Sinne und Wahrnehmung der Vögel

Um Vögel und das, was sie empfinden, besser zu verstehen, sollte ein Vogelhalter über die Sinne der Tiere Bescheid wissen. Genau wie wir Menschen nehmen Vögel ihre Umwelt über Sinnesreize wahr, die an verschiedenen Körperstellen und von unterschiedlichen Organen erfasst werden. Nerven leiten die jeweiligen Impulse an das Gehirn weiter, welches dann die Verarbeitung der Reize übernimmt. In diesem Kapitel werden die wichtigsten Sinne der Vögel kurz erläutert.

Der Sehsinn – das Gesichtsfeld

Schematische Darstellung des Gesichtsfeldes eines Katharinasittichs (stark vereinfacht)
Schematische Darstellung des Gesichtsfeldes eines Katharinasittichs (stark vereinfacht)

Der wohl wichtigste Sinn der Vögel ist der Sehsinn. Mit den Augen nehmen sie visuelle Reize auf und können so in ihrer Umwelt Gefahren und Artgenossen erkennen, Nahrung aufspüren und ihre Fortbewegung koordinieren.

Weil die Augen bei einem Wellensittich und bei zahlreichen anderen Ziervogelarten seitlich am Kopf angeordnet sind, nehmen die Tiere ihre Umgebung völlig anders wahr als wir Menschen. Unsere Augen befinden sich vorn im Gesicht. Sie sind nebeneinander angeordnet und weisen in dieselbe Richtung. Beide Augen überblicken zu weiten Teilen denselben Bereich. Hierdurch entsteht ein großer Bildausschnitt, in dem räumliches Sehen möglich ist, weil das rechte und das linke Auge synchrone Bilder liefern. Bei Vögeln ist dieser sich überlappende Ausschnitt klein – die Gesichtsfelder der beiden Augen überschneiden sich nur geringfügig. Die Tiere sehen dafür aber, was seitlich von ihnen geschieht und sie können bis zu einem gewissen Winkel sogar erblicken, was sich hinter ihnen befindet. Schematisch ist dies in der auf dieser Seite gezeigten, grob vereinfachten Grafik dargestellt, die einen Katharinasittich und sein Gesichtsfeld von oben.

Nach vorn gerichteter Blick
Nach vorn gerichteter Blick

Die Augen eines Vogels sind in einem gewissen, wenn auch geringen Maße beweglich, sodass je nach Blickrichtung auch Bereiche in unmittelbarer Nähe vor dem Schnabel mit beiden Augen anvisiert werden können. Hierdurch überschneiden sich beide Gesichtsfelder vorübergehend stärker als in dem obigen Schema gezeigt, der Bereich des räumlichen Sehens wird dadurch größer. Diese Fähigkeit ist wichtig, weil Wellensittiche und andere Vögel sonst nicht erkennen könnten, welches Futter direkt vor ihnen zu finden ist. Beobachten lässt sich dieses „Nahsehen“ beispielsweise, wenn Vögel fressen. Sie richten dann ihren Blick auf die Nahrung und man kann die Bewegung der Augen dabei erkennen, wenn man die Tiere aus nächster Nähe anschaut.

In der Grundstellung der Augen weist die Blickrichtung der Vogelaugen hingegen wie in der schematischen Darstellung gezeigt seitwärts. Dies ist so, weil die Tiere auf diese Weise ihre Umgebung besser überblicken können. In der Natur ist dies für Wildvögel überlebenswichtig, denn je mehr die Tiere von ihrer Umwelt erblicken können, desto leichter sind sie dazu in der Lage, einen herannahenden Fressfeind zu rechtzeitig zu entdecken und zu fliehen. Weil sie sich auf diese Weise der Gefahr entziehen, bezeichnet man Vögel, deren Augen seitlich am Kopf liegen, auch als Fluchttiere. Anders verhält es sich übrigens bei gefiederten Jägern wie Eulen oder Greifvögeln. Deren Augen befinden sich vorn im Gesicht, sie sind ähnlich wie bei uns Menschen angeordnet und ermöglichen ein hervorragendes dreidimensionales Sehen, das für die Jagd notwendig ist. Dagegen haben die Papageienvögel und viele andere Vögel mit seitlich am Kopf befindlichen Augen eher ein „Übersichtssehen“.

Tipp: Lesen Sie auch den Beitrag über die Augen der Vögel.

