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Erfahrungsbericht übermäßiger Sexualtrieb

Hinweis: Die in diesem Beitrag erläuterten Zusammenhänge beziehen sich auf Wellensittiche. Auf andere Vogelarten sind die Angaben nicht in jedem Fall direkt übertragbar, sie gelten aber durchaus für eine ganze Reihe anderer Heimvogelspezies.

Beitrag von Elena Körner, Februar 2014

Die Wellensittiche Lilly und Moritz
Die Wellensittiche Lilly und Moritz

Dies ist ein Erfahrungsbericht über einen überaus dramatisch verlaufenen Fall von Nebenwirkungen nach einer Hormontherapie aufgrund eines abnorm gesteigerten Sexualtriebes bei meinen beiden Wellensittichen Lilly und Moritz.

Anfang Herbst 2013 fiel aufgrund eines unerwarteten Schadens die Heizung in der kompletten Wohnung aus. Da es sich um eine zentral gesteuerte Fußbodenheizung handelte, wurde es erst zeitversetzt kühl in meiner Wohnung und nach der Reparatur dauerte es einige Tage, ehe sich die Heizung bei ca. 21 °C wieder einregulierte, nicht aber ohne zuvor kräftig (auf knapp 25 °C) übersteuert zu haben.

So kam es, dass meine Sittiche sozusagen zuerst in einen „Wintermodus“ geschickt wurden, nur um anschließend aufgrund der enormen Wärmeentwicklung in beste Brutlaune versetzt zu werden! Die zu beobachtenden Szenen glichen einem Tollhaus. Zwei Paare gerieten so außer sich („Hormonflut“), dass sie sich fast permanent paarten, egal mit wem, egal zu welcher Uhrzeit. Versuche meinerseits, die Brutlust zu dämpfen, schlugen fehl.

Die Sittiche waren wie von Sinnen; aufgestachelt, überdreht und extrem umtriebig. Unermüdlich suchten die Hennen nach Nistgelegenheiten, die ich ihnen aber nicht anbot. Sie fanden auch keine sonstigen passenden Plätze; ich hatte jegliche potentiellen Ritze mit Zeitungspapier oder anderen Barrieren versehen. Dennoch legte meine Wellidame Lilly einige Tage später unerwartet ein Ei. Ich muss sagen, dass ich das zwar insgeheim befürchtet habe, aber nicht habe kommen sehen. Ich halte fast 30 Jahre mehr oder weniger aktiv (als Kind nur passiv) Wellensittiche, aber niemals hatten wir einen Fall, dass eine Henne ein Ei legte.

Lilly leidet an einem Lipom am Bauch und wirkt eh immer füllig; es fiel mir wirklich nicht auf. Das Ei wurde auch nicht gut versteckt irgendwo abgelegt, sondern plumpste aus Lillys Körper (von einem am Fenster befestigten Ast) einfach auf die Fensterbank, wo es zerbrach. Anschließend schenkte sie dem Ei keinerlei Aufmerksamkeit, paarte sich aber munter mit Moritz weiter.

Nach eingehenden Recherchen ahnte ich, dass ein Ei selten alleine bleibt, doch nach drei Tagen war immer noch kein weiteres Ei gelegt und mir wurde mulmig, sodass ich meinen vogelkundigen Tierarzt aufsuchte. Dieser injizierte beiden Sittichen (Lilly und Moritz) ein hormonhemmendes (bruttriebhemmendes) Mittel namens Ovogest und gab Lilly noch weitere 24 Stunden, das zweite Ei auf natürlichem Wege zu legen. Es befand sich nämlich ein weiteres im Körper, wie der Ultraschall zeigte.

Einen Tag später machte Lilly immer noch keine Anstalten, das Ei zu legen. Also ging es erneut zum Tierarzt, der wieder Ovogest und zusätzlich ein wehenförderndes Mittel (Oxytocin) spritzte. Auch Moritz bekam erneut Ovogest. Doch – Sie ahnen es schon, liebe Leser – das Ei wollte nicht raus.

Es erfolgte am nächsten Tag wieder ein Besuch beim Tierarzt. Um eine mögliche Legenot zu verhindern, entschieden wir, dass Lilly stationär aufgenommen und in aller Ruhe das Ei heraus massiert werden sollte. Noch war Lilly in einem guten Zustand und wir wollten nichts riskieren. Nach Dienstschluss legte der Tierarzt eine Sonderschicht ein und massierte das Ei erfolgreich aus Lillys Körper. Die Inhalationsnarkose vertrug Lilly gut und einen Tag später (an einem Samstag) konnten wir den kleinen Racker glücklich wieder in unsere Arme schließen.

