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Übermäßiger Sexualtrieb

Hinweis: Die in diesem Beitrag erläuterten Zusammenhänge beziehen sich überwiegend auf Wellensittiche. Auf andere Vogelarten sind die Angaben nicht in jedem Fall direkt übertragbar, sie gelten aber durchaus für eine ganze Reihe anderer Heimvogelspezies.
Gelegentliche Paarungen sind unproblematisch, doch sehr häufige Paarungsakte bei Wellensittichen können ein Zeichen für einen übermäßigen Sexualtrieb sein.
Gelegentliche Paarungen sind unproblematisch, doch sehr häufige Paarungsakte bei Wellensittichen können ein Zeichen für einen übermäßigen Sexualtrieb sein.

Zum normalen Alltag eines gesunden Wellensittichs, der in Gesellschaft mindestens eines Artgenossen lebt, gehört es unter anderem, seinen Sexualtrieb auszuleben. Wie intensiv dieses Ausleben ausfällt, hängt vom Individuum ab. Außerdem ändert sich die Intensität bei Wellensittichen mit dem aktuellen Hormonstand. Das heißt: Ist ein Wellensittich in Brutstimmung, ist er sexuell sehr viel aktiver als beispielsweise zu Zeiten, in denen er gerade mausert und dadurch vorübergehend weniger Energie für die Fortpflanzung zur Verfügung hat.

Dagegen spielt die Jahreszeit bei Wellensittichen keine so direkte Rolle wie etwa bei unseren heimischen Singvögeln. Während des Winters ist es zu kalt zum Brüten und ihnen steht nicht genug Nahrung für die Aufzucht der Jungen zur Verfügung. Denn die meisten Singvogelarten ziehen ihren Nachwuchs mit Insekten groß, die während der kalten Jahreszeit in unserer Natur nur in sehr geringer Zahl zu finden sind. Mit dem Frühling kommen die Insekten, und es ist kein Zufall, dass zu dieser Zeit die Hauptbrutperiode der meisten heimischen Singvögel liegt.

Wilde Wellensittiche leben in Australien als Nomaden. Sie wandern dorthin, wo sie Futter und Wasser finden und haben keine festen Reviere. Gelangen sie in ein Gebiet, das ausreichend große Futter- und Wassermengen für eine Jungenaufzucht bereithält, schreiten sie sofort zur Brut. Somit können sie das gesamte Jahr über brüten, was auch für die in der Obhut des Menschen gehaltenen Wellensittiche gilt. Weil sie das ganze Jahr über prinzipiell Nachwuchs haben könnten und wie ihre Vorfahren auf gute Bedingungen für die Jungenaufzucht reagieren – genügend Futter, Nistplätze etc. –, sind sie meist auch ständig sexuell aktiv. In manchen Fällen zeigen sich dadurch Verhaltensauffälligkeiten, die mehr oder minder problematisch für die Vögel und ihre Gesundheit sein können. Männchen und Weibchen sind hiervon zwar auf unterschiedlicher Weise, aber in gleichem Maße betroffen. Im Folgenden werden einige typische Problemfälle aufgezeigt.

Vorab sei noch ein Linktipp zum Thema erwähnt: Die Papageienexpertin Ann Castro hat einen sehr informativen Podcast über Probleme mit der Brutstimmung veröffentlicht.

Extrem häufige Kopulationen fest verpaarter Vögel

Egal, ob Nistgelegenheiten vorhanden sind oder nicht, können Wellensittiche in Brutstimmung geraten. Sie zeigen dann ein verstärktes Triebverhalten, was sich darin äußert, dass mehrmals täglich Paarungsakte (Kopulationen) stattfinden. Das ist für sich genommen nicht unbedingt problematisch. Allerdings kommt es mitunter vor, dass ein Vogel zu aktiv ist und nichts anderes im Sinn zu haben scheint, als sich zu paaren. Mehrere Kopulationen pro Stunde sind dann keine Seltenheit, sodass sich an nur einem Tag über 50 Paarungsakte und mehr ereignen. Das ist erheblich zu viel und damit stressen die sexuell hyperaktiven Vögel ihren jeweiligen Partner, der kaum Ruhe vor ihnen findet, denn häufig sind nicht beide Vögel so „paarungswütig“, sondern nur einer der beiden.

Das Wellensittichmännchen bedrängt seine Partnerin, die sich gerade nicht paaren möchte und in die Abwehrstellung geht.
Das Wellensittichmännchen bedrängt seine Partnerin, die sich gerade nicht paaren möchte und in die Abwehrstellung geht.