Der Sehsinn – die Bildverarbeitung

Wellensittiche und etliche andere Vogelarten verarbeiten optische Reize anders als wir Menschen. Sie sind dazu in der Lage, mehr Bilder pro Sekunde zu sehen als wir. Der Grund dafür ist, dass sie bei rasanten Flügen ihre Umgebung immer scharf und detailgenau sehen müssen. Deshalb verarbeitet ihr Gehirn optische Reize so schnell.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Wir Menschen nehmen das, was der Fernseher uns zeigt, als Film wahr. Vögel jedoch sehen abgehackte aufeinander folgende Bildsequenzen. Ähnlich ist der Effekt, den Stroboskoplicht bei uns Menschen verursacht. Wer einmal in einer Disko war, wo solche Lichteffekte gern eingesetzt werden, dürfte sich in etwa vorstellen können, dass Ziervögel die Bildfolgen des Fernsehers nicht als Filme wahrnehmen.

Das bedeutet: Alle Lichtquellen, die mit einer Frequenz von unter circa 150 Hertz und somit 150 Bildern pro Sekunde arbeiten, werden von Wellensittichen als flackernd wahrgenommen. Zum Vergleich: Das menschliche Gehirn kann deutlich weniger. Je nach Quelle kann es 14–16 oder maximal 24 Bilder pro Sekunde auflösen, erst bei geringeren Frequenzen sehen wir ein Flackern.

Der Sehsinn – die Farbwahrnehmung

Immer wieder ist beispielsweise in Internet-Foren zu lesen, Wellensittiche und andere Ziervögel hätten eine schlechtere Farbwahrnehmung als wir Menschen. Das ist falsch, das Gegenteil ist der Fall! Die Augen der Wellensittiche nehmen im für uns sichtbaren Spektralbereich in etwa dasselbe wahr. Das heißt, sie erkennen Farben wie Rot, Gelb, Grün, Blau oder Orange. Aufgrund des Aufbaus der Vogelaugen gehen Forscher sogar davon aus, dass das Farbsehen der Tiere erheblich differenzierter ist als beim Menschen. Folglich ist es recht wahrscheinlich, dass Vögel viel feinere Farbnuancen unterscheiden können als wir.

Hinzu kommt, dass Wellensittiche Rezeptoren für einen weiteren Spektralbereich in den Augen aufweisen, die uns Menschen fehlen: Wellensittiche können ultraviolettes Licht sehen, was im Tierreich aber keine Besonderheit ist. Viele Insekten und etliche andere Vogelarten können dies ebenfalls. Im Gefieder der Wellensittiche befinden sich Bereiche, die ultraviolettes Licht schlucken, wohingegen andere Areale diese Wellenlängen stark reflektieren. Würden wir Wellensittiche mit den Augen eines Wellensittichs in direktem Sonnenlicht sehen, das einen natürlichen UV-Anteil enthält, würden manche Partien des Gefieders besonders stark aufleuchten. Zum Beispiel leuchtet die Stirn auf, auch die Wangen erstrahlen im UV-Licht. Möglicherweise spielt die Wahrnehmung dieser UV-Farbakzente eine große Rolle in der Partnerwahl der Wellensittiche, vermuten Wissenschaftler. Bei Youtube gibt es ein Video, das das Aufleuchten bestimmter Gefiederpartien unter UV-Licht dokumentiert: bitte hier klicken.

Damit auch im Haus gehaltene Ziervögel ihr volles Sehspektrum ausschöpfen können, ist es wichtig, ihnen spezielle Lampen anzubieten. Das Licht gängiger Leuchtmittel für Häuser und Wohnungen enthält für gewöhnlich keinen oder nur einen sehr geringen UV-Anteil. Lediglich einige besondere Lampen, sie werden als Bird Lamps bezeichnet, bieten den Vögeln dieses für uns unsichtbare Licht. UV-Licht ist für Ziervögel außerdem nicht nur rein optisch wichtig. Es spielt auch eine bedeutende Rolle bei der Vitaminbildung im Körper.

Das Gehör – die akustische Wahrnehmung

Viele Forscher beschäftigen sich damit, das Gehör der Vögel zu ergründen. Bekannt ist inzwischen, dass zahllose Singvogelarten sehr rasche Tonfolgen zeitlich auflösen können. Sie nehmen Pausen zwischen den Tönen und Schwankungen in der Lautstärke wahr, die so schnell erfolgen, dass wir Menschen sie nicht als solche hören können. Demnach dürfte das Gehör zahlreicher Vogelarten sehr viel feiner sein als unseres. Außerdem können manche Vögel feinste Obertonschwingungen in den Schreien ihrer Artgenossen hören. Das gilt zum Beispiel für Pinguine, die anhand dieser Obertonschwingungen ihre Partner und ihren Nachwuchs unter tausenden von Artgenossen finden können. Für unsere Ohren klingen die Rufe der Tiere jedoch alle nahezu gleich. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass auch Wellensittiche über ein sehr viel besseres, vor allem zeitlich höher aufgelöstes Gehör verfügen als der Mensch.

