Juan, der flugunfähige Riese

Juan im Porträt.
Juan im Porträt.

Als er am 26. Oktober 2014 das Licht der Welt erblickte, waren seine Lebensumstmarände von Beginn an nicht ganz leicht für Juan. In seinem damaligen Zuhause, wo er die ersten Monate seines Lebens verbrachte, hieß er zunächst Joey. Schon kurz nach dem Schlüpfen fiel seiner Halterin damals auf, dass etwas mit dem Winzling nicht stimmte. Er war das Nesthäkchen und mit einem Abstand von sechs Tagen aus dem Ei gekrochen. Doch seine Eltern kümmerten sich sehr gut um ihn, was die Halter erst einmal beruhigte. Bald zeigte sich jedoch, dass er seine Flügel und eines seiner Beine nicht bewegen konnte. Deshalb wurde der noch sehr junge Vogel einem erfahrenen Tierarzt vorgestellt, der ihn zur Sicherheit röntgte. Brüche wurden glücklicherweise nicht festgestellt und so wurde dem Vogel Krankengymnastik verordnet. Er musste also schon Sport treiben, obwohl er noch nicht einmal wirklich flügge war. Nicht nur seine Halterin trainierte mit dem jungen Katharinasittichmännchen, sondern auch seine Schwester Samy. Sie animierte ihn immer wieder dazu, mit ihr und den anderen Vögeln zu klettern, als sie alle den Nistkasten verlassen hatten. Lag er auf der faulen Haut, stupste sie ihn an, bis er sich wieder bewegte. Die ersten Fortschritte ließen so nicht lange auf sich warten. Schon bald konnte sich der wildfarbene Vogelmann gut bewegen.

Weil seine rechte Schulter verletzt war, steht sein Flügel schief und Juan kann nicht mehr fliegen.
Weil seine rechte Schulter verletzt war, steht sein Flügel schief und Juan kann nicht mehr fliegen.

Allerdings ist dennoch heute flugunfähig, weil sein rechter Flügel eine Fehlstellung aufweist. Bei einer Untersuchung durch einen weiteren Vogeltierarzt zeigte sich, dass es in der Schulter eine Verletzung gegeben haben muss. Wann er sie sich zugezogen hat, wusste seine frühere Halterin beim besten Willen nicht. Solche Schulterverletzungen sind bei Vögeln nicht therapierbar und für Juan bedeutete sie leider eine lebenslange Flugunfähigkeit. Weil er in einem Zuhause voller flugfähiger Artgenossen lebte und außerdem bei fünf Tieren buchstäblich oft das fünfte Rad am Wagen war, entschied sich seine Halterin dazu, ihn in mein behindertengerecht eingerichtetes Vogelzimmer zu geben. Denn ich suchte im April 2015 nach einem Handicap-Vogel als Gesellschaft für meine ebenfalls flugunfähige Katharinasittichdame Marisol, die kurz zuvor ihren uralten und blinden Gefährten Enrique verloren hatte und ihrerseits in meinem fünfköpfigen Kathi-Schwarm ein bisschen außen vor war.

Juan in seiner typischen Neugier-Pose.
Juan in seiner typischen Neugier-Pose.

Am Abend des 6. Mai 2015 begann Juans Reise im westfälischen Minden in Richtung Ruhrgebiet, wo er gegen 22 Uhr bei mir in Bochum, wo ich seinerzeit lebte, eintraf. Weil er sich als kerngesund erwies – sicherheitshalber bringe ich all meine neuen Vögel zu einer Eingangsuntersuchung, bei der unter anderem Abstriche auf Pilze und Bakterien überprüft werden -, durfte er schon bald zu meinen anderen Vögeln ins Freiflugzimmer ziehen. Wie es bei Katharinasittichen häufig der Fall ist, fremdelte er zunächst zwar ein wenig, war aber gleichzeitig neugierig. Die alteingesessene Truppe verhielt sich ihm gegenüber nicht abweisend, aber wartete ein wenig ab, wie er sich benehmen würde. Man muss sich ja schließlich erst mal ein bisschen kennenlernen, bevor man den Neuen in die Gruppe aufnimmt – so schien die Devise zu lauten.

Anfangs hat er es vergeigt, aber dann wurden Juan (rechts) und Marisol doch noch Kuschelgefährten.
Anfangs hat er es vergeigt, aber dann wurden Juan (rechts) und Marisol doch noch Kuschelgefährten.

