Faule Ausreden und verbreitete Irrtümer

Ein Einzelwellensittich in seinem viel zu kleinen Käfig
Ein Einzelwellensittich in seinem viel zu kleinen Käfig

Um die Einzelhaltung – oftmals wider besseres Wissen – vor sich selbst und anderen Menschen zu rechtfertigen, greifen manche Vogelhalter auf bestimmte Argumente und Ausreden zurück. Diese sind in aller Regel äußerst fadenscheinig, wenn man sie einmal genauer betrachtet. Für einen Tierfreund, dem das Wohl seiner Pfleglinge bedingungslos und möglichst ohne Egoismus am Herzen liegt, sollten diese vermeintlichen „Fakten“ jedoch nicht von Bedeutung sein.

Doch was sind das für Aussagen, die zur Rechtfertigung der Einzelhaltung von Ziervögeln häufig genannt werden? Und weshalb sollte man sie nicht glauben? Das erfahren Sie in diesem Beitrag.

Zu zweit/zu mehreren gehaltene Vögel werden nicht zahm

Obwohl Wellensittichweibchen Rana in einem großen Schwarm lebte und viele Beziehungen zu Artgenossen pflegte, war sie sehr zahm
Obwohl Wellensittichweibchen Rana in einem großen Schwarm lebte und viele Beziehungen zu Artgenossen pflegte, war sie sehr zahm

Diese Aussage ist falsch. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass paarweise oder im Schwarm gehaltene Wellensittiche oder andere Heimvögel ihrem Halter gegenüber sehr zutraulich werden. Etliche meiner eigenen Vögel, die ich grundsätzlich im Schwarm halte, bilden hier keine Ausnahme. Obwohl viele von ihnen aus schlechten Haltungsbedingungen stammen und negative Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, bevor sie in meine Obhut gelangt sind, sind viele Vögel mir gegenüber sehr vertrauensvoll oder gar ausgesprochen anhänglich.

Zugegebenermaßen stimmt es, dass das Zähmen eines Einzelvogels oft leichter ist als das Zähmen von Wellensittichen, die paarweise oder als Teil einer Gruppe von Artgenossen gehalten werden. Der Halter muss sich in diesem Fall mehr Mühe geben, um das Vertrauen und schließlich die Freundschaft seiner gefiederten Pfleglinge zu gewinnen. Doch möglich ist es in nahezu jedem Fall. Den Mehraufwand sollte es einem verantwortungsbewussten Vogelhalter wert sein.

Leider erwarten manche Menschen jedoch, dass sie zum Lebensmittelpunkt ihrer Vögel werden und interpretieren dies als „mein Vogel liebt mich“. Diese Erwartungshaltung an die Tiere ist höchst ungünstig. Sie setzt voraus, dass die Einzelvögel sich auf den Menschen fixieren und somit fehlprägen, und das oft mit fatalen Folgen für die Psyche der Tiere. Extrem anhängliche Einzelvögel, die ständig um die Aufmerksamkeit ihrer Bezugsperson buhlen und eventuell sogar die menschliche Sprache nachahmen, um besonders viel Zuwendung zu erlangen, verhalten sich nicht arttypisch. Es mag eine unbequeme Wahrheit sein, aber diese Vögel sind häufig stark verhaltensauffällig. Im umgangssprachlichen Jargon würde man sagen, sie sind „gestört“. Es ist egoistisch, von einem Heimvogel zu erwarten, dass er zum vermeintlichen besten Freund wird und dabei in Wahrheit aber stark verhaltensgestört ist. Hierbei wird völlig außer Acht gelassen, welches Unrecht dem Tier angetan wird. Echte und vor allem ehrliche Tierliebe sollte sich anders äußern als im Wunsch nach einem „superzahmen“ Einzelvogel.

Aber dann können die doch nicht sprechen!