So weit, so gut. Doch nichts und niemand konnte Lilly und Moritz dazu bewegen, ihren Geschlechtstrieb etwas zu mindern. Lilly wirkte zusehends erschöpft, gebot Moritz jedoch keinen Einhalt. Doch auch Moritz, mein Megabakterien-Patient, wirkte irgendwann mehr gehetzt als fröhlich und wir mussten konstatieren, dass das Ovogest in keiner Weise anschlug.

Zusammen mit dem Tierarzt erörterten wir die Möglichkeiten (letzte Option: operative Entfernung des Legedarms bei Lilly). Eine Operation wollte ich nach all dem Stress erst einmal nicht, und so entschied ich mich für eine Hormontherapie mit einem stärkeren Hormon (Supprestral, Substanz Progesteron).

Ich wurde aufgeklärt, dass die Tiere nach der Spritze häufig unter Flüssigkeitsverlusten, vermehrtem Trinkbedürfnis, Gewichtszunahme und Apathie leiden würden und empfand dies als tolerabel. Auch dass das Progesteron in einem Abbauschritt eine kortisonähnliche Wirkung entfalten würde, wurde mir mitgeteilt. Ein wenig besorgt war ich schon, denn die immunsupprimierende (= das Immunsystem hemmende) Wirkung des Kortisons kann gerade für meinen an Megabakterien erkrankten Wellensittich Moritz gefährlich werden; dennoch entschied ich mich für diese Therapie.

Beide Tiere bekamen also eine kleine Menge injiziert. Das Medikament hat Depotwirkung und braucht sowohl Zeit zum Anfluten (= Aufbau der Wirkung), als auch Zeit, bis es abgebaut ist. Bereits mehrere Stunden nach der Injektion konnte ich beobachten, dass die Tiere ruhiger wurden und vermehrt zu trinken begannen. Sie wirkten lethargisch und erschöpft. Das Trinkbedürfnis wuchs stetig an und bereitete mir große Sorgen, denn dass ein Wellensittich drei Minuten am Wassernapf sitzt und elf, zwölf Mal trinkt, ohne dabei zu wirken, als sei der Durst gestillt, verunsicherte mich. Außerdem schieden beide viel Flüssigkeit / Urin aus.

Es war Wochenende, sonntags, als ich Lilly morgens krampfend auf dem Boden vorfand. Sie wirkte desorientiert, konnte sich nicht auf den Beinen halten und lag irgendwann einfach nur noch regungslos in meiner Hand. Ich dachte, Lilly würde sterben. Nach Rücksprache mit dem Tierarzt, den ich per Notfall-Handynummer kontaktierte, fuhren wir sofort zu ihm, um zu schauen, ob dem Tier noch zu helfen sei oder es eingeschläfert werden müsste. Ich war außer mir vor Schreck und Kummer.

Beim Tierarzt – der sogenannte Vorführeffekt – wirkte Lilly jedoch wieder halbwegs stabil und auch das Herz schlug kräftig. Der Tierarzt überlegte, was die Ursache sein könnte und ließ sich nochmal genau den Krampfzustand schildern. Er kam daraufhin zu dem Schluss, dass Lilly aufgrund des Flüssigkeitsverlusts vermutlich an einer akuten Hypokalzämie (= Kalziummangel) litt und injizierte Kalzium zusammen mit anderen Mineralstoffen und Vitaminen. Zudem gab er mir eine Kalziumampulle mit, falls es nochmals zu einem Krampf kommen würde. Wie nötig wir diese Ampulle noch haben würden, war mir zu dieser Zeit noch nicht klar, was aber folgte, war ein 7-tägiger Überlebenskampf beider Tiere, der uns allen das Letzte abverlangte.

Kaum waren wir vom Tierarzt wieder daheim, verschlechterte sich Lillys Zustand erneut dramatisch. Sie saß vier Stunden regungslos und kugelrund aufgeplustert auf der Stange und kniff die Augen zusammen. Sie stellte das Fressen und Trinken ein und schied auch nichts mehr aus. Wieder sank mein Mut. Ich hatte den Eindruck, sie litt unter Schmerzen.

Da ich von einem kürzlichen Krankheitsfall vorher noch ein Schmerzmittel (Metacam) zur Hand hatte, fing ich sie ein (sie leistete wenigstens noch mit den Füßchen etwas Widerstand, das gab mir Hoffnung) und gab ihr einen Tropfen in den Schnabel. Obwohl nicht klar ist, ob das Metacam wirkte oder es vielleicht mein Einfangen war, das das Tier aktivierte, hangelte sie sich 30 Minuten später im Zeitlupentempo zum Futternapf und fraß etwas. Auch trank sie wieder und hier fiel es mir zum ersten Mal so richtig auf: Nach dem Trinken großer Mengen Wasser dauerte es keine 30 Sekunden und das Wasser fiel mit einem großen „Platsch“ hinten wieder raus. Es wurde quasi einfach durch den Körper durchgeschleust und sofort wieder ausgeschieden. Bei Moritz war dasselbe zu beobachten.

Lilly überlebte die Nacht, doch am nächsten Morgen fiel sie wieder mit einem Krampf von der Stange. Ich nahm sie, flößte ihr Kalzium ein und hielt sie in meiner Hand. Das Absetzen auf den gepolsterten Käfigboden ging schief, da sie dort permanent mit dem Kopf gegen die Plastikschale schlug. Mittlerweile kannte ich vom Tag zuvor, wie es ablief. Erst lag der Vogel bewegungslos in meinen Händen, irgendwann spreizten sich unkontrolliert die Flügel und der Kopf wippte hin und her und die Augen wirkten glasig und desorientiert (furchtbar anzusehen!), und dann merkte man irgendwann, wie der ganze Körper zitterte und das Tier versuchte, sich auf die Beine zu stützen. Das ging anfangs schief, aber man merkte, dass Lilly versuchte, Kräfte zu mobilisieren. Wenn sie sich dann wieder aufrichten konnte, dann wusste ich, jetzt kann ich sie auf den Boden oder das von mir eilig zusammengeschusterte, gepolsterte Sitzbrettchen setzen. Denn eigentlich haben Wellis ja nichts in meinen Händen zu suchen…

Doch alle Versuche der Schonung schlugen fehl. War sie auch noch so zittrig und eierte noch so hin und her, kaum in der Lage sich am Käfiggitter entlangzuhangeln, geschweige denn auf einer Stange zu sitzen – sie wollte sofort raus aus dem Quarantänekäfig zu ihren Kumpels und ich ließ sie auch gewähren.

Ich war immer mit dabei, und nicht jeder Flug- und Landeversuch war optimal, aber letzten Endes schaffte sie es immer zu ihren Freunden auf den Spielplatz und verunglückte dabei nicht. Darauf hatte ich ein Auge.

Ich muss sagen, seelisch ging es mir zu dieser Zeit sehr schlecht. Stündlich rechnete ich damit, dass sie sterben könnte. Aber was mir Hoffnung gab, war ihr enormer Wille und dieses „immer-zu-den-Kumpels-Wollen“. Sie kämpfte so sehr! Und ich war nicht bereit, diesen Kampf gegen das Medikament mit ihr zu verlieren.

Sicherlich fragen Sie sich, was mit Moritz los war. Tja, vielleicht ahnen Sie es schon… ? Am Dienstag nach der Behandlung war er derjenige, der vormittags mit einem Krampfanfall auf dem Boden lag. Es wiederholte sich das immer gleiche Prozedere: Einfangen (kann man so ja gar nicht nennen, die Tiere waren so gut wie wehrlos), Gabe von Kalzium in den Schnabel, in der Hand halten, bis sie sich stabilisiert hatten, Absetzen auf dem Käfigboden, usw. Auch Moritz kannte nach seinen überstandenen Krämpfen immer nur einen Weg: Ab zu den Kumpels, egal wie derangiert er war.

Mit schöner Regelmäßigkeit wechselten sich Lilly und Moritz nun mit Krampfanfällen ab, wobei die Anfälle bei Moritz noch schlimmer waren als bei Lilly. Ich telefonierte kontinuierlich mit meinem Tierarzt, der daraufhin vorschlug, beide stationär aufzunehmen.

Ich war hin- und hergerissen. Nervlich war ich ein Wrack und es war eigentlich unzumutbar, die Tiere als „Laie“ so betreuen zu müssen, aber etwas in mir sperrte sich. Ich hatte das Gefühl, beide wollten unbedingt bei ihren anderen vier Kumpels sein und dass ihnen das Kraft gab. Also entschied ich mich innerlich, ihnen noch zwei Tage zu geben und wenn das Drama dann nicht langsam abgeflaut war, würde ich sie beim Tierarzt lassen.

Am Donnerstagabend war ich mit beiden Vögeln noch einmal beim Tierarzt. Lilly schien sich langsam zu erholen, aber Moritz gefiel mir nicht. Erneut bekamen sie eine Elektrolytinfusion und wir erörterten die Schwere der Nebenwirkung. Mein vogelkundiger und erfahrener Tierarzt hat noch nie einen solch dramatischen Verlauf nach der Gabe des Supprestrals erlebt und man kann es sich auch nicht wirklich erklären.

Auf dem Heimweg vom Tierarzt bekam Moritz erneut einen Krampfanfall – umso verwunderlicher, weil er eigentlich gerade eben eine Extraportion Mineralstoffe und Kalzium bekommen hatte. Ich rief meinen Tierarzt auf dem Notfallhandy an. Wir waren ratlos. Am ehesten schienen uns die Komponenten „Stress“ und „Elektrolytverschiebung“ realistisch.

Mein Tierarzt meinte, dass möglicherweise das Medikament im Körper der Tiere zu einer schwerwiegenden, bislang nicht dokumentierten Elektrolytverschiebung geführt haben könnte und dass eventuell nicht eine Hypokalzämie, sondern auch ein akuter Magnesiummangel (Hypomagnesiämie) vorliegen könnte. Die Infusion war in diesem Fall nicht förderlich, sondern sogar problematisch. Nur wer konnte das ahnen?

An jenem Abend in diesem Auto mit einem schwer krampfenden Sittich in der Hand entschied ich, dass es ab jetzt keine Medikamente (bis auf Kalzium und Magnesium) und auch keine Tierarztbesuche mehr geben würde. Daheim angekommen, löste ich auf Anraten des Tierarztes eine Magnesiumtablette auf und gab Moritz davon etwas in den Schnabel. Am nächsten Tag krampfte Moritz noch einmal und dann war der größte Spuk erst einmal vorbei.

Dass ich mittlerweile nach Rücksprache mit dem Tierarzt in alle Trinknäpfe aufgelöste Kalzium- und Magnesiumbrausetabletten gegeben hatte (abwechselnd, denn zusammen hemmen sich beide Mineralien bei der Aufnahme), mochten meine Wellis nicht und besonders Moritz fing an, das Trinken zu verweigern. Also entfernte ich alles und bot nur noch klares Wasser und viel Grünfutter mit Wasser benetzt an.

Zu Fressen gab es nur Leckereien, denn während der Krampfphasen waren beide Tiere sehr wählerisch und ich war froh, wenn sie überhaupt fraßen. Lilly machte sich über das Knaulgras her, während Moritz den Nackthafer bevorzugte. Gewicht und Co. konnte und wollte ich zu dieser Zeit nicht berücksichtigen; hier ging es nur ums nackte Überleben!

Sieben Tage lang haben beide Tiere mehr oder weniger in Lebensgefahr geschwebt; dann folgten noch drei Tage, in denen ich sie aufmerksam beobachtete und bemerkte, dass sie wohl über den Berg waren. Das war auch in etwa die geschätzte Zeit (zehn Tage), in denen das Depotmedikament abgebaut sein sollte.

Lilly hat in dieser Zeit ihr Lipom weiter „ausgebaut“ – was wir nun angehen müssen, nachdem das Schlimmste überstanden ist, doch für Moritz ging es noch einmal dramatisch weiter. Ich hatte es befürchtet: Der Stress und die immunsupprimierende Wirkung des Kortisons führten zu einem schweren Megabakterienschub. Innerhalb von 13 Tagen magerte er 13 Gramm ab, von 45g auf 32g. Zu dieser Zeit ereilte mich auch noch ein Wasserschaden in der Wohnung, sodass ich die Tiere zu meinen Eltern ausquartieren musste.

Meine Eltern mögen Wellis sehr, tun sich aber schwer mit der Medikamentengabe. Täglich fuhr ich abends hin und gab Moritz seine Dosis Ampho-Moronal. Wann immer es sich meine Eltern zutrauten, gaben sie ihm morgens ebenfalls eine Dosis. Mittlerweile (wir haben jetzt Mitte Februar 2014) hat Moritz wieder zugenommen und wiegt nun 39g.
Darüber bin ich sehr glücklich und ich hoffe, dass uns für sehr lange Zeit noch einmal solch ein Kummer erspart bleibt.

Mein Tierarzt hat nach den Vorfällen mit dem Medikament entschieden, dieses nie wieder bei Wellensittichen zu spritzen, sondern höchstens noch oral zu verabreichen oder andere Alternativen zu suchen. Zu dramatisch war das, was wir alle erlebt haben.

Ich danke meinem Tierarzt und seinem Praxisteam für alle Bemühungen, die Tiere zu retten. Und ich danke meiner Familie, die mich nach Kräften unterstützt hat. Ich war glücklicherweise in der Lage, in dieser Zeit ganztägig bei meinen Tieren zu bleiben, um nach ihnen zu schauen und bei Krampfanfällen zu assistieren.

Ich hoffe, dass dies ein einmaliger Fall bei dieser Hormontherapie bleiben wird und möchte mit diesem Bericht keine Angst schüren. Es gibt manchmal nur eben auch sehr heftige, wirklich unvorhersehbare Verläufe und dies war definitiv einer davon.

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