Kimmy, adoptiert am 2.Oktober ’09, † 5. Juni ’11

Deutlich ist zu sehen, dass Kimmys Auge milchig ist; sie war deshalb leider blind.
Deutlich ist zu sehen, dass Kimmys Auge milchig ist; sie war deshalb leider blind.

Im September 2009 erfuhr ich von einer begeisterten Vogelhalterin, die ich seit Jahren kannte, dass einer ihrer Katharinasittiche ein schweres Handicap zu tragen hatte. Der Vogel lebte mit mehreren Artgenossen in einer Außenvoliere und kam dort plötzlich leider nicht mehr sonderlich gut zurecht. Die Sehfähigkeit des Weibchens schwand zusehends. Ihr rechtes Auge trübte sich mehr und mehr ein, und außerdem konnte Kimmy nicht richtig fliegen, beschrieb mir die besorgte Vogelhalterin die Situation. Sie befürchtete, dass der erblindete Vogel im Winter den Durchgang zum beheizten Schutzhaus nicht mehr finden würde und draußen erfrieren könnte. Diese Sorge war meiner Ansicht nach berechtigt, der Vogel war in großer Gefahr.

Kimmy hatte cremefarbenes Gefieder.
Kimmy hatte cremefarbenes Gefieder.

Weil mein Vogelzimmer für gehandicapte Tiere eingerichtet war (und es noch immer ist), habe ich mich dazu entschlossen, Kimmy aufzunehmen und ihr so die Möglichkeit zu geben, in einem für sie sicheren Umfeld leben zu können. Allein sein würde sie auch nicht, denn zu diesem Zeitpunkt wohnten bereits vier weitere Katharinasittiche bei mir: Bianca, Tico, Enrique und Smoky. Probleme damit, dass möglicherweise ein Vogel das berüchtigte „fünfte Rad am Wagen“ sein könnte, befürchtete ich nicht. Dass die Kathis zu fünft eine eingeschworene Gemeinschaft bilden könnten, wusste ich daher, dass sie sich alle mit dem wenige Wochen zuvor gestorbenen Costa bestens verstanden hatten. Also stand Kimmys Einzug nichts mehr im Wege, am 2. Oktober 2009 wurde sie zum Mitglied des Birds-Online-Schwarms.

Zu diesem Zeitpunkt war die Vogeldame etwa sechs Jahre alt, das besagt ihr Fußring, der als Geburtsjahr 2003 ausweist. Allerdings wirkte Kimmy viel älter – wer weiß, warum das so war. Bevor der Vogel im November 2007 zu seiner vorherigen Halterin gelangt war, hatte er bereits ein anderes Zuhause, in dem er fast vier Jahre gelebt hatte. Dort soll Kimmy angeblich von einer Katze erwischt worden sein, unter anderem deshalb ist sie seinerzeit abgegeben worden. Diese Geschichte klang jedoch ein wenig seltsam, denn kurz vor dem Einzug in mein Vogelzimmer hat mein auf die Behandlung von Vögeln und Reptilien spezialisierter Tierarzt Kimmy untersucht. Er konnte keine Hinweise darauf feststellen, dass der Vogel jemals von einer Katze verletzt worden war – normalerweise hinterlässt ein solcher Angriff deutlich sichtbare Narben.

Obwohl sie blind war, kam Kimmy im Vogelzimmer sehr gut zurecht.
Obwohl sie blind war, kam Kimmy im Vogelzimmer sehr gut zurecht.

Zudem war leider nie herauszufinden, weshalb Kimmy nicht fliegen konnte. Sie schien keine Kraft in den Flügeln zu haben, ihre Schwingen trugen sie nicht. Wie bereits erwähnt, waren die Flügel und Gelenke aber nicht durch eine frühere Verletzung in Mitleidenschaft gezogen. Es blieb für immer ein Rätsel, weshalb Kimmy nicht fliegen konnte. Das Gefieder war bei ihrem Einzug in mein Vogelzimmer durch vorangegangene Abstürze ein wenig angestoßen. Aber davon abgesehen war der hübsche Sittich in einem sehr guten Zustand.

Anfangs war Kimmy verwirrt, denn in der neuen Umgebung herrschte eine andere Temperatur (es war wärmer als in der Außenvoliere), die Geräusche waren unterschiedlich und sie kannte keinen der weiteren in meiner Obhut lebenden Vögel – weder die vier Katharinasittiche, noch die seinerzeit 18 Wellensittiche. Doch Kimmy brauchte trotz ihrer Blindheit nur zwei Tage, um sich einzugewöhnen. Schnell fand sie trotz ihrer schweren Seheinschränkung die „Frischkostbar„, die Körnerfutternäpfe und auch den Trinknapf. Beim Gehen über den Boden nutzte sie den Schnabel wie einen Blindenstock und ertastete ihre Umgebung.

Die große Bambuskugel gehörte zu Kimmys Lieblingsplätzen.
Die große Bambuskugel gehörte zu Kimmys Lieblingsplätzen.

