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Zähmen von Wellensittichen

Hinweis: Die in diesem Beitrag erläuterten Zusammenhänge beziehen sich auf Wellensittiche. Auf andere Vogelarten sind die Angaben nicht in jedem Fall direkt übertragbar, sie gelten aber durchaus für eine ganze Reihe anderer Heimvogelspezies.
Eine wichtige Anmerkung vorweg
Mich erreichen zahllose E-Mails, in denen mich Vogelhalter fragen, ob ich weitere Tipps zum Zähmen geben könne, weil ihnen das in diesem Kapitel Gesagte offenbar nicht genügt. Liebe angehende Fragesteller, schreiben Sie mir bitte nicht, denn ich habe leider wirklich keine weiteren Tipps für Sie! Alles, was ich zum Thema Zähmen zu sagen habe, habe ich der Einfachheit halber hier niedergeschrieben. Ich enthalte Ihnen keinerlei Informationen vor, allein schon deshalb nicht, weil mir die Zeit fehlt, in den vielen E-Mails immer wieder dasselbe ausführlich zu erklären. Alles, was ich an Tipps und Tricks kenne, finden Sie hier. Ehrenwort! 🙂
Diesem zahmen Wellensittich gefällt die Nähe des Menschen, obwohl der Vogel in einem Schwarm lebt.
Diesem zahmen Wellensittich gefällt die Nähe des Menschen, obwohl der Vogel in einem Schwarm lebt.

Wer sich von diesem Kapitel die perfekte Anleitung für das Zähmen von Wellensittichen oder anderen Heimvögeln erhofft, dem sei gleich vorab gesagt: Es existiert kein Patentrezept, mit dem man jeden Vogel garantiert und ohne Probleme nach einem festgelegten Schema innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zähmen kann. Wellensittiche sowie andere Vögel sind genau wie Menschen individuelle Persönlichkeiten. Bei den Bemühungen, die Tiere zu zähmen, sollte dieser Umstand unbedingt berücksichtigt werden. Ein scheuer Vogel sollte erheblich sanfter behandelt werden als ein neugieriges, unerschrockenes Tier. Außerdem darf man beim Zähmen die eigenen Erwartungen an die Tiere niemals zu hoch ansetzen. Es sind viel mehr die kleinen Ziele, die man ins Auge fassen sollte. Geduld ist bei der Zähmung eines Wellensittichs oder eines anderen Vogels ausgesprochen wichtig, und Respekt vor den individuellen Eigenheiten des jeweiligen Tieres hat ebenfalls noch nie geschadet.

Im Folgenden erfahren Sie, welche grundlegenden Schritte Sie bei Ihrem Vorhaben, einen Vogel oder mehrere Tiere zu zähmen, auf jeden Fall befolgen sollten.

1. Schritt: Ein für den Vogel angenehmes Umfeld schaffen

Sind Vögel erst einmal sehr zutraulich, schlafen sie manchmal sogar gern auf der Schulter des Menschen.
Sind Vögel erst einmal sehr zutraulich, schlafen sie manchmal sogar gern auf der Schulter des Menschen.

Nur wenn sich der Vogel in seinem Umfeld wohl und sicher fühlt, wird er sich auf den Menschen und die Zähmungsversuche konzentrieren können. Sorgen Sie bei ihren aktiven Zähmungsversuchen für Ruhe in der Umgebung. Es sollte also beispielsweise kein Fernseher nebenbei laufen, es sollten nach Möglichkeit keine weiteren Personen den Raum betreten/verlassen oder durch diesen hindurchlaufen und es sollten auch keine Hunde oder Katzen in der Nähe sein, die den Vogel einschüchtern könnten.

Falls sich eine zweite Person im Raum befindet, verhält sich diese am besten ruhig und bleibt im Hintergrund, weil sie den Vogel sonst ablenken oder gar erschrecken könnte. Sofern Sie beim Zähmen Musik hören möchten, entscheiden Sie sich am besten für möglichst ruhige Stücke und spielen Sie sie nur in geringer Lautstärke ab. Anderenfalls könnten die Klänge den Vogel ablenken oder gar einschüchtern. Am besten wäre es, ohne Musik zu trainieren.

