Milla, adoptiert am 26. Mai ’07, † 19. Oktober ’10

Durch einen schweren Grabmilbenbefall sind Millas Augenlider zeitlebens löchrig gewesen
Durch einen schweren Grabmilbenbefall sind Millas Augenlider zeitlebens löchrig gewesen

Es war ein Samstagmorgen und ich begleitete damals eine Freundin ins Essener Tierheim, wo sie seinerzeit als ehrenamtliche Helferin arbeitete. Ich sollte ein paar Fotos von Kaninchen und anderen Kleintieren anfertigen, die sie für die Website des Tierheims verwenden wollte. Weil ich selbst seit Wochen gesundheitlich nicht auf der Höhe gewesen war, hatte ich mich lange nicht im Tierheim blicken lassen können. Deshalb erfuhr ich auch erst Ende Mai vom Schicksal des zierlichen, olivgrünen Wellensittichweibchens, dessen Geschichte auf dieser Seite zu lesen ist. Im Vogelraum wollte einer der Pfleger eine Amazone einfangen, weil sie soeben vermittelt worden war. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, den Vogel zu fotografieren, und begleitete den Pfleger. Im Vogelraum angekommen, fiel mein Blick auf einen Käfig mit einem völlig verstörten und auch körperlich schwer in Mitleidenschaft gezogenen Wellensittich, der ganz offenkundig eine schwierige Zeit hinter sich hatte.

Ober- und Unterlid des rechten Auges waren durch einen früheren Parasitenbefall schwer in Mitleidenschaft gezogen
Ober- und Unterlid des rechten Auges waren durch einen früheren Parasitenbefall schwer in Mitleidenschaft gezogen

Am 4. Mai 2007 war das Weibchen nur wenige Hundert Meter von meinem Wohnhaus entfernt von Passanten aufgegriffen worden. Milla war durch die Straße geflattert und geradewegs gegen ein Verkehrsschild geprallt. Leicht benommen war sie am Boden liegen geblieben, weshalb die Leute sie einfangen konnten. Ein Glück, dass sie nicht mitten auf die Straße gefallen war, dort wäre sie vermutlich von einem Auto überfahren worden. Den Passanten war sofort klar, dass der Vogel Hilfe benötigte, denn sein Kopf, die Beine und die Kloakengegend waren über und über mit dicken Krusten bedeckt. Sie brachten den Vogel ins Tierheim, wo ein sehr schwerer und weit fortgeschrittener Befall mit Grabmilben festgestellt wurde. Sofort wurde eine Therapie begonnen, um den Vogel von diesen Parasiten zu befreien. Die Milben hatten offenbar schon sehr lange Zeit ihr Unwesen getrieben, denn ein Zeh des Wellensittichs war so arg in Mitleidenschaft gezogen, dass ein Glied bereits abgefallen war. Außerdem waren die Augenlider zerfressen und löchrig, was aber erst auffiel, als sich die Krusten gelöst hatten.

Milla ganz entspannt beim Ausruhen am Nachmittag
Milla ganz entspannt beim Ausruhen am Nachmittag

Da saß sie also starr vor Angst im Tierheim in ihrem Krakenkäfig und wartete auf ihre ungewisse Zukunft. Wegen der zerfressenen Augenlider war sie keine Schönheit im klassischen Sinne, eine Vermittlung wurde dadurch erschwert. Hinzu kam, dass sie anfällig für Augenerkrankungen war, weil die vernarbten und nicht durchgängigen Lider die Augen nicht mehr optimal schützen und feucht halten konnten. Als ich den bedauernswerten Vogel dort sitzen sah, hörte ich mich selbst die Worte sagen: „Macht bitte einen Abgabevertrag fertig, ich nehme sie mit.“ Da hatte mein „Bauchgefühl“ ganz spontan aus mir gesprochen, mein Kopf hätte mir nämlich gesagt, dass ich eigentlich genügend Pflegefälle daheim im Vogelzimmer beherberge. Aber ich konnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, diese arme Vogeldame ihrem Schicksal zu überlassen. Denn als wären ihre körperlichen Gebrechen nicht schon schlimm genug, verhielt sie sich geradezu panisch gegenüber Menschen, was ihre Chancen auf eine Vermittlung drastisch sinken ließ. Kurzentschlossen nahm ich also das zerzauste Geschöpf – vom Einfangen wegen der Milbenbehandlung war ihr Federkleid ganz struppig geworden – mit nach Hause.

Waren Menschen in der Nähe, war Milla stets sehr wachsam
Waren Menschen in der Nähe, war Milla stets sehr wachsam

Dort angekommen, beließ ich sie erst einmal für einige Zeit in Quarantäne, bis ich sicher wusste, dass sie keine ansteckende Krankheit in sich trug – ein Eingangscheck beim Tierarzt bestätigte dies. Außerdem musste die Behandlung gegen die Milben noch eine Weile fortgeführt werden. Im Juni kam dann endlich ihr großer Tag und sie durfte ins Vogelzimmer einziehen. Zu Beginn wusste sie so recht nichts mit den anderen Vögeln anzufangen, sie hatte allem Anschein nach seit Ewigkeiten keine Artgenossen mehr zu Gesicht bekommen. Ihr standen Panik und Unsicherheit buchstäblich ins Gesicht geschrieben und sie versteckte sich in der hintersten Ecke, um ja nicht mit den anderen Tieren zu eng in Kontakt zu geraten. Glücklicherweise gewöhnte sie sich dann aber doch schnell ein und mischte sich unter das Vogelvolk. Ihre ersten Kontaktaufnahmen waren zaghaft, aber bald traute sie sich auch dann an den Futternapf, wenn sich dort bereits Artgenossen zur gemeinschaftlichen Nahrungsaufnahme eingefunden hatten.