Meist sind es junge Männchen, die mit ihren häufigen Paarungsversuchen ihre Partnerin überfordern. Im Einzelfall spielt sich dann unter Umständen Folgendes ab: Ist das Weibchen nach einiger Zeit von den vielen Paarungen erschöpft und kommt es dann den wiederholten Aufforderungen des Partners zu weiteren Paarungen nicht nach, wird der Partner oft rabiat und vergewaltigt seine Partnerin regelrecht. Er steigt auf den Rücken des nicht paarungsbereiten, wütend kreischenden Weibchens und reibt seine Kloake an ihrem Flügel oder Rücken, wenn es der Partnerin nicht gelingt, ihn abzuwerfen. Oder aber die Partnerin geht in Abwehrstellung mit herausgestreckter Brust, in den Nacken gelegtem Kopf und drohend geöffnetem Schnabel. Das Weibchen stellt sich so hin, dass das Männchen gar nicht erst aufsteigen kann. Geschieht dies häufiger, kann es für eine harmonische Partnerschaft sehr belastend sein.

Während der Legephase ist die Kloakengegend mancher Weibchen kahl, in diesem Fall ist sie von zu häufigen Paarungen leicht entzündet und es klebt Kot an der geschundenen Haut.
Während der Legephase ist die Kloakengegend mancher Weibchen kahl, in diesem Fall ist sie von zu häufigen Paarungen leicht entzündet und es klebt Kot an der geschundenen Haut.

Nicht selten ist die Kloakengegend beider betroffener Partner infolge zu häufiger Paarungen wund gescheuert. Die geschundene Haut kann sich leicht entzünden, der Vogelhalter sollte dies unbedingt im Blick behalten und gegebenenfalls in Absprache mit einem vogelkundigen Tierarzt ein für Vögel geeignetes Mittel zur Hautpflege auftragen. Experimentieren Sie bitte nicht selbst mit Salben oder Tinkturen, denn die Haut und Schleimhaut an der Kloake sind extrem empfindlich. Verwenden Sie ausschließlich Präparate, die Ihnen ein fachkundiger Tierarzt empfiehlt. Zusätzlich kann es mitunter zudem sinnvoll sein, das Weibchen vom Männchen zu trennen, damit es zur Ruhe kommen und eine eventuelle Kloakenentzündung abheilen kann. Außerdem sollten sollten die Haltungsbedingungen dahingehend geändert werden, dass sich die Vögel hormonell wieder beruhigen, siehe weiter unten.

Aggressives Verhalten sexuell hyperaktiver Vögel

Gleichgeschlechtlichen Artgenossen gegenüber verhalten sich sexuell hyperaktive Wellensittichmännchen oft äußerst aggressiv. Es kann zu heftigen Beißereien und Verfolgungsjagden in der Luft kommen. In besonders schlimmen Fällen greifen die Hähne auch fremde Weibchen an, wenn sie gewissermaßen „blind vor Wut“ sind.

Wellensittichweibchen, die in Brutstimmung sind, können gegenüber ihren Artgenossen sehr aggressiv werden.
Wellensittichweibchen, die in Brutstimmung sind, können gegenüber ihren Artgenossen sehr aggressiv werden.

Ist ein Weibchen extrem fortpflanzungswillig – oft wird von „brutig“ oder „brütig“ gesprochen –, sind die Aggressionen gegenüber anderen Weibchen oft sehr gravierend. In Tieren, mit denen sie sich unter anderen Umständen gut verstehen, sehen die Weibchen dann Konkurrentinnen in Bezug auf Nistmöglichkeiten. Was dies angeht, verstehen Wellensittichweibchen keinen Spaß und sie kämpfen bis aufs Blut. Es kann demnach vorkommen, dass die sexuell hyperaktiven Weibchen sich auf eine Artgenossin stürzen und diese so schwer attackieren, dass sie tödliche Verletzungen davonträgt. Bei derlei blutigen Kämpfen können auch die hyperaktiven Weibchen selbst verletzt werden.

Dadurch, dass ein sexuell hyperaktiver Vogel ständig meint, andere Artgenossen vertreiben und bekämpfen zu müssen, kommt er selbst kaum zur Ruhe. Nicht selten ist deshalb zu beobachten, dass die Tiere abmagern, weil sie kaum zum Fressen kommen. Die Leistungsfähigkeit ihres Immunsystems kann mit der Zeit leiden, weil sie sich körperlich verausgaben, zu wenig fressen und oft auch zu wenig schlafen. Das macht sie anfällig für Infektionskrankheiten.