Wer das Vertrauen seiner Vögel gewinnen möchte, sollte beim Training keine grell gefärbte Kleidung und keinen allzu auffälligen Schmuck tragen, um die Vögel nicht abzulenken; oft ist sogar eine Brille schon problematisch.
Wer das Vertrauen seiner Vögel gewinnen möchte, sollte beim Training keine grell gefärbte Kleidung und keinen allzu auffälligen Schmuck tragen, um die Vögel nicht abzulenken; oft ist sogar eine Brille schon problematisch.

Tragen Sie außerdem keine bunte, auffällige Kleidung und vermeiden Sie rote Kleidungsstücke. Rot ist in der Natur eine Signal- und Warnfarbe, weshalb sich viele Vögel vor roter Kleidung fürchten. Bunte Muster, wallende Stoffstücke wie weite Ärmel oder Schals können besonders sensible Tiere ebenfalls verängstigen. Tragen Sie außerdem keinen auffälligen, glitzernden oder gar klappernden Schmuck. Alles, was den Vogel ablenken oder erschrecken könnte, sollten Sie vor den ersten Annäherungen an das Tier ablegen.

Trainieren Sie nur dann mit Ihrem Vogel, wenn Sie selbst entspannt sind und nicht unter Zeitdruck stehen. Wenn wir Menschen schlechte Laune haben oder angespannt sind, überträgt sich dies häufig auf die Tiere. Sie fühlen sich dann unwohl und viele Vögel würden sich deshalb am liebsten vor uns zurückziehen. Eine solche Situation wäre nicht förderlich für den Aufbau einer Beziehung zu einem Tier. Und achten Sie bei dem Vogel unbedingt auf dessen Körpersprache. Wenn er Zeichen von Angst und Anspannung zeigt, ziehen Sie sich lieber zurück und versuchen Sie es zu einem anderen Zeitpunkt, mit ihm zu trainieren.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass die einzelnen Trainingseinheiten nicht zu lang sein sollten. Fangen sie mit kurzen Übungseinheiten an, die nicht länger als zwei Minuten sind. Lassen Sie ihrem Tier danach wieder Zeit für sich, falls Sie merken, dass der Vogel sich zurückziehen möchte oder beim Training nicht mehr konzentriert mitmacht.

2. Schritt: Das Vertrauen des Vogels gewinnen

Bitte nicht stören: Einen schlafenden Vogel sollte man in Ruhe lassen und ihn auf keinen Fall überrumpeln.
Bitte nicht stören: Einen schlafenden Vogel sollte man in Ruhe lassen und ihn auf keinen Fall überrumpeln.

Am leichtesten gelingt die Zähmung eines Wellensittichs, wenn der Vogel zunächst einmal Vertrauen zu seiner Bezugsperson fasst und seine Scheu vor Menschen ablegt. Ein neu entstehendes Vertrauensverhältnis zerbricht leicht, wenn dem Menschen Fehler unterlaufen und sie das Tier einschüchtern oder ihm das Gefühl geben, es werde zu etwas gezwungen. Vermeiden sollten Sie deshalb Dinge wie hektische Handbewegungen in der Nähe des Vogels oder ein unerlaubtes Eindringen in seine Privatsphäre, wenn man ihn beispielsweise berührt, während er seine Ruhe haben möchte. Ihr Vogel wird Ihnen nur dann vertrauen, wenn er sich sicher sein kann, dass Sie ihn nicht bedrängen und es akzeptieren, wenn er sich zurückziehen möchte. Es ist deshalb wichtig, die Körpersprache der Wellensittiche zu kennen. Dies versetzt Sie dazu in die Lage, die Stimmungen und Empfindungen der Vögel an ihrer Körperhaltung abzulesen. Vor allem dann, wenn Sie mit den Vögeln trainieren, ist es extrem hilfreich, ihre Gefühlsregungen zu erkennen. In diesem Zusammenhang sei außerdem noch erwähnt, dass Sie niemals einen schlafenden Vogel überrumpeln sollten. Sie würden ihn sehr wahrscheinlich erschrecken und er würde sich diese unangenehme Erfahrung merken. Das wäre keine gute Basis für Ihr Training zum Zähmen des Vogels.

Dieser Wellensittich liebt es, gekrault zu werden und ist damit eine Ausnahme; die meisten Vögel mögen solche Berührungen nicht.
Dieser Wellensittich liebt es, gekrault zu werden und ist damit eine Ausnahme; die meisten Vögel mögen solche Berührungen nicht.

