Der neue Vogel ist ängstlich und extrem ruhig

Hinweis: Die in diesem Beitrag beschriebenen Verhaltensweisen beziehen sich auf Wellensittiche. Auf andere Vogelarten sind die Angaben nicht in jedem Fall direkt übertragbar.
Manche Vögel sind durch den Umgebungswechsel so verstört, dass sie wie versteinert wirken und keinen Ton von sich geben.
Manche Vögel sind durch den Umgebungswechsel so verstört, dass sie wie versteinert wirken und keinen Ton von sich geben.

Die Entscheidung ist gefallen und ein neuer Wellensittich sollte einziehen, um zum Beispiel der neue Gefährte eines kurz zuvor verwitweten Artgenossen zu werden. Im Zooladen oder beim Züchter wurde der Wunschvogel genau in Augenschein genommen, er war ausgesprochen fröhlich und quicklebendig. Seit der Ankunft in seinem neuen Zuhause sitzt er jedoch nur noch mit eng angelegtem Gefieder wie versteinert auf der Stange seines Quarantänekäfigs. Seine Augen sind geweitet und er zittert vielleicht sogar ein wenig. Geräusche gibt er nicht von sich, und wenn man eine Bewegung in seiner unmittelbaren Nähe vollführt, flattert er vielleicht sogar panisch durch den Käfig. Was läuft hier falsch? Warum verhält sich das vor kurzem noch so lebensfrohe Tier einerseits derart ängstlich und schreckhaft sowie andererseits so extrem ruhig?

Um diesen Sachverhalt aufzuklären, ist es sinnvoll, einige Details aus dem Leben der wilden Wellensittiche zu kennen. Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass Wellensittiche in ihrer australischen Heimat Schwarmtiere sind. Das bedeutet, sie sind niemals allein. Ständig sind sie von hunderten oder gar tausenden Artgenossen umgeben. Weil Wellensittiche permanent miteinander in akustischem Kontakt stehen und ausgesprochen ruffreudige Vögel sind, hören die Tiere tagsüber in fast allen Lebenslagen die Lautäußerungen ihrer Artgenossen.

Verstummen alle Vögel, kann dies zwei Gründe haben: Entweder die Wellensittiche schlafen oder aber ein Fressfeind wie etwa ein Greifvogel nähert sich dem Schwarm. Sitzen sie gerade im Geäst eines Baumes, geben die Wellensittiche keine Geräusche von sich und verharren mit angespannter Körperhaltung, damit sie augenblicklich fliehen können, falls sich ihnen der Feind noch weiter nähert. Sie empfinden in dieser Situation Angst und sie sind hochkonzentriert.

Die angespannte Körperhaltung und das eng anliegende Gefieder dieses Wellensittichs signalisieren, dass er Angst hat.
Die angespannte Körperhaltung und das eng anliegende Gefieder dieses Wellensittichs signalisieren, dass er Angst hat.

Nun zurück zu dem Wellensittich, der in menschlicher Obhut lebt und soeben in seinem neuen Zuhause angekommen ist. In der Gesellschaft seiner Artgenossen und Geschwister war er beim Züchter oder im Zooladen noch munter und fröhlich. Er kannte die anderen Vögel gut, hatte sozusagen ein „soziales Umfeld“ mit entsprechenden Beziehungen und hörte auch ständig die Lautäußerungen der Gefährten. Dann aber wurde er jäh aus seinem vertrauten Sozialverband gerissen, in einer fremden Umgebung allein in einen unbekannten Käfig gesetzt und er hört seitdem nur eines: Stille. Oder allenfalls gedämpfte Rufe von Artgenossen aus einem weit entfernten anderen Raum. Je leiser er die anderen Vögel hört oder je intensiver die Stille ist, desto beängstigender ist die Situation für die meisten Wellensittiche.