Mit den anderen Kathis nahm sie schnell Rufkontakt auf, und bald gesellte sich auch schon der erste Artgenosse zu ihr: Tico. Er war sehr neugierig und brabbelte direkt auf Kimmy ein, die sich über so viel Aufmerksamkeit sichtlich zu freuen schien. In ihrem ehemaligen Zuhause in der Außenvoliere war sie wegen der einsetzenden Erblindung mehr und mehr zur Einzelgängerin geworden, weil sie mit den anderen Vögeln nicht mehr hatte mithalten können. Auch vorher war ihr dies schon schwergefallen, weil sie mit ihren früheren Schwarmgefährten nicht umherfliegen konnte. In meinem Vogelzimmer war sie von Artgenossen umgeben, die entweder selbst gehandicapt waren oder die zumindest viel Erfahrung mit Vögeln hatten, die mit einer körperlichen Einschränkung zurechtkommen mussten. Für Kimmy war das ein Glücksfall, denn sie wurde sofort in die Gemeinschaft aufgenommen.

Mit der blinden Katharinasittichdame Kimmy verband Chandra eine zärtliche Freundschaft.
Mit der blinden Katharinasittichdame Kimmy verband Chandra eine zärtliche Freundschaft.

Kurz nach ihrem Einzug ist noch etwas geschehen, das ausgesprochen bemerkenswert war. Die zu dieser Zeit jüngste und draufgängerischste Wellensittichsame Chandra hat sich gleich zu dem neuen Katharinasittich hingezogen gefühlt. Erst dachte ich, das junge Weibchen würde Kimmy ärgern wollen, denn ihresgleichen gegenüber verhielt sich Chandra oft alles andere als charmant. Voller Argwohn habe ich den Wellensittich deshalb von der wehrlosen Kimmy weggejagt, weil ich davon ausgegangen war, Chandra würde in dem blinden Vogel ein leichtes Opfer für ihre ruppigen Streiche finden. Doch ich lag falsch! Chandra hatte Kimmy sofort in ihr Herz geschlossen und sie quasi „adoptiert“. Am Tag nach dem Einzug des Katharinasittichs habe ich zum ersten Mal beobachtet, wie die Wellensittichdame ihre neue Freundin gefüttert und sanft gekrault hat. Seitdem bot sich mir dieser niedliche Anblick öfter. Warum sich Chandra so sehr für Kimmy interessiert hat, blieb für immer ihr Geheimnis.

Mit der blinden Artgenossin Kimmy (rechts) freundete sich Bianca im hohen Alter sehr eng an.
Mit der blinden Artgenossin Kimmy (rechts) freundete sich Bianca im hohen Alter sehr eng an.

Doch Chandra ist – zumindest vorübergehend – nicht Kimmys einzige Freundin unter den Wellensittichen geblieben. Das sanftmütige Männchen Bob hielt sich zu seinen Lebzeiten ebenfalls gern in ihrer Nähe auf, manchmal kuschelten sich die beiden Vögel sogar aneinander und schliefen Schulter an Schulter. Und natürlich hat Kimmy auch unter den Katharinasittichen besonders enge Freundschaften geschlossen. Regelmäßig kamen Tico oder Smoky vorbei und fütterten Kimmy an ihrem Lieblingsplatz, einer umgedrehten und auf den Boden gestellten Nagerweidenbrücke, unter der sie sich gern ausruhte. Diese Halbhöhle schien ihr ein gutes Gefühl zu geben, weshalb im Vogelzimmer zwar mehrere davon für Kimmy bereitstanden, doch meist suchte sie nur eine bestimmte auf. Oft hat sich auch Bianca zu ihr gesellt, um gemeinsam mit Kimmy in der kleinen Höhle zu schlafen. Leider ist die ebenfalls cremefarbene Katharinasittichdame im Februar 2011 gestorben.

Menschen gegenüber war Kimmy sehr anhänglich und liebte es, sich in die warme Hand zu kuscheln.
Menschen gegenüber war Kimmy sehr anhänglich und liebte es, sich in die warme Hand zu kuscheln.

An jenem Tag hat Kimmy ihre beste Freundin, Kuschelgefährtin und treue Kraulerin verloren. Die Streicheleinheiten musste ich ihr daraufhin wieder geben – eine Aufgabe, die ich gern übernahm. Anfangs hatte Kimmy übrigens Angst vor Menschen, doch sie hat schnell gelernt, dass ich ihr nichts Böses wollte. Mir gegenüber ist sie rasch zutraulich geworden. Schon wenige Monate nach ihrem Einzug ins Vogelzimmer hat sie sich vertrauensvoll in meine Hand gekuschelt und von mir kraulen lassen. Sie mochte es, in der warmen Hand zu liegen und zu dösen. Bis zu ihrem Tod haben wir oft ausgiebig diese Momente der Vertrautheit genossen. Am 5. Juni 2011 ist Kimmy infolge eines Hitzschlags gestorben. In meiner Dachgeschosswohnung ist es an jenem schicksalhaften Tag sehr warm gewesen, was dem Vogel früher nicht viel ausgemacht hatte. Doch an dem Tag ist es zu viel gewesen und trotz aller sofort eingeleiteten Erste-Hilfe-Maßnahmen haben ihre Organe diese Belastung letztlich leider nicht mehr meistern können. Ich werde diese unbeschreiblich bezaubernde Vogeldame nie vergessen und ich bin froh, dass ich sie kennenlernen durfte.

Die meisten meiner Katharinasittiche trugen und tragen spanische Namen, was eine Hommage an ihre zentral- und südamerikanische Heimat sein soll. Weil Kimmy auf ihren Namen hörte und so sehr an ihn gewöhnt war, benannte ich sie nicht um, als sie in meine Obhut gelangte.