Einer der größten Fehler ist es, einen noch nicht gezähmten Vogel gegen seinen Willen in die Hand zu nehmen oder mit der Hand seinen Körper zu berühren, also ihn zu streicheln. Vögel sind keine Kuscheltiere und die meisten mögen es nicht, wenn sie in die Hand genommen werden. Streicheleinheiten und Berührungen lassen nur sehr zutrauliche Vögel zu, die sehr großes Vertrauen in den Menschen haben. Doch warum ist es für Vögel so unangenehm, in die Hand genommen oder angefasst zu werden? Wild lebende Vögel müssen in der Natur ständig auf der Hut vor Fressfeinden sein. Sie wissen instinktiv, dass sie sehr wahrscheinlich gleich getötet werden, wenn sie gegriffen werden. Zum Beispiel packen Greifvögel mit den Füßen zu und halten ihre Beute fest.

Ein nicht zahmer Vogel, der von einer Hand gejagt und dann umklammert wird, hat somit Todesangst. Das gilt nicht nur für Wildvögel, sondern auch für in Menschenobhut lebende Tiere, die nicht zutraulich sind. Ihr Instinkt sagt ihnen, das Anfassen mit höchster Gefahr für sie verbunden ist, auch wenn wir Menschen ihnen eigentlich gar nicht nach dem Leben trachten. Doch das wissen die Vögel nicht, für sie ist es über alle Maßen beängstigend, eingefangen zu werden. Grundloses Anfassen oder Greifen eines Vogels sollte deshalb nicht nur während der Zähmungsphase absolut tabu sein. Ignorieren Sie deshalb bitte den leider im Internet noch immer kursierenden Ratschlag, einen Vogel lange festzuhalten, damit er sich an die Hände gewöhnt. Sie erreichen damit in den allermeisten Fällen das Gegenteil, der Vogel wird Ihnen nicht mehr trauen.

Mit seiner angespannten Körperhaltung signalisiert dieser Wellensittich, dass ihm die Annäherung des Menschen nicht behagt; das Training sollte nun beendet werden.
Mit seiner angespannten Körperhaltung signalisiert dieser Wellensittich, dass ihm die Annäherung des Menschen nicht behagt; das Training sollte nun beendet werden.

Konzentrieren Sie sich darauf, zunächst ein solides Vertrauensverhältnis aufzubauen. Gewöhnen Sie Ihre Tiere, mit denen Sie trainieren, anfangs behutsam an Ihre Anwesenheit, indem Sie sich vor den Käfig oder die Zimmervoliere stellen und beruhigend mit den Tieren sprechen. Die Stimmlage sollte dabei normal sein und man sollte nicht zu laut sprechen. Regt sich der Vogel zu sehr auf, sollte man den Abstand zwischen sich und dem Tier erst einmal wieder vergrößern. Mit der Zeit kann man sich dem Vogel in kleinen Schritten wieder nähern, wobei er auf keinen Fall erneut nervös werden sollte. Idealerweise nähern Sie sich einem Vogel, den Sie zähmen möchten, von unten oder allenfalls auf Augenhöhe, aber nie von oben. Überragt man ihn und blickt man auf ihn hinab, fürchtet er sich instinktiv, weil in der Natur viele Angreifer von oben kommend zuschlagen.

3. Schritt: Langsamer Aufbau des direkten Blickkontaktes

Wer ruhig mit einem Vogel spricht und ihn entscheiden lässt, wie nah er herankommen möchte, gewinnt auf sanfte Weise das Vertrauen des Tieres.
Wer ruhig mit einem Vogel spricht und ihn entscheiden lässt, wie nah er herankommen möchte, gewinnt auf sanfte Weise das Vertrauen des Tieres.

Schauen Sie den Vogel anfangs niemals direkt an, wenn er noch nicht mit Ihnen vertraut ist. Durch das ihn fixierende Augenpaar wird ein Instinkt in ihm geweckt, der ihm sagt, dass Gefahr in Verzug ist. Fressfeinde starren ihre Opfer ähnlich an, bevor sie angreifen – und bei den meisten Beutegreifern sind die Augen im Gesicht nebeneinander angeordnet, also so wie beim Menschen. Die meisten Vögel hingegen sind sogenannte Fluchttiere, deren Überlebensstrategie die Flucht ist und nicht der Kampf; Fluchttiere sind unter anderem an ihren seitlich am Kopf angeordneten Augen zu erkennen. Was bedeutet das für die Zähmungsversuche? Erst dann, wenn sich Ihr Vogel in Ihrer Gegenwart entspannt verhält, sollten Sie einen längeren direkten Blickkontakt mit ihm herstellen. Dabei sollten Sie unbedingt weiter beruhigend mit ihm sprechen, damit er sich sicherer fühlt. Bald wird es ihn dann nicht mehr ängstigen, von seiner Bezugsperson direkt angeblickt zu werden, weil er lernt, dass ihm dadurch keine unmittelbare Gefahr droht.

