Alana

Im Raum Aachen lebte Alana einst gemeinsam mit ein paar Artgenossen bei einem Vogelhalter, der seine Tiere zwar mochte. Doch die Unterbringung war nicht optimal, was insbesondere für Alana galt. Als Jungvogel hat sie einen Unfall erlitten – vermutlich schon im Nest -, bei dem beide Hüftgelenke ausgekugelt worden sind. Die dadurch entstandene extreme Beinfehlstellung war und ist dafür verantwortlich, dass der Vogel nicht stehen kann. Lediglich auf dem Bauch liegen und am Schnabel und an ein paar Krallen fixiert im Käfiggitter zu hängen, ist dem Wellensittichweibchen möglich. So fand sie auch ein Sozialarbeiter vor, der den Haushalt im Jahr 2019 besuchte: Am Gitter hängend und unfähig, sich am bunten Treiben der Artgenossen zu beteiligen.

Obwohl er selbst kein Vogelhalter war, erkannte Sascha die schwierige Lage des Weibchens und redete mit Engelszungen auf den Halter ein, um sie mitnehmen zu können, damit sie es künftig besser haben würde. Er hatte Erfolg und übergab das Weibchen, das damals einfach nur Welli genannt wurde, seiner Kollegin Dagmar. Sie ist dafür bekannt, ein Händchen für Vögel zu haben – allerdings vor allem für Wildvögel. Dagmar ist meine Kollegin beim Projekt Wildvogelhilfe.org, sie kümmert sich seit vielen Jahren um in Not geratene heimische Wildvögel. Ein paar Ziervögel leben ebenfalls bei ihr, nur keine Wellensittiche. Die schwer gehandicapte Wellensittichdame war bei Dagmar allein unter Nymphensittichen, hatte aber in der Voliere immerhin mehr Platz und ihr wurden Liegemöglichkeiten angeboten.

Weil Dagmar wusste, dass mein Vogelzimmer speziell für Tiere mit körperlichen Einschränkungen eingerichtet ist, erzählte sie mir von dem Weibchen und wir vereinbarten, dass ich Welli, wie sie noch immer hieß, aufnehmen würde. Am 11. August 2019 traf die Vogeldame bei mir ein. Da sie glücklicherweise von ihrer Beinfehlstellung abgesehen kerngesund war, durfte sie sofort ins Vogelzimmer einziehen. Und sie erhielt ihren neuen Namen – Alana sollte sie fortan heißen.
Als Alana hier eintraf, war ihr Kopf voller Federscheiden von der Mauser, die kein Vogel beim Kraulen gelöst hatte. Weil sie sich selbst nicht am Kopf kratzen kann – wegen ihrer extremen Beinfehlstellung ist ihr das nicht möglich -, konnte sie sich auch nicht selbst helfen. Sie wirkte anfangs sehr schüchtern, aber durchaus neugierig. So, wie sie es kannte, hängte sie sich seitlich an Käfige und schaute sich um. Die vielen anderen ebenen Landeplätze wie die Korkrinde und dergleichen flog sie am ersten Tag noch nicht an. Alles war zu neu für sie, und natürlich auch sehr aufregend. Meine anderen Wellensittiche verhielten sich ihr gegenüber freundlich. Vor allem der Casanova Ole war gleich zur Stelle und nahm den hübschen Neuankömmling gleich in Augenschein. Alana gefiel es sichtlich, dass ihr Aufmerksamkeit von ihresgleichen entgegengebracht wurde. Mir gegenüber verhielt sie sich hingegen reserviert, zahm war sie nicht, wie es schien.

