Chandra, adoptiert am 6. Januar ’09, † 6. Februar ’14

Ihre große Neugier stand Chandra ins Gesicht geschrieben
Ihre große Neugier stand Chandra ins Gesicht geschrieben

Anfang Dezember 2008 ging eine Meldung durch die deutschen Medien, die nicht nur Tierschützer schockierte: In Berlin halte ein Mann in seiner rund 60 Quadratmeter großen Wohnung circa 500 Wellensittiche, hieß es in den ersten Berichten. Videos waren unter anderem beim Sender RTL zu sehen, die das Chaos zeigten. Damals ahnte noch niemand, wie groß das Ausmaß der Sammelleidenschaft des Mannes tatsächlich gewesen ist. Doch schon als ich diese ersten Berichte im Internet gelesen und die dazugehörigen Videos betrachtet hatte, war mir klar, dass sich unter den Vögeln gehandicapte Tiere befinden würden. Deshalb sagte ich dem damals noch existierenden Verein der Wellensittich-Freunde Deutschland e. V.  (VWFD), der sich bei den entsprechenden Stellen in der Hauptstadt gleich als Helfer bei der Rettungs- und Vermittlungsaktion angeboten hatte, ich würde zwei Vögel mit Behinderung aufnehmen.

Ganz entspannt auf einem Bein – Chandra abends kurz vor dem Schlafengehen
Ganz entspannt auf einem Bein – Chandra abends kurz vor dem Schlafengehen

Neben dem Berliner Veterinäramt waren somit bald auch mehrere Tierschützer involviert. Unter ihnen waren einige Aktive des VWFD. Sie waren mit dabei, als es darum ging, die Rettung der Vögel zu organisieren. Die Tiere wurden einige Tage nach dem Bekanntwerden des Falls aus der von Vögeln überbevölkerten Wohnung abtransportiert, was für alle Beteiligten eine große Belastung war. In unzähligen Käfigen kamen die geretteten Vögel zunächst zum überwiegenden Teil im Berliner Tierheim unter. Beim Einfangen der Vögel hatte sich allerdings gezeigt, dass es sich keineswegs „nur“ um 500 Tiere gehandelt hatte … Der Mann hatte mit etwas mehr als 1.700 Wellensittichen und Nymphensittichen zusammengelebt (siehe Video auf Spiegel.de), wobei letztere nur in kleiner Zahl unter den Tieren waren.

Wegen ihrer massiven Beinfehlstellung konnte Chandra nicht sonderlich gut klettern
Wegen ihrer massiven Beinfehlstellung konnte Chandra nicht sonderlich gut klettern

Wie ich es befürchtet hatte, waren einige Wellensittiche schwer gehandicapt oder gar akut verletzt. Deshalb gelangten etliche von ihnen in Berlin sofort in die Obhut einer freiwilligen Helferin, die seit vielen Jahren Erfahrung in der Pflege heikler gefiederter Patienten hat. Diese Pflegerin ist mir seit einiger Zeit durch meine Aktivitäten in der Wildvogelhilfe bekannt, der Kreis der Vogelpäppler ist eben doch recht überschaubar. Über den VWFD erfuhr ich, dass sie die schlimmen Fälle pflegte und dass sich unter ihren Schützlingen auch die beiden befanden, die ich später übernehmen sollen würde. Ich nahm sofort Kontakt zu ihr auf, um mehr über „meine“ Vögel herauszufinden. Sie erzählte mir von der jungen Chandra und dem Weibchen Aditi und ich fieberte mit, während sie die Tiere gegen Trichomonaden behandelte und generell medizinisch versorgte.

Auf dem schrägen Baumwollseil fand Chandra trotz ihrer Beinfehlstellung Halt
Auf dem schrägen Baumwollseil fand Chandra trotz ihrer Beinfehlstellung Halt

Am 6. Januar 2009 war es endlich so weit und meine Vögel wurden für die Vermittlung freigegeben. Damals hieß es, Aditi habe sich in der Zwischenzeit in einen todgeweihten Artgenossen verliebt. Ich wollte das frisch gebackene Paar nicht trennen und dem armen Todeskandidaten so noch ein paar schöne Wochen ermöglichen. Deshalb traten drei statt zwei Wellensittiche die Reise von Berlin zu mir nach Düsseldorf an, wo ich seinerzeit wohnte. Sie wurden von einem tierlieben Herrn mitgenommen, der per Mitfahrzentrale gefunden worden war. Das letzte Stück der Strecke absolvierten die Vögel im Auto des VWFD-Mitglieds Nicole. Sie war es, die die gefiederte Fracht an jenem bitterkalten Dienstagabend zu mir brachte, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei ihr bedanken möchte.

Bis zu jenem Abend hatte ich von meinen drei Vögeln lediglich Ravi auf einem Foto gesehen, also den vermeintlich todkranken Vogel mit einem Tumor im Gesicht. Von Chandra wusste ich nur, dass sie Spreizbeine hatte und deshalb Schwierigkeiten beim Klettern und Laufen hatte. Ich war ehrlich gesagt ziemlich aufgeregt, als ich zusammen mit Nicole die dicke wärmende Decke entfernte, die den Transportkäfig umgab. Da saßen sie also vor mir, die drei gefiederten Neuzugänge. Zum Glück hatten sie die Fahrt gut überstanden. In die junge Chandra mit ihren neugierigen Knopfaugen verliebte ich mich auf der Stelle – in die anderen beiden Vögel natürlich ebenfalls.