4. Schritt: Gewöhnung an die Hand

Aus der Hand gereichte Leckerbissen wie Kolbenhirse helfen oft beim Zähmen.
Aus der Hand gereichte Leckerbissen wie Kolbenhirse helfen oft beim Zähmen.

Die nächste Lektion ist, den Vogel an die Hand zu gewöhnen. Dabei sollten Sie darauf achten, vor dem Käfig niemals hektische Handbewegungen auszuführen oder die Arme abrupt nach oben zu führen. So vermeiden Sie, dass sich Ihr Vogel erschreckt und die Hände mit dieser unangenehmen Erfahrung in Verbindung bringt. Man kann sich die Tatsache zu Nutze machen, dass die meisten Vögel sehr gern Kolbenhirse mögen. Nimmt man einen Hirsekolben in die Hand und hält ihn in die Nähe des Vogels, wird er mit der Zeit sicher den ersten Schritt wagen und ein wenig Hirse knabbern. Der Appetit wird letztlich siegen, obwohl die „böse Hand“, vor der sich die meisten Vögel anfangs instinktiv fürchten, in der Nähe ist. Nach einiger Zeit wird sich Ihr Vogel merken, dass die Hand nicht böse ist, sondern schmackhaftes Futter reicht. Meist akzeptiert sie dann in seiner Nähe, allerdings oft nur dann, wenn sie Futter „mitbringt“. Halten Sie deshalb immer wieder auch die Hand ohne Futter in die Nähe des Vogels, damit er dies als nicht bedrohlich kennenlernt.

Manche Wellensittiche werden so zahm, dass sie sich gern in die Hand eines Menschen legen und kraulen lassen.
Manche Wellensittiche werden so zahm, dass sie sich gern in die Hand eines Menschen legen und kraulen lassen.

Bei der Gewöhnung eines Vogels an die Hand kommt man häufig nur mit viel Geduld weiter. Bitte ignorieren Sie unbedingt Ratschläge von Menschen, die empfehlen, den Tieren einige Zeit das Futter zu entziehen, damit sie hungrig sind und dadurch viel schneller ihre Angst vor der Hand ablegen. Es ist zwar richtig, dass ein ausgehungertes Tier viel eher dazu bereit ist, ein Risiko einzugehen und sich der Hand, die ihm Futter reicht, zu nähern. Aber einen Vogel hungern zu lassen, nur weil man zu ungeduldig für eine artgerechte Zähmung ist, ist Tierquälerei. Zudem ist ein solcher Nahrungsentzug eine gefährliche Angelegenheit, weil Vögel je nach individuellem Ernährungszustand binnen kürzester Zeit verhungern können. Durch den Nahrungsentzug bringt man den Vogel in eine potenziell lebensgefährliche Situation. Zudem besteht die Gefahr, dass der Vogel ausschließlich zum Fressen auf die Hand kommt, weil er gerade völlig verzweifelt ist. Er merkt sich, dass in einer für ihn extrem unangenehmen Situation die Hand irgendwie „mit im Spiel“ war. Letztlich ist das keine durchweg positive Erfahrung für ihn und es ist nicht hilfreich, wenn man ein Vertrauensverhältnis auf- oder ausbauen möchte.

5. Schritt: Die Hand oder den Finger als Sitzplatz akzeptieren

Mit der Zeit akzeptieren viele Wellensittiche einen Finger als Sitzplatz.
Mit der Zeit akzeptieren viele Wellensittiche einen Finger als Sitzplatz.

Schwieriger ist es, den Vogel dazu zu bringen, auf den Finger oder die Hand zu klettern. Hat er sich einmal an die Hand gewöhnt, die ihm sein Futter reicht, kann man versuchen, die Kolbenhirse oder einen anderen Leckerbissen so festzuhalten, dass der Vogel ihn nur erreichen kann, indem er auf die Hand klettert.

