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Sprachbegabung der Wellensittiche
„Du hast Wellensittiche? Sprechen die denn auch?“ Immer wieder stellen mir Menschen diese Frage, wenn bei einer Unterhaltung die Sprache zufällig auf meinen Vogelschwarm kommt. „Ja, und zwar perfektes Wellensittisch.“ – So lautet stets meine Antwort, und das Gegenüber ist in aller Regel zunächst verblüfft. Meine Vögel erzählen und singen den ganzen Tag, allerdings in ihrer arteigenen Sprache, muss ich dann erklären. „Ach so, das ist ja langweilig“, erwidern die meisten Menschen daraufhin abfällig, was ich sehr schade finde. Ein Wert eines Lebewesens sollte nicht daran gemessen werden, ob es unsere Sprache nachahmen kann oder nicht.
Bedauerlicherweise ist diese Einstellung aber nach wie vor sehr weit verbreitet. Sie wird sogar noch dadurch befeuert, dass im Internet Videos sprechender Vögel hohe Klickraten erzielen. Ein Vogel, der nicht sprechen kann, gilt deshalb häufig als ein dummer und somit schlechter Vogel. Schließlich sieht man doch in all den Videos, dass Wellensittiche sprechen können und Omas Hansi konnte das ja auch! Deshalb können Wellensittiche, die das nicht hinbekommen, ja nur die „Vollpfosten“ unter den Vögeln sein, denkt so mancher Mensch – was mich unendlich wütend macht. Und merken Sie etwas? Es wird ganz kräftig verallgemeinert. In den Köpfen vieler Menschen gilt: Weil manche Wellensittiche sprechen können, müssen es zwangsläufig alle können. Das wäre in etwa so als würde man sagen: Mozart konnte Klavier spielen, aus diesem Grunde müsste eigentlich jeder Mensch ein Klaviervirtuose sein. Oder alle Menschen müssten so klug wie Einstein sein. Dass dem nicht so ist, wird bei Menschen akzeptiert, wohingegen es den Vögeln übel genommen wird, wenn sie nicht „sprechen“ können. Tatsächlich ist es bei ihnen aber so wie bei uns Menschen. Es hat viel mit angeborenem Talent zu tun, ob Wellensittiche das „Sprechen“ erlernen oder nicht. Hinzu kommt noch etwas ganz Entscheidendes. Wellensittiche sprechen in aller Regel nur dann, wenn man sie einzeln hält. Doch die Einzelhaltung von Papageien und vielen anderen Vögeln ist nicht artgerecht.
Darum sprechen manche Wellensittiche in Menschenobhut
In ihrer australischen Heimat leben Wellensittiche in großen Schwärmen. Entsprechend kontaktfreudig sind diese Vögel. Außerdem sind sie sehr gelehrig, was für sie wichtig ist. Das australische Outback ist ein Lebensraum mit schwierigen Bedingungen. Nur durch eine gewisse Cleverness gelingt dort das Überleben. Die in der Obhut des Menschen gehaltenen Wellensittiche sind wie ihre wilden Verwandten sehr sozial und schlau, zudem verfügen sie über ein Talent, Geräusche zu erkennen und nachzuahmen. Dies gilt in einem gewissen Maße für jeden Wellensittich. Hierzu haben Forscher herausgefunden, dass sich Wellensittiche untereinander gegenseitig mit individuellen Kontakt-Namensrufen „ansprechen“, die sie durch Imitation lernen. Zudem können sie sogar uns Menschen ansatzweise verstehen, denn sie erkennen gesprochene Silben, wie Wissenschaftler der Universität Wien im Animal Lab herausfanden. Auch andere Papageienvögel sind dafür bekannt, die Dialekte fremder Artgenossen rasch imitieren zu können, was ihnen dabei hilft schneller in die jeweilige Gruppe von Vögeln integriert zu werden. Das Nachahmungstalent ist den Papageien also buchstäblich in die Wiege gelegt – oder besser gesagt sehr wahrscheinlich ins Gehirn, wie neurowissenschaftliche Studienergebnisse gezeigt haben, siehe Beitrag auf Spektrum.de.
Was passiert nun also, wenn man einen Vogel, der Kontakt zu anderen Lebewesen braucht und sucht, sehr intelligent ist und über ein Nachahmungstalent verfügt, mit menschlicher Sprache konfrontiert? Es gelingt vielen von ihnen, bestimmte Geräusche (=Worte) mit wiederkehrenden Situationen in Verbindung bringen, diese Geräusche nachahmen und ihre „Sprache“ dann zum passenden Zeitpunkt vortragen. Manchen Vögeln gelingt dies besser als anderen und es gibt ganz erstaunliche Sprachtalente, die ihr Können perfekt an die jeweilige Situation anpassen. Ein Wellensittich, der beispielsweise gelernt hat, dass ein knackiger Apfel eine Delikatesse ist, wird angesichts eines ihm gereichten Obststücks vielleicht „Apfel lecker“ zum Besten geben, sofern er dies zuvor so gelernt hat. Oder es gibt Vögel, die rufen „herein“, sobald es an der Tür klopft, denn genau dies haben sie von ihrem Halter zuvor schon häufig in exakt diesem Zusammenhang gehört. Und sie genießen die Aufmerksamkeit des Menschen, die sich dadurch auf sie richtet. Vor allem bei einzeln gehaltenen Vögeln ist dies zu beobachten.
Ohne Zweifel ist das Nachahmen der menschlichen Sprache niedlich. Ein anhänglicher, sprechender Wellensittich versprüht einen ungeheuren Charme. Wenn man sich aber einmal die Mühe macht und sich fragt, weshalb das Tier überhaupt spricht, erkennt man rasch, dass in vielen Fällen die Einsamkeit des Vogels und der dringende Wunsch nach engerem Kontakt zu anderen Wesen zum „Sprechen“ führt. Gerade die einzeln gehaltenen Wellensittiche merken, wie gut sie die Aufmerksamkeit der Menschen durch das Nachahmen von Lautäußerungen auf sich ziehen können. Da ihnen Artgenossen als Gesellschaft fehlen, buhlen sie auf diese Weise oft um die Zuwendung des Menschen. Drastisch formuliert ist es also so: Ein einzeln gehaltener Vogel wird nicht artgerecht gehalten, fühlt sich oft vernachlässigt (kein Mensch kann sich wirklich ständig um ihn kümmern, wie das Artgenossen tun würden) und muss unsere Sprache nachahmen, damit wir uns mit ihm beschäftigen. Da muss man sich doch ernsthaft fragen, welches Lebewesen hier schlauer und welches grausam ist …
Also mal Hand aufs Herz: Kann man sich als gewissenhafter Vogelhalter ernsthaft daran erfreuen, dass das geliebte Tier auf diese Weise geradezu um Aufmerksamkeit bettelt? Und sollte es uns nicht viel mehr beschämen, dass ein Vogel unsere Sprache lernen muss, damit wir uns in der Weise um ihn kümmern, wie es seinen angeborenen Grundbedürfnissen nach Gesellschaft entspricht? Sollten es nicht vielmehr wir Menschen sein, die sich nach Kräften darum bemühen sollten, unseren gefiederten Schützlingen ideale Haltungsbedigungen mit möglichst viel Beschäftigung und arteigener Gesellschaft zu bieten? Zu diesem Thema gibt es ein informatives Video der Vogeltierärztin Dr. Martina Schmoock.
Klangbeispiel eines sprechenden Wellensittichs
Sprechen nicht nur bei Einzelhaltung
Es gibt allerdings auch sprechende Wellensittiche, die nicht ohne ihresgleichen leben müssen. Mitunter kommt es vor, dass Wellensittiche Geräusche und Worte nachahmen, obwohl sie arteigene Gesellschaft haben. Meist hat man es bei solchen Wellensittichen mit echten Ausnahmetalenten in Sachen Nachahmung zu tun. Sie sprechen, weil es ihnen große Freude bereitet, und nicht etwa, weil sie nach allen Regeln der Kunst die Aufmerksamkeit ihrer Halter auf sich lenken möchten, um sich nicht einsam zu fühlen. Ein Beispiel für ein gefiedertes Sprachtalent, das nicht in Einzelhaltung leben muss ist das Wellensittichmännchen Butschi, das im folgenden Video zu sehen ist.
Was tun, wenn ein Wellensittich nicht spricht?
Für viele Menschen ist es ein großer Wunsch, dass ihre Vögel sprechen. Nicht selten sind sie dann enttäuscht, wenn die Vögel ihre Worte nicht nachahmen. Damit tut man den Tieren Unrecht, denn es ist unsere Erwartungshaltung an sie, die nicht erfüllt wird. Wir haben demnach zu hohe Erwartungen an die Tiere, die wir vielmehr so akzeptieren sollten, wie sie sind. Man sollte die nicht sonderlich sprachbegabten Individuen unter den Papageien und Sittichen also trotzdem gern haben, zumal sie mit Sicherheit andere Qualitäten aufweisen und auch ohne „Gequatsche“ sehr niedlich sind. Jeder Wellensittich ist auf seine Weise liebenswert, und mindestens paarweise gehalten, entfalten die Tiere ihr beeindruckendes Verhaltensrepertoire. Diesem zuzusehen, dürfte um Klassen unterhaltsamer sein als Zwiesprache mit einem einzeln gehaltenen Wellensittich zu halten, der vermenschlicht wird und vielleicht schon längst zu einer traurigen Karikatur seiner selbst geworden ist.