Wie angewurzelt verharrt der neue Vogel auf seiner Stange, blickt ängstlich in der Gegend umher und ist innerlich extrem angespannt, weil er sich vor einem unsichtbaren Feind fürchtet. Diesen vermutet er instinktiv in der Nähe, denn er hört keinen Gesang seiner Artgenossen und sieht diese nicht einmal. Ihm bietet also auch kein Schwarm Schutz. Also bewegt er sich möglichst wenig und gibt keine Laute von sich, um ja keinen Angreifer auf sich aufmerksam zu machen. Dass Ihr Vogel ängstlich ist, können sie an seiner Körpersprache erkennen: Er sitzt aufrecht, hat das Gefieder sehr eng angelegt und seine Augen sind weit geöffnet, wobei der Blick starr wirkt. Mehr über die Körpersprache bei Angst können Sie hier nachlesen.

Gerät in einer solchen Situation ein für ihn fremder Mensch in sein Blickfeld und führt eine abrupte Bewegung aus, dann kann es geschehen, dass das verängstigte Tier panisch aufflattert, weil es nun einen Angriff eines Feindes befürchtet, der ihm nach dem Leben trachtet.

So können Sie einem verängstigen Vogel helfen

Gehen Sie so behutsam wie möglich mit neuen Vögeln um, damit die Eingewöhnung für die Tiere einfacher wird.
Gehen Sie so behutsam wie möglich mit neuen Vögeln um, damit die Eingewöhnung für die Tiere einfacher wird.

Der wohl wichtigste Punkt ist: Halten Sie bitte keine Einzelvögel! Wellensittiche sollten immer mindestens paarweise gehalten werden. Wenn Sie zwei neue Vögel gleichzeitig zu sich holen, dann können die Tiere einander in der ersten schweren Zeit gewissermaßen Trost spenden, denn sie vermissen sehr wahrscheinlich ihre gefiederten Freunde aus der Zoohandlung oder der Voliere beim Züchter. Und falls Sie schon Vögel halten und der neue Wellensittich von diesen räumlich getrennt ist (das ist wegen der Quarantäne wichtig), sollte er die anderen Vögel zumindest gut hören können. Die Lautäußerungen seiner Artgenossen geben ihm ein wenig das Gefühl von Sicherheit. Andere Hintergrundgeräusche wie leise melodische Musik können ebenfalls hilfreich sein, um die angespannten Nerven des Vogels zu beruhigen. Schalten Sie das Radio ein und wählen Sie einen Sender, der zum Beispiel Klassik spielt, denn diese Klänge beschwichtigen viele nervöse Vögel.

Bewegen Sie sich in der Nähe des gefiederten Neuzugangs langsam und auf keinen Fall ruckartig, um den Vogel nicht zu erschrecken. Tragen Sie nach Möglichkeit Kleidung in gedämpften Farben, auch das kann ein Erschrecken verhindern. Vor allem Rot wird von vielen Tieren als Warnfarbe wahrgenommen und verunsichert manche Vögel. Wenn Sie Ihren neuen Wellensittich beobachten möchten, dann schauen Sie ihn nicht direkt an. Betrachten Sie ihn stattdessen aus dem Augenwinkel mit abgewandtem Kopf, also seitlich. Das versetzt Vögel weniger in Angst als das direkte Anschauen. Der Grund hierfür ist einfach: Wir Menschen haben unsere Augen nebeneinander im Gesicht, was im Tierreich der Augenanordnung der Jäger entspricht. Bei den Beutetieren, zu denen auch Wellensittiche gehören, befinden sich die Augen hingegen seitlich am Kopf. Wird ein Wellensittich permanent von einem Wesen angeschaut, dessen Augen nebeneinander im Gesicht angeordnet sind, dann regt sich in ihm die Urangst, von einem Fressfeind mit Blicken fixiert zu werden. Erst wenn Wellensittiche mit „ihren“ Menschen vertraut sind, macht es ihnen keine Angst mehr, direkt angeschaut zu werden.

Greifen Sie nur in den Käfig Ihres neuen Vogels, wenn es unbedingt sein muss und fassen Sie das Tier nach Möglichkeit nicht an. Denn viele Vögel haben in der Eingewöhnungsphase noch große Angst vor der Hand. Wird diese in den Käfig gehalten, fühlt sich das Tier in seinem „sicheren Rückzugsraum“ in die Enge getrieben. Dies kann dazu führen, dass das Zähmen später umso schwieriger wird, weil sich der Vogel bedrängt fühlt.