Sinnvoll ist es, einem Vogel, der sich für das ihm angebotene Futter interessiert und der zudem die erste Scheu vor der Hand abgelegt hat, aufmunternd und behutsam gegen den Bauch zu klopfen. Es soll ein leichtes, nur gerade eben fühlbares Anstupsen sein, das ihm signalisiert: „Hier ist die Hand, Du kannst hinaufklettern.“ Dieses „Klopfsignal“ sollte man grundsätzlich einführen, auch wenn man anstelle der Hand ein Stöckchen als Sitzunterlage anbietet. Es ist hilfreich für den Vogel, weil er durch dieses Signal weiß, was von ihm erwartet wird. Weil Wellensittiche sehr klug sind, brauchen zahme und vertrauensvolle Vögel später kein „Klopfsignal“ mehr, um den ausgestreckten Finger oder das Stöckchen als Einladung zu empfinden. Übrigens können Sie alternativ auch versuchen, Ihren Vogel an ein bestimmtes Wort zu gewöhnen, zum Beispiel „auf“.

Das „Auf“-Kommando ist außerdem eines, das beim Clicker-Training von vielen Haltern geübt wird. Über diese spezielle Trainingsmethode informieren Ratgeber wie zum Beispiel die von Ann Castro.

Der richtige Zeitpunkt für die Zähmungslektionen

Abends, wenn Vögel noch nicht allzu müde, aber auch nicht mehr zu energiegeladen sind, kann man meist gut mit ihnen trainieren.
Abends, wenn Vögel noch nicht allzu müde, aber auch nicht mehr zu energiegeladen sind, kann man meist gut mit ihnen trainieren.

Wichtig ist zudem der richtige Zeitpunkt für die Zähmungsversuche. Passt man die Lektionen der Stimmung und dem natürlichen Tagesrhythmus eines Vogels an, lassen die Erfolge meist nicht lange auf sich warten. Tagsüber stecken Wellensittiche und andere Vögel voller Energie und reagieren oft entsprechend „flatterhaft“. In den Abendstunden ist ein Vogel hingegen meist erheblich ruhiger und deshalb in vielen Fällen auch aufnahmefähiger für Neues. Wenn der Vogel mit dem Schnabel knirschend zufrieden auf einer Stange sitzt, sollte man sich ihm vorsichtig und ohne Hektik nähern. Geht man dabei behutsam vor, wird sich das Tier bald an die Anwesenheit des Menschen gewöhnen und seine Angst verlieren. In dieser entspannten, fast schon ein wenig schläfrigen Stimmung sollte man das Tier aber nicht überfordern. Gehen Sie das Zähmungsvorhaben trotz aller Begeisterung unbedingt langsam an.

Sobald der Vogel unruhig wird, hat es keinen Sinn, weitere Zähmungsversuche zu unternehmen. Sie würden damit nur das Gegenteil von dem bewirken, was Sie eigentlich erzielen möchten. Einem bedrängten Vogel wird die Nähe des Menschen immer unangenehmer. Lieber sollte man sich zurückziehen und es am nächsten Tag erneut versuchen. Schließlich hat auch ein Vogel ein Recht auf ein wenig Ruhe, wenn er nicht in Stimmung für Zähmungslektionen ist.

Werden wirklich nur Jungvögel zahm?

Jungvögel werden oft etwas leichter zahm als Altvögel, aber es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel.
Jungvögel werden oft etwas leichter zahm als Altvögel, aber es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel.

In Inseraten liest man immer wieder: „Nestjunge Wellensittiche abzugeben.“ Junge Vögel sind bei vielen Kunden ausgesprochen beliebt. Deshalb stehen in Zoofachgeschäften und bei Züchtern meist Wellensittiche zum Verkauf, die gerade erst das elterliche Nest verlassen haben. Der Grund für die große Popularität nestjunger Wellensittiche ist, dass sich Jungtiere angeblich leichter zähmen lassen als Altvögel. Schenkt man besonders pessimistischen Aussagen Glauben, sind erwachsene Wellensittiche angeblich gar nicht mehr zu zähmen.

Das ist aber nicht richtig. In Wahrheit hängt es in den meisten Fällen von der Geduld des Tierhalters ab, ob seine Wellensittiche zutraulich werden oder nicht. Geht man falsch mit seinen Tieren um, werden auch nestjunge Wellensittiche nicht zutraulich. Ist man hingegen einfühlsam und geduldig, kann man sogar Vögel zähmen, die schon mehrere Jahre alt sind und bisher keinen Bezug zu Menschen hatten.