Auch Wellensittiche, die nicht 'sprechen', also die menschliche Sprache nachahmen können, sind charmant
Auch Wellensittiche, die nicht ’sprechen‘, also die menschliche Sprache nachahmen können, sind charmant

Es kann durchaus niedlich klingen, wenn ein Sittich oder ein Papagei die menschliche Sprache nachahmt. Doch die Tiere haben weitaus mehr zu bieten als ihr Nachahmungstalent. Sie darauf zu reduzieren, dass sie „sprechen“ können sollen, wäre ihnen gegenüber mehr als unfair.

Ohne den Wellensittichen und anderen Ziervögeln zu nahe treten zu wollen, aber wir Menschen sind intelligenter als sie. Deshalb ist es doch an sich naheliegend, dass wir Menschen ihre Sprache erlernen und nicht umgekehrt. Zumal ein sprechender Wellensittich in fast allen Fällen sehr wahrscheinlich ohnehin kaum wirklich weiß, was er gerade „erzählt“. Er kann allenfalls bestimmte Lautäußerungen (=Worte) mit bestimmten Situationen und daraus resultierenden Reaktionen seines Halters in Zusammenhang bringen. Vor allem einzeln gehaltene Vögel versuchen häufig, die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich zu ziehen. Sprechende Vögel haben gelernt, dass sie dies durch das Sprechen hervorragend bewerkstelligen können. Gewissermaßen haben sie ihre Menschen „erzogen“: Wenn sie sprechen, kommt die Bezugsperson angelaufen und gibt dem Vogel die von ihm gewünschte – und dringend benötigte! – Aufmerksamkeit. Wer sich das einmal überlegt, dem dürfte rasch klar werden, dass ein vernunftbegabter und verantwortungsvoll handelnder Vogelhalter so etwas vermeiden sollte.

Als Alternative empfiehlt es sich, mehrere Vögel zu halten und die Körpersprache der Wellensittiche kennenzulernen. Durch ihre Körperhaltung, ihre Aktionen sowie durch ihre natürlichen Lautäußerungen teilen sie ihrem Umfeld sehr viel über sich und ihre aktuelle Gefühlslage mit. Wellensittichen dabei zuzusehen, wie sie miteinander umgehen, ist unglaublich interessant und spannend.

Abschließend sei noch zu erwähnen, dass es einige Wellensittiche gibt, die über ein großes Nachahmungstalent verfügen und die menschliche Sprache erlernen, obwohl sie paarweise oder im Schwarm gehalten werden. Wenn ein nicht einzeln gehaltener Vogel spricht, ist es ein Ausdruck seiner hohen Intelligenz, dass er einerseits seine arteigenen Kontakte pflegen und andererseits den Kontakt zu seinem Halter intensiv aufrechterhalten kann. Insofern muss es nicht unbedingt in jedem Fall etwas Schlechtes sein, wenn ein Wellensittich spricht oder man sich daran erfreut.

Zu zweit/zu mehreren machen Wellensittiche aber mehr Dreck!

Wellensittiche machen Dreck – tägliches Putzen steht unabhängig davon an, ob man einen Vogel oder mehrere hält
Wellensittiche machen Dreck – tägliches Putzen steht unabhängig davon an, ob man einen Vogel oder mehrere hält

Diese Aussage ist tatsächlich wahr. Zwei Vögel oder gar mehrere Wellensittiche machen definitiv mehr Dreck als nur einer. Aber der Arbeitsaufwand, den ein zweiter Vogel verursacht, lässt sich auf eine Woche umgerechnet in Minuten messen. Hält man einen kleinen Schwarm, sieht das freilich ein wenig anders aus, dann ist der Aufwand durchaus größer. Meine Vögel haben ein ganzes Zimmer für sich und ich verbringe darin jede Woche etwa drei bis vier Stunden mit Aufräumarbeiten. Da ich aber viele Problemvögel halte, ist der Arbeitsaufwand um ein Vielfaches höher als der für ein Wellensittichpärchen, das in einem Käfig schläft und tagsüber während seiner Freiflugzeit seine Lieblingskletterbäume und Sitzplätze außerhalb des Käfigs aufsucht.

Das Maß an Freude, das ein Artgenosse seinem gefiederten Freund und auch dem Halter bringt, dürfte die zusätzliche Arbeit und die geringfügig erhöhte Menge Schmutz allemal wettmachen.