Extrem häufige Masturbation (Selbstbefriedigung)

Männlicher Wellensittich mit übersteigertem Sexualtrieb beim Masturbieren an einer Hand.
Männlicher Wellensittich mit übersteigertem Sexualtrieb beim Masturbieren an einer Hand.

Ist ein Wellensittich sexuell hyperaktiv, befriedigt er sich oft selbst. Wird ein Männchen von seiner Partnerin verschmäht, weil diese beispielsweise bereits von zu vielen Paarungsakten erschöpft ist, kann es geschehen, dass sich der Vogel ein Ersatzobjekt für den Paarungsakt sucht. Bei zahmen Vögeln ist dies oft die Hand des Tierhalters, aber auch Gegenstände wie Plüschtiere, Stuhlkanten oder Ähnliches werden für die Kopulation zweckentfremdet. Wenn Wellensittichmännchen nicht verpaart sind und einen stark ausgeprägten Sexualtrieb haben, kann man ebenfalls bei einigen Individuen häufiges Masturbieren beobachten. Besonders oft ist dieses Verhalten bei einzeln gehaltenen Männchen zu beobachten. Paaren sie sich immer wieder mit der Hand ihres Halters oder einem anderen Ersatzobjekt und erkennen sie andere Wellensittiche nicht als ihresgleichen, spricht man von sexueller Fehlprägung.

Doch bedenken Sie: Dass ein gesunder Wellensittich gelegentlich masturbiert, ist normal. Ist der Vogel jedoch völlig darauf fixiert, sich ständig selbst zu befriedigen, sollte man versuchen, die Haltungsbedingungen dahingehend zu optimieren, ihm mehr Abwechslung in Form von Spielzeugen oder gegebenenfalls mehr Artgenossen zu bieten. Wenn der Vogel die Hand seines Halters als Objekt seiner Begierde ausgewählt hat, sollte man ihm einen Paarungsakt auf der Hand nicht gestatten und ihn sanft vertreiben. Würde man ihn immer gewähren lassen, würde dies den übersteigerten Sexualtrieb noch mehr anfachen. Gegebenenfalls sollte ein vogelkundiger Tierarzt oder ein Papageientrainer zurate gezogen werden, wenn ein Vogel zu häufig masturbiert. Außerdem ist es wichtig, auf Hautveränderungen oder -abschürfungen im Kloakenbereich des betroffenen Vogels zu achten.

Bislang war die Rede von Männchen, die sich selbst befriedigen. Jedoch masturbieren auch Wellensittichweibchen gelegentlich, wie das folgende Video zeigt.

Übersteigerter Fortpflanzungstrieb beim Weibchen

Schwer atmendes und erschöpftes Wellensittichweibchen, das an einer Legenot leidet.
Schwer atmendes und erschöpftes Wellensittichweibchen, das an einer Legenot leidet.

Unter den Begriff „Sexualtrieb“ fällt nicht nur der Paarungsakt, sondern unter anderem auch weitere Aspekte der Fortpflanzung wie das Eierlegen der Wellensittichweibchen. Ist ein Weibchen brutwillig und steht ihm ein Nistplatz zur Verfügung, legt es in aller Regel maximal acht, in seltenen Fällen mehr Eier. Leider kommt es immer wieder vor, dass Weibchen erheblich mehr Eier legen und nicht von allein damit aufhören. Sogar Weibchen, denen kein Nistplatz zur Verfügung steht oder die einzeln gehalten werden, können dieses für sie gefährliche Verhalten an den Tag legen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sogenannten Legezwang. Das heißt, es werden zwanghaft immer weitere Eier gelegt, was den Körper extrem belastet. Durch diese Verausgabung können verschiedene gesundheitliche Probleme auftreten, darunter Kalziummangel mit brüchigen Knochen, starke Abmagerung, Nährstoffmangel und Legenot oder gar Kloakenvorfall.

Zurück zum 'Normalzustand' – das können Sie tun

Hält dieser Zustand des übersteigerten Paarungstriebes länger als einige Tage an, sollte ein vogelkundiger Tierarzt kontaktiert werden, um mit ihm das Problem zu erörtern. Zudem sollten die Haltungsbedingungen überprüft werden – das wird auch der Tierarzt empfehlen oder diese gar mit Ihnen besprechen.

Keimfutter schmeckt vielen Wellensittichen sehr gut, doch es kann den Bruttrieb anregen.
Keimfutter schmeckt vielen Wellensittichen sehr gut, doch es kann den Bruttrieb anregen.