Allerdings ist es tatsächlich richtig, dass Jungvögel, die noch nie etwas Schlechtes erlebt haben, dem Menschen gegenüber häufig offener reagieren als Altvögel. Aber es gibt auch einen anderen Effekt: Etliche Jungvögel sind anfangs im neuen Zuhause recht zutraulich, sie zeigen noch die sogenannte „Kükenzahmheit“. Das heißt, sie sind noch sehr jung und deshalb relativ arglos. Doch innerhalb weniger Tage bis Wochen kann sich dies ändern. Sie verlieren die Kükenzahmheit und sind dann plötzlich dem Menschen gegenüber sehr scheu. Oft ist die Enttäuschung der frisch gebackenen Halter dann groß. Aber mit Geduld lassen sich die Tiere oftmals dazu bringen, den Menschen zu vertrauen und zahm zu werden.

Mehrere Vögel (gleichzeitig) zähmen

Zahm im Schwarm
Zahm im Schwarm

Oft wird behauptet, mehrere Vögel, die in einer Gruppe gehalten werden, lassen sich nicht zähmen – weder gleichzeitig, noch nacheinander. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Auch im Schwarm gehaltene Wellensittiche werden zutraulich, wenn man nur genügend Geduld aufbringt. Zugegebenermaßen ist es allerdings ungleich schwerer, mehrere Vögel gleichzeitig zu zähmen, als wenn man sich nur um das Vertrauen eines einzigen Vogels bemüht.

Es ist wichtig, immer am Ball zu bleiben und auch nach einigen Wochen ohne nennenswerte Fortschritte noch nicht aufzugeben. Manchmal dauert es Monate, bis Vögel im Schwarm zahm werden, aber sie werden es fast immer irgendwann. Hilfreich sind übrigens zutrauliche Vorbilder. Fliegt ein Wellensittich gern auf die Hand seiner Bezugsperson, schauen sich die scheueren Vögel dieses Verhalten oft mit der Zeit ab.

Wenn sich Vögel nicht zähmen lassen …

Leider meinen es nicht alle Menschen gut mit ihren Haustieren. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach schreckliche Beispiele für Tierquälerei erlebt und Vögel übernommen, die von ihren Vorbesitzern furchtbar schlecht behandelt worden sind. Man mag es nicht für möglich halten, aber auch Wellensittiche können Opfer sinnloser menschlicher Gewalt werden. Hat ein Vogel eine traumatische, meist mit starken Schmerzen verbundene Erfahrung gemacht, wird er sich nicht mehr ohne weiteres zähmen lassen. Derart scheue und oft völlig verstörte Tiere sollte man extrem behutsam behandeln und vor allem in der Anfangsphase erst einmal in Ruhe lassen. Sie sollten ihr Leben vom Menschen weitestgehend unbehelligt in einem Vogelschwarm oder mit einem arteigenen Partner leben dürfen, damit die seelischen Wunden mit der Zeit heilen können.

Nachdem dieser Vogel von seinem Vorbesitzer beinahe getötet worden war, brauchte das Weibchen rund zehn Jahre, um Menschen wieder zu vertrauen.
Nachdem dieser Vogel von seinem Vorbesitzer beinahe getötet worden war, brauchte das Weibchen rund zehn Jahre, um Menschen wieder zu vertrauen.

Wenn sie sich eingelebt haben und weniger schreckhaft auf Menschen reagieren, kann man sehr behutsam versuchen, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Hat man großes Glück, geschieht ein kleines Wunder und ein gefiedertes Gewaltopfer fasst nach langer Zeit doch noch Vertrauen zum Menschen. Gehen Sie aber davon aus, dass das Zähmen sehr lange dauern kann. Während meiner langjährigen Vogelhaltung habe ich die Erfahrung gemacht, dass schwer traumatisierte Wellensittiche oft mindestens ein Jahr brauchen, um Vertrauen zu fassen und dem Menschen gegenüber zutraulich zu werden. In einem besonders schweren Fall hat es fast zehn Jahre gedauert, bis das betroffen Tier keine panische Angst mehr vor Menschen hatte; dieser Wellensittich war von seinem vorherigen Halter auf äußerst brutale Weise misshandelt und beinahe getötet worden.

Falls Sie mit einem solchen „schwierigen Fall“ zu tun haben, erwarten Sie also bitte keine Wunder und seien Sie mit Kleinigkeiten zufrieden. Sie haben schon viel gewonnen, wenn ein solches Tier nicht panisch davonfliegt, falls Sie sich ihm auf einen Meter nähern.