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Flügge gewordene Jungvögel

Sechs junge Wellensittiche, die flügge geworden sind und nun gemeinsam die Welt um sie herum entdecken wollen
Sechs junge Wellensittiche, die flügge geworden sind und nun gemeinsam die Welt um sie herum entdecken wollen

Viele Menschen glauben, ein Vogel ist dann flügge, wenn er das Nest verlässt und erste Flüge erfolgreich absolviert hat – und das ist auch richtig. Die Wortverwandtschaft von „flügge“ und „fliegen“ fällt sofort auf. Allerdings kommt es oft zu einem gravierenden Missverständnis: Viele Menschen nehmen an, dass ein Vogel, der flügge ist, auch bereits selbstständig ist, also voll und ganz von seinen Eltern unabhängig ist. Werden gerade eben flügge gewordene junge Wellensittiche von ihren Eltern getrennt, besteht die Gefahr, dass sie verhungern. Doch warum ist das so und wie kann es sein, dass junge Vögel das Nest quasi nur „halb fertig“ verlassen? Der Grund liegt auf der Hand, wenn man es einmal durchdenkt.

Wellensittiche sind Höhlenbrüter, in ihren Nisthöhlen (bei den wilden Wellensittichen) oder in ihren Nistkästen (bei den in Menschenobhut gehaltenen Vögeln) ist es meist relativ eng. Schon einige Tage, bevor sie alt genug sind, das Nest zu verlassen, beginnen die jungen Wellensittiche im Nistkasten, ihre Muskulatur zu trainieren. Sie machen gewissermaßen „Flug-Trockenübungen“, wodurch sie an Kraft gewinnen.  Was sie jedoch noch nicht üben können, ist das eigenständige Fressen. Im Nest finden sie normalerweise keine Nahrung, sie werden regelmäßig von ihren Eltern mit Futter versorgt.

Gerade flügge gewordene junge Wellensittiche sind meist sehr neugierig und verspielt
Gerade flügge gewordene junge Wellensittiche sind meist sehr neugierig und verspielt

Dann kommt irgendwann der Tag, an dem sie das Nest verlassen. Meist ist dies bei Wellensittichen im Alter von 33 bis 35 Tagen der Fall. In Einzelfällen kann es aber auch schon etwas früher geschehen oder ein Jungvogel braucht ein, zwei Tage länger, um sich aus dem Nest zu wagen. Außerhalb der Enge der Nisthöhle haben die jungen Wellensittiche viel Platz. Nun können sie das eigentliche Flugtraining aufnehmen. Nach wie vor werden sie von ihren Eltern gefüttert, denen die meisten Jungvögel recht bald folgen. So gelangen sie dann auch letztlich zum Futter und probieren aus, selbst Körnchen zu entspelzen. Man spricht jetzt von flügge gewordenen Jungvögeln, die noch nicht futterfest sind.

Ein Großteil der jungen Wellensittiche kann im Alter von etwa 40 Tagen ein wenig selbst fressen, manchen gelingt es dann sogar schon, den Großteil ihres täglichen Nahrungsbedarfs eigenständig zu decken. Einige Tage später sind sie dann flügge und futterfest – sie sind nun unabhängig von ihren Eltern und könnten ohne deren Fürsorge überleben. Erst jetzt sollten die Jungtiere in den Verkauf oder in die Vermittlung gegeben werden. Sie sollten dafür mindestens sechs oder noch besser sieben bis acht Wochen alt sein.

Gefährliche Zeit nach dem Verlassen des Nestes

Auch wenn das Fliegen schon gut klappt, ist das Landen oft noch ein Problem
Auch wenn das Fliegen schon gut klappt, ist das Landen oft noch ein Problem

Soeben flügge gewordene Wellensittiche durchleben eine gefährliche Zeit. In freier Natur kommt es unter Jungvögeln aller Arten in dieser Phase des Lebens zu sehr vielen Todesfällen. Die gerade die Welt entdeckenden Vögel sind noch unerfahren, was potenzielle Gefahren angeht. Außerdem haben sie ihre körperlichen Fähigkeiten noch nicht voll perfektioniert, sprich sie fliegen noch nicht sonderlich sicher. Hinzu kommt, dass sie noch einige Tage darauf angewiesen sind, durch ihre Eltern mit Nahrung versorgt zu werden. Fallen die Eltern als „Futterbringer“ aus, kann dies den Nachwuchs auch jetzt noch das Leben kosten, obwohl die jungen Vögel bereits ziemlich erwachsen aussehen.

In der Obhut des Menschen gehaltene Wellensittiche sind vor Fressfeinden meist sicher – es sei denn, im selben Haushalt leben Hunde und/oder Katzen, die freien Zugang zu den jungen, unerfahrenen Vögeln haben. Die Gefahr, dass sich die unerfahrenen Wellensittiche den anderen Haustieren zu unerschrocken und vielleicht auch zu „unverschämt“ nähern und von ihnen verletzt werden, ist besonders groß. Ein Großteil der Unfälle, die junge Wellensittiche kurz nach dem Flüggewerden erleiden, hat aber mit etwas anderem zu tun: Sie können zwar bereits ein wenig fliegen, aber noch nicht sonderlich gut manövrieren und bremsen. Ihre Landungen sind anfangs sehr holprig und Bruchlandungen sind in den ersten Tagen keine Seltenheit. Dabei kann es zu Verletzungen wie Platzwunden oder Knochenbrüchen kommen. Außerdem kann es geschehen, dass die jungen Wellensittiche gegen ein noch unbekanntes Hindernis prallen – typischerweise sind dies Glasscheiben, also Fenster, Glastüren oder Spiegel. Manchmal prallen die jungen Wellensittiche auch gegen Wände oder die Zimmerdecke, nachdem sie ein Wendemanöver nicht richtig ausführen konnten.

Manche Flüge enden mit Bruchlandungen auf dem Boden – oder auf den Pantoffeln des Halters
Manche Flüge enden mit Bruchlandungen auf dem Boden – oder auf den Pantoffeln des Halters

Bedauerlicherweise brechen sich manche Jungvögel bei solchen Unfällen das Genick und sind auf der Stelle tot. Oder aber sie erleiden so schwere Verletzungen, dass sie ihr Leben lang körperliche Behinderungen zurückbehalten. Das kann beispielsweise ein Bruch der Schulter sein, der zu einer lebenslangen Flugunfähigkeit führt. Durch einen harten Aufprall kann außerdem der Schnabel brechen, was zu erheblichen Komplikationen bei der Nahrungsaufnahme führen kann. Oder es kann geschehen, dass sie mit dem Kopf gegen ein Hindernis prallen und infolge einer Einblutung in die Augen erblinden. Um schwere Kollisionsunfälle zu verhindern, ist es ratsam, die Umgebung gut abzusichern. Am besten lesen Sie sich in das Thema ein, es gibt dazu einen Beitrag über typische Gefahrenquellen.

Doch glücklicherweise überstehen die allermeisten jungen Wellensittiche diese ersten Tage außerhalb des Nestes ohne schwere Verletzungen und perfektionieren ihre Flugkünste. Zudem lernen sie, sich selbst zu ernähren. Falls in dieser Zeit die Eltern nicht mehr zum Füttern bereitstehen, kann zur Not der Mensch helfen und die jungen Wellensittiche mit Handaufzuchtfutter unterstützen. Es reicht dann meist aus, es zuzufüttern. Denn normalerweise können die Vögel bereits ein paar Körnchen entspelzen und so zumindest einen Teil der täglich benötigten Nahrungsmenge selbst „erarbeiten“.

Titelbild dieser Seite © Petra Schröder