Bedauerlicherweise konnte Chandras schwere Beinfehlstellung nicht mehr behoben werden
Bedauerlicherweise konnte Chandras schwere Beinfehlstellung nicht mehr behoben werden

Weil sie bereits eine Quarantäne durchlaufen hatten und von einer fachkundigen Vogel-Tierärztin behandelt worden waren, durften sie gleich am nächsten Morgen zu meinen Vögeln ins Vogelzimmer ziehen. Chandra war augenscheinlich am Tag ihrer Ankunft mitten in der Jugendmauser. Folglich dürfte sie in etwa Anfang August 2008 aus ihrem Ei geschlüpft sein. Mit Freuden stellte ich bei Chandras Einzug ins Vogelzimmer fest, dass das tapfere Vögelchen nach seinen Rundflügen sehr gut landen konnte, und das trotz der schweren Beinfehlstellung. Sie lebte sich schnell ein und setzte ihre Interessen selbstbewusst durch. So könnte man es zumindest schmeichelhaft umschreiben. Weniger freundlich formuliert heißt das: Chandra hatte „Haare auf den Zähnen“ und zeigte den anderen Wellensittichen sehr deutlich, wer die (neue) Herrin im Haus war. Allerdings war das nur am Anfang so, mit der Zeit wurde sie ruhiger und sehr umgänglich. Ihr schweres Handicap hinderte sie aber zeitlebens nie daran, ausgesprochen selbstbewusst zu sein. Ihre Lebensfreude war ansteckend und es bereitete mir immer große Freude, sie munter im Vogelzimmer herumtoben zu sehen. Unter den Wellensittichen war Aditi bis zu ihrem Tod Chandras beste Freundin. Der Mann an ihrer Seite war Ravi, den sie schon aus ihrer Zeit in der Berliner Messie-Wohnung kannte.

Mit der blinden Katharinasittichdame Kimmy verband Chandra eine zärtliche Freundschaft
Mit der blinden Katharinasittichdame Kimmy verband Chandra eine zärtliche Freundschaft

Doch die wohl größte Überraschung bescherte mir Chandra Anfang Oktober 2009: Das flugunfähige und schwer sehbehinderte Katharinasittich-Weibchen Kimmy zog ein und wurde gleich von Chandra in Empfang genommen. Von Anfang an kümmerte sie sich rührend um ihre Freundin und dabei störte es sie ganz offensichtlich nicht, dass Kimmy einer anderen Vogelart angehörte und selbst etliche Artgenossen im Vogelzimmer um sich hatte. Warum sie Kimmy so spontan ins Herz geschlossen hatte, blieb mir ein Rätsel, denn für die anderen Katharinasittiche hatte sie sich zuvor nie interessiert. Doch ich fand es rührend, wie zärtlich und sanft sie mit Kimmy umging, als diese noch lebte. Nach Kimmys Tod wählte sie dann übrigens einige Zeit später die Kathi-Dame Pinto als neue artfremde Freundin aus und pflegte mit ihr eine „Kuschelfreundschaft“, bis leider auch Pinto nach einer Weile starb.

Chandra wenige Wochen vor ihrem Tod durch einen schnell wachsenden Tumor
Chandra wenige Wochen vor ihrem Tod durch einen schnell wachsenden Tumor

Ende 2013 zeigte sich an Chandras Bauch plötzlich eine Beule, die anfangs nur zu erahnen war, aber rasch wuchs. Außerdem verfärbte sich ihre braune Wachshaut innerhalb sehr kurzer Zeit und wurde hellblau. Mir schwante Böses und leider bestätigte sich Anfang 2014 mein Verdacht: Chandra litt an einem Tumor, der sich an den Eierstöcken gebildet hatte. Ein solcher Tumor ist bei Wellensittichen inoperabel. Als die Schwellung immer größer wurde und Chandra Schwierigkeiten beim Atmen bekam, war der Zeitpunkt gekommen, ihr weiteres Leid zu ersparen. Am 6. Februar 2014 ließ ich Chandra schweren Herzens einschläfern, um ihr schlimmes Leid zu ersparen. In meinem Herzen leben die Erinnerungen an diese zauberhafte Vogeldame für immer weiter.

Chandras Farbschlag nennt sich Blaues Gelbgesicht mit normaler Gefiederzeichnung.

Bedeutung des Namens

Gern ruhte sich Chandra auf dem Bauch liegend aus
Gern ruhte sich Chandra auf dem Bauch liegend aus

Schon seit vielen Jahren habe ich eine Vorliebe für Namen, die etwas mit Astronomie und Himmelskörpern zu tun haben – was daran liegt, dass ich Physik und Astrophysik studiert habe. Weil ich die meisten gängigen Namen aus dem westlichen Kulturkreis bereits an meine Vögel vergeben hatte, bin ich schließlich bei der Namenssuche in Indien gelandet. Im alten Sanskrit bedeutet Chandra Mond. Deshalb habe ich mich für diesen Namen entschieden, der meiner Meinung nach sehr schön klingt.