Immer wieder sonntags

Der Winter war lang und dunkel, aber jetzt ist der Frühling endlich da. Die ersten Sonnenstrahlen kriechen am frühen Morgen unter unsere Augenlider und weil wir Wellensittiche sind, wachen wir sogleich auf und sind natürlich augenblicklich munter. Vom rötlichen Schein des heranbrechenden Tages geweckt, wollen wir die aufgehende Sonne begrüßen. Morgens um halb sechs dringt das erste sanfte Gezwitscher aus der Kehle meines Schwarmkollegen Charly, dann stimmt Nik mit ein und später sogar Brunhilde.

Es ist schön, von den Strahlen der Sonne wach geküsst zu werden und dann noch ein wenig den Träumen der Nacht nachzuhängen, während die herrlichen Töne des melodiösen Gesangs vieler Freunde an meine Ohren dringen. Ihr Lobgesang an den Frühling wird immer lauter und fröhlicher, der Tag verspricht wundervoll zu werden. Doch dann schneit plötzlich die personifizierte Wut in unsere Morgenidylle: Die Federlose kommt angelaufen und sie ist ziemlich sauer.

"Verdammt noch mal, es ist erst sechs Uhr morgens, wir haben Sonntag und ich möchte ausschlafen. Wann kapiert ihr endlich, dass mir der Sonntag heilig ist?", beginnt sie zu motzen, während sie mit verquollenen Augen und mürrischem Gesichtsausdruck unser Frühstück anschleppt. Kein Lächeln, kein freundliches Wort wie sonst. Dabei stehen wir jeden Morgen zur selben Zeit auf. Verlässlich sind wir, durchschaubar und keine Morgenmuffel. Was man von unserer Federlosen nicht behaupten kann. Zumindest sonntags nicht.

Ist es nicht eine Unverschämtheit, gerade uns vorzuwerfen, dass wir fröhlich sind? Ich meine, was können wir denn dafür, dass die Sonne zu dieser Jahreszeit früh aufgeht und uns das Licht dazu bringt, aus voller Kehle unsere Lebensfreude heraus zu zwitschern? Federlose geben immer vor, uns zu mögen und uns zu verstehen. Aber ihr wahres Gesicht zeigen sie sonntags am frühen Morgen. Missmutig sind sie, übellaunig und ganz nebenbei bemerkt auch total unlogisch.

Anstatt sich einen gesunden Biorhythmus zuzulegen und jeden Tag zur selben Zeit aufzustehen, wollen sie sonntags ausschlafen. Warum machen sie es nicht wie wir und halten immer dann eine Siesta, wenn ihnen danach ist? Tagsüber schlafen oder dösen wir oft, das tut gut und macht ausgeglichen. Dann braucht man auch nicht am Sonntagmorgen so gereizt zu sein! Und außerdem schlägt Ärger aufs Herz, jawohl!

Genau das wollte ich meiner Federlosen heute Morgen klar machen, als ich mich in ihre Nähe setzte und ihr eine Moralpredigt vorzwitscherte, während sie das Basilikum am Käfig festklemmte. Eigentlich tut sie mir nämlich leid. Ist schon schlimm, wenn man an einem so schönen Morgen derart schlechte Laune hat, findet Ihr nicht? Wisst Ihr, was diese undankbare Kreatur mir geantwortet hat? - "Halt - die - Klappe, Hansine!" Das waren ihre Worte, hervorwürgt in einem so was von scharfen Tonfall, dass ich erschrocken zusammenzuckte.

Kurz und bündig wischte sie all meine Argumente vom Tisch, diese übellaunige Ignorantin. Sie stapfte davon und ich hörte die Schlafzimmertür hinter ihr zufallen. Sicher hat sie sich wie jeden Sonntag wieder ins Bett gelegt und sich diese komischen Schaumstoffdinger in die Ohren gestopft, um unsere Lobgesänge an den Frühlingsmorgen nicht hören zu müssen, während sie ausschläft.

Ganz schön bescheuert, so viel vom Tag zu verpassen und lieber zu schlafen. Und obendrein auch noch so frech zu uns zu sein! Nein, das geht gar nicht. Ich habe beschlossen, ihr nächsten Sonntag in der Früh eine ordentliche Standpauke zu halten. Mal sehen, ob sie sich von meinem Sonnenaufgangs-Gezwitscher endlich überzeugen lässt. :-)

Ciao,
Eure Hansine

07.05.2006