Weil Wellensittiche bei üppigem Nahrungsangebot schnell in Brutstimmung geraten, kann über die Fütterung oft schon eine Steuerung ihrer „Brutigkeit“ erfolgen. Das Futterangebot sollte deshalb in Absprache mit dem Arzt auf ein zum gesunden Überleben erforderliches Mindestmaß, das jedoch allen Bedürfnissen des Vogelkörpers trotzdem gerecht wird, reduziert werden. Auf keinen Fall sollten Sie die Vögel hungern lassen oder ihnen nur noch nährstoffarme Nahrung anbieten, weil sie dadurch gravierende Mangelerscheinungen erleiden könnten.

Nistgelegenheiten sollten nicht (mehr) zur Verfügung stehen. Entfernen Sie alles aus der Reichweite Ihrer Wellensittiche, das auch nur entfernt an eine Nisthöhle erinnert. Bieten Sie Ihren Wellensittichen auch keine Schlafhöhlen an, diese brauchen sie nicht. Wellensittiche sind anders als viele andere Vogelarten keine Höhlenschläfer und durch das Anbieten solcher Schlafplätze wird unnötig der Bruttrieb befeuert. Aber Achtung: Falls die Vögel schon in Brutstimmung sind oder gar mit der Eiablage begonnen haben, sollten Sie die Nisthöhlen nicht entfernen. Dies könnte zu schweren Problemen wie Legezwang oder Legenot führen.

Sie sollten Ihren Vögeln kalziumhaltige Futterzusätze niemals entziehen, dazu gehören beispielsweise Grit oder Picksteine. Dieser Ratschlag wird mitunter gegeben, weil angenommen wird: Wenn Weibchen kein Kalzium zu sich nehmen können, dann können sie keine Eier produzieren und geraten somit nicht in Brutstimmung. Das ist falsch! Sie können Ihre Wellensittichweibchen durch den Kalziumentzug nicht vom Brüten abhalten, wohl aber in Lebensgefahr bringen.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die Tageslichtlänge an den natürlichen Biorhythmus der Vögel anzupassen. Wellensittiche reagieren sehr stark auf Tageslicht und vereinfacht gesagt gilt: Je länger die Tageslichtdauer ist, desto ausgeprägter verläuft bei den meisten Individuen die Hormonproduktion. Und je mehr Hormone freigesetzt werden, desto stärker ist für gewöhnlich der Bruttrieb ausgeprägt. Folglich ist die sexuelle Aktivität meist besonders hoch, wenn die Tage sehr lang sind und die Vögel nur relativ wenig Nachtschlaf haben. Weil in der Heimvogelhaltung künstliches Licht auch im Winter zu langen Tagen führt, sind die Wellensittiche oftmals das gesamte Jahr über hormonell „auf Hochtouren“, was zu einem übermäßig starken Sexualtrieb führen kann. Es ist deshalb sinnvoll, die Tageslichtlänge auf zehn bis maximal 12 Stunden zu begrenzen und die Vögel konsequent mindestens 10, noch besser 12 Stunden lang in kompletter Dunkelheit ihre Nachtruhe halten zu lassen. Meist bessert sich dadurch die Situation bereits innerhalb weniger Tage merklich und die Vögel verlieren ihre Lust an der Fortpflanzung. Gehen Sie dabei aber behutsam vor. Vögel, die bislang eine sehr lange Tageslichtdauer erlebt haben, sollten Schritt für Schritt an die längere Nachtdauer herangeführt werden.

Mitunter hat man es mit besonders schweren Fällen zu tun und nichts scheint zu helfen. Als letzten Schritt kann man in Erwägung ziehen, hyperaktive Wellensittiche mit Medikamenten hormonell behandeln zu lassen. Hierfür gibt es verschiedene Ansätze, darunter Hormonchips, die in einer Operation unter Narkose unter die Haut implantiert werden. Sowohl der Eingriff selbst als auch die medikamentöse Behandlung bergen Risiken von Nebenwirkungen oder unerwünschten Wirkungen. Deshalb sollte der Schritt einer solchen chemischen Kastration der Tiere wohlüberlegt sein. Welche Probleme sich bei einer Hormonbehandlung ergeben können, schildert eindrücklich der Erfahrungsbericht von Elena Körner.

Von der chirurgischen Kastration der Vögel rate ich dringend ab. Es gibt diese Möglichkeit, die jedoch vor allem bei größeren Papageien angewandt wird. Der Eingriff ist für die Vögel mit Risiken und wochen- oder gar monatelangen Schmerzen verbunden und führt nicht in allen Fällen zum gewünschten Erfolg. Mehr zu diesem Thema können Sie im Podcast von Ann Castro nachhören.

Sehr wichtig ist es außerdem, den Vögeln viele Spielzeuge und andere Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten. So haben sie Abwechslung und können sich darauf konzentrieren.