Als sich Marisol recht bald neben ihn setzten und ihn aus der Nähe begutachtete, war ich sehr froh. Aber der noch sehr unerfahrene und junge Juan vermasselte es gründlich. Er bekam Angst vor der gelben Vogeldame und teilte ein paar rabiate Schnabelhiebe in ihre Richtung aus. Daraufhin hatte Marisol verständlicherweise keine Lust mehr, sich in seine Nähe zu setzen. Das wiederum ärgerte ihn, denn er schien sie an sich ganz nett zu finden. Als er geschlechtsreif wurde, war die Situation für ihn wohl so frustrierend, dass er sich öfter mit den älteren Katharinasittichmännchen raufte – er war anfangs ein ziemlicher Rüpel und ich hoffte, er würde mit der Zeit umgänglicher werden. Immerhin verstand er sich mit den Wellensittichen und Diamanttäubchen vergleichsweise gut. Eines der Täubchen hat er jedoch offenbar mal geärgert, sodass er von dem Täuber hier und da gegängelt wurde. Auch bei Vögeln gilt: Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus!

Die Ringschaukel ist Juans Lieblingsplatz.
Die Ringschaukel ist Juans Lieblingsplatz.

Mit den Jahren wurde Juan dann doch etwas besonnener und er schloss dann auch endlich Freundschaften mit den anderen Katharinasittichen. Beim Gruppenkuscheln war er lange Zeit immer mit von der Partie und praktizierte gegenseitiges freundschaftliches Kraulen mit Marisol (sie hatte ihm seinen anfänglichen Ausrutscher längst vergeben), Smoky und Paco. Seine Beziehungen waren harmonisch, aber irgendwie oberflächlich – bis Patricio einzog. In ihm fand er einen sehr engen Freund und es stürzte ihn in tiefe Trauer, als sein treuer Gefährte Ende Dezember 2018 starb. Der sonst immer fröhliche und muntere Juan war daraufhin sehr still und trauerte ebenso wie Patricios Witwe Carmen. Die beiden Vögel scheinen einander Trost gespendet zu haben, und plötzlich wurde daraus mehr. Sie waren seit Anfang 2019 ein Paar und bestanden darauf, abends nicht mit den anderen Vögeln gemeinsam in der Gruppenunterkunft zu schlafen, sondern in ihrer privaten kleinen Box. Bis zu Carmens Tod im März 2022 waren die beiden ein harmonisches Paar und wichen einander kaum von der Seite.

Als Patricio (links) noch lebte, war er Juans bester Freund.
Als Patricio (links) noch lebte, war er Juans bester Freund.
Mit seiner Partnerin Carmen (links) führte Juan eine harmonische Beziehung.
Mit seiner Partnerin Carmen (links) führte Juan eine harmonische Beziehung.

Menschen gegenüber ist Juan neugierig, aber er ist nicht sonderlich zahm. Trotzdem nutzt er manchmal von sich aus gern die Vorzüge des „Fingertaxis“, wenn er schnell von A nach B gelangen möchte. Als flugunfähiger Vogel ist das durchaus sinnvoll, wenn gerade ein Mensch in der Nähe ist und ihm anbietet, ihn umher zu tragen. Ganz besonders niedlich ist es, ihm beim Baden zuzusehen. Die meisten Katharinasittiche duschen lieber, doch Juan stürzt sich mit Vorliebe in die Badeschüssel, bis er völlig durchnässt ist. Und er liebt es, frisches Grünzeug zu futtern, zum Beispiel Apfel, Stangensellerie, Vogelmiere oder helle Weintrauben. Dann sieht man sein ganz typisches „Genießergesicht“, bei dem man meinen könnte, er würde selig lächeln.

Hinein ins Badevergnügen!
Hinein ins Badevergnügen!
Erst wenn er klitschnass ist, hat Juan genug vom Baden.
Erst wenn er klitschnass ist, hat Juan genug vom Baden.
Verglichen mit seinen Freunden ist Juan (links) sehr groß.
Verglichen mit seinen Freunden ist Juan (links) sehr groß.

Seinen neuen Namen erhielt er zum Einzug in mein Vogelzimmer. Weil die meisten meiner Katharinasittiche spanische Namen tragen, sollte es auch bei ihm einer sein. Juan erinnerte mich hinsichtlich des Klanges ein wenig an Joey, zumindest ganz entfernt. Dem wildfarbenen Vogelmann scheint es aber egal zu sein. Ich habe den Eindruck, er hört praktisch gar nicht auf seinen Namen. Das gilt auch für seinen Spitznamen. Wegen seines eigentümlichen Pirschgangs, den er immer dann zeigt, wenn er neugierig und gleichzeitig unsicher ist, nenne ich ihn auch meinen kleinen Tiger. Dabei ist „klein“ allerdings nicht ganz richtig. Juan ist der größte und massigste Katharinasittich, den ich je gesehen habe.

Hintergrundbild für Ihr Smartphone und Ihren Desktop

Von Juan gibt es ein Hintergrundbild für Ihr Smartphone sowie für Ihren Desktop am Computer, siehe Bildersammlung.