Am ersten Abend blieb mir nichts anderes übrig, als bis zum Einsetzen der Dämmerung zu warten und sie dann vorsichtig mit den Händen einzufangen, um sie in ihren neuen Schlafkäfig – natürlich mit kleiner Liege – zu setzen. Ich befürchtete, sie würde panisch reagieren, was aber nicht der Fall war. Im Dämmerlicht war sie völlig entspannt und blieb zu meinem größten Erstaunen einfach auf meiner Hand liegen, während ich sie zum Schlafkäfig trug. Das war ein vielversprechender Anfang, wie ich fand. Am dritten Abend wagte ich einen Vorstoß: Als sie auf meiner Hand lag, um sich quasi „ins Bett“ bringen zu lassen, berührte ich sehr vorsichtig mit dem Finger ihren Kopf und rieb über die vermutlich stark juckenden Federscheiden. Alanas Verwunderung dauerte nur Sekundenbruchteile, dann erkannte sie, dass es sich angenehm anfühlte. Sofort drehte sie mir bereitwillig den Nacken hin und stellte die Federn auf – das war eine unmissverständliche Aufforderung zum Köpfchenkraulen!

Seitdem ist das abendliche Kraulen vor dem Einschlafen für uns ein festes Ritual. Nach wie vor genießt Alana es sehr, wenn ich ihren Kopf massiere und vorsichtig Federscheiden mit den Fingern öffne, sofern gerade durch die Mauser welche vorhanden sind. Wirklich zahm ist die Vogeldame allerdings nicht, am Tage will sie nichts von mir wissen. Da hat sie immer viel zu tun und beschäftigt sich ausgiebig mit den anderen Wellensittichen. In Sue hat sie eine gute Freundin gefunden, die beiden Mädels sitzen gern zusammen – oder besser gesagt: Sue sitzt und Alana liegt in ihrer Nähe. Ole, der eigentlich Elses Partner war, flirtete sehr häufig mit Alana und fütterte sie gern. Manchmal kraulte er auch ihr Köpfchen, was dann wiederum Else verärgerte. Deshalb verwundert es nicht, dass Alana und sie nicht gerade die besten Freundinnen waren. Aber wirklich aggressiv ging es zwischen den beiden gefiederten Damen zum Glück nicht zu – inzwischen lebt Else leider nicht mehr. In Helios fand Alana schnell einen neuen Partner, bis er leider im Mai 2022 aus dem Leben schied. Außerdem ist Alana sehr eng mit Sue befreundet. Außerdem flirtete sie zu dessen Lebzeiten gern mit Jupp, wenn Helios gerade mal nicht hinschaut. Oder mit Hüterich – sie liebt die Abwechslung. Auch mit den Katharinasittichen kommt Alana sehr gut zurecht und die Diamanttäubchen scheint sie genauso zu mögen. Sie akzeptiert es, wenn Pema und Pia sich direkt neben ihr auf die Korkröhre legen. So mancher Wellensittich darf das nicht!

Mit der Zeit hat Alana viele für sie bequeme Plätze im Vogelzimmer gefunden. Nicht von allen hätte ich angenommen, dass sie sie mögen würde. Auf mich wirkt es teilweise etwas unbequem, wie meine gehandicapte Vogeldame daliegt. Aber nicht ich muss mich wohlfühlen, sondern Alana. Wichtig ist, dass ich ständig ihre Beingelenke auf eventuelle Schwellungen kontrolliere. Denn leider entwickeln Vögel mit so starker Beinfehlstellung oft schon in jungen Jahren Arthritis. Zwar kenne ich Alanas genaues Alter nicht, aber sie war vermutlich nicht älter als zwei Jahre, als sie in meine Obhut gelangte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich regelmäßig ihre Brust und ihren Bauch kontrolliere. Dadurch, dass Alana sehr viel bäuchlings liegt, könnten sich wunde Stellen und Liegegeschwüre entwickeln. Bisher ist das zum Glück nicht passiert, und ich hoffe, es lässt sich auch in Zukunft vermeiden.
Ich bin froh, Alana aufgenommen zu haben. Mit ihrem fröhlichen Wesen ist sie eine echte Bereicherung für den Vogelschwarm. Außerdem ist es ungemein beeindruckend, wie erfinderisch sie ist, um in ihrem Umfeld zurechtzukommen und ihre körperliche Einschränkung auszugleichen.