierarztbesuche entsprechend oft zu leistende Zahlungen. Andererseits benötigen manche Handicap-Vögel eine aufwendige tiermedizinische Versorgung wie Operationen oder Ähnliches, was recht kostspielig sein kann. Das Geld für die Tierarztbesuche sollte ein Halter gehandicapter Vögel unbedingt in seiner Haushalts- und Vogelhalterkasse parat haben, denn irgendwann wird es garantiert so weit sein, dass größere Ausgaben anfallen.

Die Rechnungen für Tierarztbesuche, Behandlungen und Medikamente sind es nicht allein, die die Unterhaltskosten für behinderte Vögel in die Höhe treiben. Oftmals sind die gehandicapten Tiere solche, die aus schlechter Haltung stammen. Wer sich für einen gehandicapten Vogel aus dem Tierschutz entscheidet, holt sich damit auch dessen Vorgeschichte ins Haus. Sehr häufig benötigen Vögel aus vormals schlechter Haltung eine bestimmte Ernährung inklusive dazugehöriger Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate oder Aminosäuren- und Mineralstoffpulver. Derlei Nahrungszusätze sowie eventuell erforderliche spezielle Futtermittel kosten selbstverständlich einiges an Geld, da es sich dabei um Spezialprodukte handelt, die zum Teil nur über Tierärzte oder bestimmte Online-Shops erhältlich sind.

Ständig gut ausgestattete Hausapotheke

Als Halter behinderter Vögel sollte man ganz besonders darauf achten, stets eine möglichst vollständig ausgestattete Hausapotheke für seine Tiere griffbereit zu haben. Natürlich sollte dies im Grunde auch für Halter nicht behinderter Tiere gelten. Aus meiner Erfahrung weiß ich jedoch, dass Vögel mit Handicap bedauerlicherweise öfter Unfälle erleiden als ihre gesunden Artgenossen. Was in einer gut sortierten Vogelhalter-Hausapotheke vorhanden sein sollte, können Sie hier nachlesen.

Urlaubsvertretung und Regelung für Abwesenheiten des Halters klären

Da die Pflege behinderter Vögel einiges an Erfahrung erfordert, sollte man mindestens eine Person so weit anlernen, dass dieser Helfer einspringen kann, wenn man in den Urlaub fahren möchte oder aus anderen Gründen die Pflege seiner Tiere vorübergehend nicht selbst übernehmen kann. Es wäre unverantwortlich, einen schwer behinderten Vogel einem unerfahrenen Pfleger zu überlassen, selbst wenn es nur für kurze Zeit wäre!

Niemals den Bezug zur Realität verlieren

Ein echter Grenzfall: Die Gewebeveränderung am Flügel dieses Wellensittichweibchens begann ständig zu bluten und verursachte Schmerzen – in einem Fall wie diesem muss eine schwierige Entscheidung zum Thema Einschläfern getroffen werden.
Ein echter Grenzfall: Die Gewebeveränderung am Flügel dieses Wellensittichweibchens begann ständig zu bluten und verursachte Schmerzen – in einem Fall wie diesem muss eine schwierige Entscheidung zum Thema Einschläfern getroffen werden.

Oft sind es vor allem die behinderten Vögel, die ihrem Halter besonders ans Herz wachsen. Man kümmert sich aufopferungsvoll um sie, baut dabei häufig unweigerlich eine innige Beziehung zu ihnen auf und erfreut sich an jedem noch so kleinen Erfolg, den die tapferen Tiere beim Meistern ihrer Situation erleben. Nur allzu leicht könnte man aufgrund der tiefen Zuneigung jedoch den Blick für das Wesentliche verlieren: Hat der Vogel überhaupt genügend Lebensqualität? Oder lebt er gar allein deshalb noch, weil man ihn als Halter einfach nicht gehen lassen will und zu große Angst vor dem Kummer nach seinem Tode hat?

Dies ist zweifelsohne einer der schwierigsten Aspekte hinsichtlich der Haltung behinderter Vögel. Als verantwortungsbewusster Halter muss man das Wohlergehen der Tiere immer an die erste Stelle setzen und seine eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Unter Umständen kann dies bedauerlicherweise bedeuten, dass man eine sehr schwere Entscheidung treffen und einen Vogel einschläfern lassen muss, weil das Tier kaum noch ein würdiges, erfülltes Leben führen kann.

Wichtig
Wer behinderte Vögel hält, muss stark genug sein, solche traurigen Zeiten durchstehen zu können, ohne daran zu zerbrechen. Letztlich ist es ein Zeichen der Liebe, einem gefiederten Familienmitglied unnötiges Leid zu ersparen, auch wenn es einem selbst zunächst das Herz zerreißt.

Mitleid allein reicht nicht!

Niemals sollte man sich einzig aus Mitleid einen behinderten Vogel ins Haus holen. Man sollte Vögel bedingungslos lieben, um dauerhaft mit einem gehandicapten Tier zurechtkommen zu können. Leider nutzt Mitleid oft nur allzu rasch ab, wenn erstmals hohe Tierarztrechnungen anfallen oder die umständliche Käfigreinigung lästig wird. Seien Sie sich stets dessen bewusst, dass die Pflege behinderter Vögel Ihnen nicht nur schöne Momente bescheren wird!

Buchtipp
Cover des Buches 'Vogelhaltung mit Handicap'Weil mir, der Betreiberin von Birds-online.de, gehandicapte Vögel so sehr am Herzen liegen, habe ich gemeinsam mit der erfahrenen Vogelhalterin Sigrid März ein Buch geschrieben. Darin werden die häufigsten Handicaps vorgestellt, Herausforderungen im Alltag beschrieben und natürlich Lösungen aufgezeigt. Von Amputationen über Blindheit bis hin zu altersbedingten Einschränkungen wie Arthrose reicht die Themenpalette. Ergänzend gibt es ein paar Einrichtungstipps, um gehandicapten Vögeln ein angenehmes und sicheres Umfeld bieten zu können. Wir haben den Inhalt bewusst so gestaltet, dass er sich nicht nur um kleine Sittiche dreht. Kanarienvögel, Täubchen und größere Vogelarten wie Graupapageien und Co. wurden von uns gleichermaßen mit einbezogen.

Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags