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Schnabeldeformationen und Schnabeldefekte
Der Schnabel ist für Vögel ein sehr wichtiger Körperteil. Weist er einen schweren Defekt auf oder fehlt er gar, ist das Leben vieler betroffener Tiere in Gefahr. Ist dies nicht der Fall, bedeuten Schnabeldeformationen und Schnabeldefekte für die Vögel aber in aller Regel eine erhebliche Behinderung, die sich nicht nur auf die Nahrungsaufnahme auswirkt. Die Thematik ist sehr komplex und wird in diesem Kapitel ausführlich erläutert.
Entstehung von Schnabeldeformationen
Unter einer Schnabeldeformation ist zu verstehen, dass dieser Körperteil eines Vogels verformt ist. Die beiden Schnabelhälften, also der Ober- und Unterschnabel, liegen dann meist nicht in der anatomisch korrekten Stellung aufeinander. Oder der Schnabel ist stark verdickt und dadurch verformt. Typische Ursachen, die zu einer Schnabeldeformation führen können, sind unter anderem:
- Verletzungen des Schnabels im Kükenalter
- Verletzungen des Schnabels im Erwachsenenalter, wobei die Wachstumszone geschädigt wurde
- massive Entzündungen der Nase, die in den Knochen reichen
- schwere Leberstörungen oder -schäden
- starker Befall mit Grabmilben
- schwer ausgeprägte Form der Viruserkrankung PBFD
- Befall mit einem Schnabelpilz
- Schnabeltumoren
Entstehung von Schnabeldefekten
Genau genommen sind die meisten Schnabeldefekte gleichzeitig auch Schnabeldeformationen. Unter einem Defekt ist zum Beispiel zu verstehen, dass ein Teil des Schnabels fehlt. Schnabelbrüche und Schnabelamputationen (vollständiges Abreißen des Ober- oder Unterschnabels) durch äußere Gewalteinwirkung sind die häufigste Ursache für Schnabeldefekte. So können etwa Teile des Schnabels bei einem Kollisionsunfall abbrechen oder bei einem Angriff durch einen Artgenossen beziehungsweise anderen Vogel abgebissen werden. Das Abbeißen des Schnabels kommt vergleichsweise häufig bei Kakadus vor, wenn diese geschlechtsreif werden. Die Männchen greifen dann ihre Partnerin an und verletzen sie schwer, leider oft sogar tödlich. In diesem Zusammenhang wird bei Kakadus deshalb auch vom Gattenmord gesprochen.
Mitunter kommt es bereits im Nest zur Entstehung eines Schnabeldefekts. Unerfahrene Brutpaare beißen mitunter versehentlich beim Füttern den Schnabel ihres Nachwuchses ab. Oder aber ein fremder Vogel dringt in das Nest ein, um es zu erobern. Dabei attackiert er brütende Alttiere ebenso wie Eier und Küken. Bei solchen Angriffen kann es zu Schnabelverletzungen bei den Jungvögeln kommen, die zu einem lebenslangen Schnabeldefekt führen.
Kreuzschnabel
Durch Schnabelverletzungen oder infolge anderweitiger Einwirkungen auf die Wachstumszone des Schnabels kann es zu einer Fehlstellung kommen, bei der die beiden Schnabelhälften über Kreuz wachsen; dies wird als Kreuzschnabel bezeichnet. In manchen Fällen lässt sich diese Schnabeldeformation nach und nach beheben. Hierfür sind im Abstand etlicher Wochen oder Monate mehrere Eingriffe notwendig, bei denen die Schnabelhälften Stück für Stück zurecht geschliffen oder gefeilt werden, bis sich langfristig ein normaler Wuchs und eine anatomisch korrekte Position der beiden Schnabelhälften ergeben. Erfahrene vogelkundige Tierärzte können solche Korrektureingriffe meist in ihrer Praxis durchführen, eine Narkose ist dafür meist nicht erforderlich.
Unterbiss
Bricht bei einem Vogel durch einen Unfall oder infolge einer Rangelei mit Artgenossen beziehungsweise durch unvorsichtige Elternvögel bei der Fütterung im Nest die Spitze des Oberschnabels ab, kann es bei Sittichen und Papageien zu einem sogenannten Unterbiss kommen: Der Unterschnabel wächst über den Oberschnabel. Die meisten von einem Unterbiss betroffenen Vögel können sich ganz normal ernähren, nur wenige von ihnen müssen mit Einschränkungen leben.
Jedoch muss darauf geachtet werden, dass der Unterschnabel nicht zu lang wird. Aufgrund der Fehlstellung können die Vögel ihren Unterschnabel nicht an der Innenseite des Oberschnabels reiben, wodurch er weniger stark verschleißt. Daher ist es bei einigen Tieren erforderlich, den Unterschnabel von Zeit zu Zeit zu kürzen beziehungsweise dies von einem Tierarzt durchführen zu lassen. Beim Schneiden splittert der Unterschnabel leicht, weshalb das Feilen oder Schleifen dem Schneiden häufig vorzuziehen ist. Tierärzte haben spezielle Instrumente, mit denen der Schnabel schnell in Form gebracht werden kann. Ohne solche Spezialwerkzeuge einen Unterschnabel zu kürzen, dauert sehr lange und ist eine Tortur für das betroffene Tier.
Übrigens: Medizinisch wird es bei Vögeln als Unterbiss bezeichnet, wenn der Unterschnabel über dem Oberschnabel liegt, doch manche Tierhalter sprechen fälschlicherweise auch von einem Überbiss. Dieser liegt jedoch vor, wenn Oberschnabel über dem Unterschnabel liegt und zwischen den beiden Schnabelhälften eine weite Lücke klafft.
Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme
Ein Großteil der Heimvögel wird mit einer Körnerfuttermischung ernährt. Das heißt, die Vögel entspelzen die Samen, bevor sie sie schlucken. Dies gilt für die meisten Papageien und Sittiche, wohingegen einige Arten, darunter Diamanttäubchen, die Körner als Ganzes schlucken, ohne sie zuvor zu entspelzen. Ein Vogel, der sein Körnerfutter nicht entspelzen muss, ist grundsätzlich im Vorteil, falls er einen Schnabeldefekt oder eine -deformation aufweist. Denn diese erschwert meist das Entspelzen, nicht jedoch das Aufnehmen der Körnchen. Um Saaten entspelzen zu können, müssen Ober- und Unterschnabel trotz eines Defekts eine Mindestlänge haben, und Schnabelhälften mit Fehlstellungen müssen zumindest in einem kleinen Bereich eine Überlappung aufweisen, damit Körnchen fixiert und entspelzt werden können.
Für einen Vogel, dessen Schnabel einen so starken Defekt aufweist, dass ein Entspelzen von Saaten nicht mehr möglich ist, bedeutet dies eine massive Einschränkung bei der Nahrungsaufnahme. Der Halter kann in einem solchen Fall in Absprache mit einem vogelkundigen Tierarzt die Ernährung umstellen. Es gibt im Fachhandel Extrudate und Pellets, bei denen kein Entspelzen nötig ist. Oder aber es können Saaten angeboten werden, die bereits entspelzt sind. Die in Supermärkten und Drogeriemärkten als Speisehirse verkaufte Goldhirse ist ein Beispiel dafür. Allerdings sollte ein Vogel keineswegs ausschließlich mit Goldhirse ernährt werden, weil dies zu einseitig wäre und bald zu Mangelerscheinungen führen würde. Als Notfallmaßnahme nach einer schweren Schnabelverletzung in deren Heilungsphase ist es aber durchaus eine gute Möglichkeit, die gefiederten Patienten mit Speisehirse zu versorgen.
Geraspelte Frischkost wie Obst und Gemüse sowie Breifutter anzubieten, ist eine weitere Alternative. Hierbei sind drei Dinge wichtig: Erstens muss der Vogel, dessen Schnabel defekt ist, dieses Futter akzeptieren. Zweitens sollte das Breifutter eine ausgewogene Nährstoffzusammensetzung aufweisen, damit es nicht zu Mangelerscheinungen kommt. Drittens ist bei der Breifütterung und beim Reichen von geraspeltem Obst sowie Gemüse auf eine größtmögliche Hygiene zu achten. Insbesondere im warmen Sommerhalbjahr bildet sich auf feuchtem Breifutter und Frischkost schnell Schimmel.
Schnabelpflege bei Schnabeldefekten und -deformationen
Liegt bei einem Vogel eine Deformation oder ein Defekt des Ober- und/oder Unterschnabels vor, so ist es wichtig, stets dafür Sorge zu tragen, dass der Schnabel nicht zu lang oder extrem schief wird. Vogel-Tierärzte sind in diesem Zusammenhang die besten Ansprechpartner, die Tierhalter ausführlich darüber beraten können, wie man den Schnabel in die richtige Form bringt. Hierbei ist unbedingt darauf zu achten, den Schnabel nicht zu kurz zu schneiden beziehungsweise schneiden zu lassen, denn das würde dazu führen, dass sich der betroffene Vogel nur noch unzureichend bis gar nicht mehr eigenständig ernähren könnte oder dass es zu einer Blutung kommen könnte. Abgesehen davon, dass Blutungen grundsätzlich zu vermeiden sind, gehen solche Verletzungen des Schnabels für den Vogel mit Schmerzen einher.
Zur Pflege eines deformierten Schnabels benötigt ein betroffener Vogel Nagemöglichkeiten. Diese kann man ihm zum Beispiel bieten, indem man ihm Naturäste als Sitzstangen und zum Anknabbern, spezielle Schredderspielzeuge aus dem Fachhandel oder Korkrinde zur Verfügung stellt. Achtung, die Äste sollten ausschließlich von ungiftigen Holzarten stammen! Auch Picksteine aus groben Grit- und Mineralstücken (Mineralblöcke) sind bestens für die Schnabelpflege geeignet, sofern die Vögel sie annehmen und schreddern.
Achten Sie auch darauf, dass der Schnabel nach dem Fressen nicht mit Frischkost verklebt ist. Gerade bei Schnabeldefekten kann es kleine Kanten und Rillen geben, an denen Obstreste besonders hartnäckig kleben, was für den betroffenen Vogel unangenehm und unhygienisch ist. Auch Breifutterreste sollten entfernt werden, bevor sie trocknen, weil sich sonst eine harte Kruste auf dem Schnabel bilden könnte.
Einschränkungen beim Klettern
Papageien nutzen ihren Schnabel beim Klettern gewissermaßen als „dritten Fuß“. Ist der Schnabel deformiert oder nach einem Unfall verkürzt, fällt ihnen das Klettern oft schwer. Sie können sich an Zweigen oder am Käfig- beziehungsweise Volierengitter nicht richtig festhalten. Vögel mit einem Schnabeldefekt neigen deshalb dazu, gelegentlich abzustürzen. Ist ein hiervon betroffener Vogel zusätzlich flugunfähig, könnte dies dazu führen, dass das Tier hart auf dem Boden aufschlägt. Es empfiehlt sich bei solchen Pfleglingen, den Boden zu polstern.
Weist der Schnabel eine Fehlstellung auf, kann es geschehen, dass der Vogel beim Klettern hängen bleibt. Bei einem Befreiungsversuch sind oft Schnabelverletzungen die Folge. Enge Spalten, in die der Schnabel beim Klettern rutschen könnte, sollten deshalb sicherheitshalber verschlossen werden, damit die Tiere nicht verunglücken können.
Einschränkungen bei der (sozialen) Gefiederpflege
Ist der Schnabel stark verkürzt, fällt den betroffenen Tieren die Gefiederpflege schwer. Sie können ihre Federn nicht richtig glätten, weil sie sie dafür durch den Schnabel ziehen und mit der Zunge gegen die Innenseite des Schnabels drücken müssten. Auch kann es sein, dass sie wegen einer Schnabelverkürzung kein Sekret aus ihrer Bürzeldrüse entnehmen können, mit dem normalerweise das Gefieder imprägniert wird. Achten Sie deshalb bei Vögeln mit verkürztem Schnabel immer darauf, dass die Bürzeldrüse nicht verstopft.
Sittiche und Papageien kraulen ihren Partner oft gern am Kopf und öffnen während der Mauser die silbrig glänzenden Federscheiden. Dies können Vögel mit einem schweren Schnabeldefekt meist nicht. Das heißt, sie unterliegen auch bei der sozialen Gefiederpflege teils erheblichen Einschränkungen.
Einschränkungen bei der Partnerfütterung und bei der Brut
Vögel mit einem defekten Schnabel können andere Vögel unter Umständen nicht aktiv füttern, ohne dass der aus dem Kropf gewürgte Nahrungsbrei daneben fällt. Bei der Jungenaufzucht kann dies zum Problem werden, weshalb es in den meisten Fällen nicht ratsam ist, mit einem Vogel zu züchten, dessen Schnabel durch einen Unfall stark verkürzt ist.
Weist ein Elternvogel eine Schnabelfehlstellung auf, kann es geschehen, dass er beim Füttern an den falschen Stellen Druck auf den Schnabel eines Kükens ausübt. Dadurch kann es bei dem Jungtier ebenfalls dazu kommen, dass sich eine Fehlstellung entwickelt. Dies geschieht allein durch die mechanische Belastung des noch weichen Schnabels des Nachwuchses, der Schiefstand des Schnabels ist in einem solchen Fall nicht erblich bedingt.
Einschränkungen beim Verteidigen gegen Artgenossen
Für Vögel, die in einem Schwarm leben, gehören kleine Streitigkeiten mit ihren Artgenossen für gewöhnlich zum Alltag. Diese Rangeleien sind in aller Regel harmlos, weil ein Vogel, der einen anderen Vogel angreift und direkt eine entsprechende Gegenreaktion erhält, häufig sofort innehält. Ist der Schnabel eines Vogels, der angegriffen wird, stark verkürzt oder fehlgestellt, kann sich das Tier damit gegebenenfalls nicht ausreichend verteidigen. Dem Angreifer werden keine Grenzen gesetzt und er könnte dadurch mit seinen Attacken weitermachen und den gehandicapten Vogel verletzen. Das Ganze kann für den Angreifer zur Routine werden, der unterlegene Vogel wird dann wegen seines Handicaps zu einem Mobbingopfer. Halter sollten stets im Blick behalten, wie die Schwarmgefährten einen gehandicapten Vogel mit Schnabeldeformation oder -fehlstellung behandeln. Zeichnen sich Probleme ab, muss umgehend nach einer Lösung gesucht werden, die den gehandicapten Vogel vor körperlichen und seelischen Schäden durch Mobbing und Angriffe schützt.
Erfahrungsbericht über Schnabelverletzungen
Schnabelabszess und seine Folgen
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