Zwei oder mehr Vögel sind mir aber zu laut

In der Gruppe – und auch zu zweit – zwitschern Wellensittiche in der Summe lauter als Einzelvögel, weil mehrere Stimmen zusammenkommen. Trotzdem kann es sogar sein, dass die Vögel bei einer Paar- oder Gruppenhaltung insgesamt leiser sind als bei der Einzelhaltung. Denn ein einsamer Vogel, der buchstäblich um Aufmerksamkeit schreit, wird dies eventuell den gesamten Tag über tun und ständig schrille Kontaktrufe von sich geben, wenn sein Mensch nicht in der Nähe ist oder sich nicht mit ihm beschäftigt. Diese ständigen Rufe empfinden viele Menschen als nervtötend und befürchten, dass sie umso häufiger und intensiver vorgetragen werden, wenn man mehrere Wellensittiche hält. Aber das Gegenteil ist der Fall. Weil die Vögel dann permanent Artgenossen um sich herum haben, brauchen sie nicht fortwährend Kontaktrufe von sich zu geben.

Ich habe nicht genügend Platz für zwei/mehr Vögel

Ein Pärchen Wellensittiche benötigt nur geringfügig mehr Platz als ein einzelner Vogel. Wer also ernsthaft argumentieren möchte, es sei für einen zweiten Vogel keinen Platz, der hält seinen Einzelvogel sehr wahrscheinlich unter viel zu beengten Bedingungen. Damit ist die Haltung nicht nur in Bezug auf die fehlenden Artgenossen nicht artgerecht, sondern auch bezüglich des zu gering bemessenen Platzangebotes.

Mehr als ein Vogel – das ist mir zu teuer

Sind Wellensittiche krank, sollten sie jede nötige Hilfe erhalten, die sie benötigen – die Kosten sollten keine Rolle spielen
Sind Wellensittiche krank, sollten sie jede nötige Hilfe erhalten, die sie benötigen – die Kosten sollten keine Rolle spielen

Ob man einen oder zwei Wellensittiche hält, wirkt sich auf die alltäglichen Kosten nur geringfügig aus. Die Einstreu muss sowohl für einen als auch für zwei Vögel regelmäßig gewechselt werden – Vogelsand beispielsweise täglich. Vogelfutter ist nicht allzu teuer, so dass die doppelte Menge nur mit einem sehr kleinen Betrag zu Buche schlägt. Ob in einem ausreichend großen Käfig ein Vogel oder zwei Wellensittiche leben, ist an sich ebenfalls egal – zumindest hinsichtlich des Platzes. Das heißt, auch für einen Einzelvogel sollte der Käfig mindestens 1,5 m breit, 1,0 m hoch und 0,6 m tief sein. Darin kann ein zweiter Vogel problemlos untergebracht werden und es entstehen dadurch keine Extrakosten. Lediglich wenn mehr als zwei Wellensittiche gehalten werden, muss die Behausung entsprechend erheblich größer sein und ist entsprechend teurer.

Demzufolge bedeutet die Paarhaltung von Wellensittichen im Alltag kaum eine höhere finanzielle Belastung als die Einzelhaltung. Im Krankheitsfall ist die Situation sicherlich anders zu bewerten. Es macht durchaus einen Unterschied, ob ein Vogel behandelt werden muss oder zwei. Jedoch sollten die Sorge, es könnten hohe Tierarztkosten auf einen zukommen, niemals als Argument für die Einzelhaltung missbraucht werden. Denn auch einzeln gehaltene Wellensittiche können so schwer erkranken, dass kostspielige Behandlungen und Operationen erforderlich sind. Unabhängig davon, ob man einen Wellensittich oder zwei hält – für die Tiere sollten pro Jahr einige Hundert Euro als Sicherheit für eventuelle Tierarztkosten einkalkuliert werden. Das mag nun hart klingen, aber: Wer das nicht gewährleisten kann, sollte sich gut überlegen, ob es tatsächlich sinnvoll ist, die Verantwortung für diese Lebewesen zu übernehmen.