Obwohl sie früher viel durchgemacht hat, war Milla den anderen Vögeln gegenüber durchaus selbstbewusst
Obwohl sie früher viel durchgemacht hat, war Milla den anderen Vögeln gegenüber durchaus selbstbewusst

Besonders gut fliegen konnte sie anfangs nicht, weshalb es mich umso mehr verwunderte, wie sie ihrem vorherigen Halter hat entfliegen können. Noch dazu, wo doch ihre Augen aufgrund der dicken Milbenkrusten nur noch kleine Sehschlitze waren. Milla muss damals nahezu blind durch die Straße geirrt sein. Dass sie dabei nicht ums Leben gekommen ist, grenzt für mich an ein Wunder. So extrem ängstlich, wie sie auf Menschen reagierte, scheint sie in ihrem früheren Zuhause leider Schlimmes erlebt zu haben. Ich ging davon aus, dass man dort nicht sonderlich sanft und einfühlsam mit dem sensiblen Vogel umgegangen war. Damit sie lernen würde, dass von mir keine Gefahr ausgeht, ließ ich Milla in Ruhe und hielt respektvoll Abstand, um sie nicht zu verängstigen. Weil die anderen Vögel, mit denen sie langsam Freundschaften schloss, nicht allzu ängstlich auf mich reagierten, merkte auch Milla bald, dass für sie kein Grund zur Aufregung bestand – sie verhielt sich schon nach einigen Wochen sehr viel entspannter und ruhiger, wenn ich in der Nähe war.

Milla und ihr Gefährte Ravi
Milla und ihr Gefährte Ravi

Glücklicherweise heilten ihre seelischen Wunden mit der Zeit immer mehr und Milla war später ein fröhlicher Vogel, der sehr gut fliegen konnte und sich im Schwarm problemlos gegen alle anderen Sittiche durchsetzte, wenn es darauf ankam – zum Beispiel am Napf voller Knaulgrassamen oder wenn es frische Wildgräser gab.

Nachdem sie ganze Weile trotz der netten Männchen im Schwarm, die sich redlich um ihre Zuneigung bemüht hatten, Single gewesen war, eroberte im Frühling 2009 der hellblaue Ravi ihr Herz. Mit ihm hatte es das Schicksal früher nicht gut gemeint und er hatte ein Auge verloren. Bis zu Millas Lebensende waren die beiden Vögel ein glückliches Paar.

Das Holzspielzeug hatte es Milla angetan, sie konnte sich damit stundenlang beschäftigen
Das Holzspielzeug hatte es Milla angetan, sie konnte sich damit stundenlang beschäftigen

Im Oktober 2010 erkrankte sie leider plötzlich sehr schwer. Sie verlor innerhalb kürzester Zeit enorm an Gewicht und setzte veränderte Kotbällchen ab, deren Konsistenz stark breiig war. Eine Untersuchung ergab, dass sie eine große Wucherung im Körper hatte: einen inoperablen Nierentumor. Dieser verursachte mit Sicherheit Schmerzen, was ihr deutlich anzusehen war. Sie bewegte sich kaum, schlief sehr viel und hatte auch nur wenig Hunger. Damit sie nicht länger leiden musste, ließ ich Milla nach dem Erhalt der schlimmen Diagnose einschläfern. Es tat mir sehr leid, die nette Vogeldame zu verlieren, wo sie doch mit Ravi so ein glückliches Leben führte. Ich hoffe, sie hat es genossen, mit ihm zusammen zu sein und in meinem Vogelschwarm leben zu können.

Millas Farbschlag nennt sich Normal in Olivgrün. Über ihr Alter wusste ich leider nichts, denn sie war unberingt, als sie in meine Obhut gelangte. Deshalb waren keine Rückschlüsse auf ihr Geburtsjahr möglich.

Artikel über Milla im WP-Magazin
Erste Seite des Beitrags 'Milla – der scheue Fundvogel' aus dem WP-Magazin 02/2009Anfang 2009 erschien Millas Geschichte im WP-Magazin, der Text kann als Leseprobe in Form einer PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden: bitte hier klicken. Das WP-Magazin ist eine zweimonatlich erscheinende Zeitschrift über Wellensittiche und Papageien, bei der ich damals als externe Mitarbeiterin fest zum Redaktionsteam gehörte. Seit August 2017 bin ich die verantwortliche Redakteurin der Zeitschrift. Die Ausgabe 02/2009 kann hier nachbestellt werden.