Der Tastsinn – fühlen mit Haut, Füßen und Zunge

Papageienvögel nutzen ihre Zunge unter anderem zum Tasten
Papageienvögel nutzen ihre Zunge unter anderem zum Tasten

Am gesamten Körper ist die Haut der Vögel berührungsempfindlich. Das heißt, die Tiere können mithilfe ihres Tastsinns Umgebungsreize wahrnehmen. Stoßen sie etwa mit der Flügelspitze gegen ein Hindernis, spüren sie dies in der Haut ihres Flügels, weil sich der Druck über die Federn auf die Körperhülle überträgt. Auch mit den Füßen spüren die Vögel, wie sich der Untergrund anfühlt.

Sehr viele Nervenenden befinden sich bei Wellensittichen und anderen Ziervögeln an der Zungenspitze. Anders als wir Menschen schmecken sie nicht mit der Zungenspitze, sondern verwenden sie zum Ertasten von Nahrung und allerlei Gegenständen aus ihrer Umgebung, siehe Foto rechts. Auch die Innenseite des Oberschnabels ist wahrscheinlich berührungsempfindlich, sodass sie zum Tasten dient. Dies ist bei Vögeln während der Nahrungsaufnahme besonders wichtig. Wellensittiche und andere Körnerfresser müssen ihre Nahrung im Schnabel bewegen und präzise die richtigen Angriffspunkte finden, um die Spelzen entfernen zu können. Dies ist nur mithilfe ihres Tastsinns möglich.

Der Vibrationssinn – Erspüren von Erschütterungen

Immer wieder hört man, Vögel würden vor Erdbeben nervös werden und panisch auffliegen, noch bevor den Menschen selbst etwas auffällt. Tatsächlich spüren sie mit ihrem Körper – und vor allem mit den Füßen – feinste Erschütterungen des Untergrundes, also beispielsweise des Astes, auf dem sie sitzen. Sie reagieren darauf häufig mit Flucht oder zumindest Fluchtbereitschaft, um sich vor einer noch unsichtbaren, aber schon fühlbaren Gefahr in Sicherheit zu bringen. Für viele Vögel ist dieser Vibrationssinn in freier Natur überlebenswichtig. Wellensittiche und etliche andere Vogelarten schlafen nachts auf Ästen sitzend. Es könnten sich Fressfeinde wie kletternde Säugetiere oder Schlangen anschleichen. Dadurch gerät der Ast häufig ganz leicht in Schwingungen, was die Vögel über ihren Vibrationssinn auch im Schlaf wahrnehmen.

Oft sind übrigens Erschütterungen des Bodens der Grund dafür, dass es bei im Haus gehaltenen Vögeln zu einer Nachtpanik kommt. Als sich beispielsweise in unmittelbarer Nähe des Wohnortes des Birds-online.de-Vogelschwarms eine Baustelle für eine neue U-Bahn-Linie befand, auf der auch nachts Baubetrieb herrschte, gerieten die Vögel sehr häufig in Panik. Schwere Maschinen hatten beim Graben der Tunnel zu Erschütterungen des Bodens geführt, die sich wiederum auf die Sitzstangen der Vögel übertragen und zu ängstlichem Geflatter geführt haben.

Der Geruchssinn – was Vögel riechen können

Bei vielen Vogelarten ist der Geruchssinn sehr hoch entwickelt, ein Beispiel hierfür sind die Albatrosse. Sie spüren bei ihren weiten Flügen über das Meer ihre Nahrung mittels ihrer Nase auf. Von vielen Vogelarten, darunter Singvögel und Papageien, hat man lange Zeit angenommen, dass ihr Geruchssinn nur schwach ausgeprägt ist. Doch neueste Forschungsergebnisse haben dies widerlegt. Bei jungen Zebrafinken haben Wissenschaftler der Universität Bielefeld nachgewiesen, dass die Tiere den Geruch ihres eigenen Nestes erkennen, siehe Bericht der Forscher.

Der Geruchssinn der Wellensittiche dürfte demnach bisher ebenfalls unterschätzt worden sein. Zudem habe ich selbst bei einem meiner früheren Wellensittiche beobachtet, dass er es gehasst hat, von mir aus nächster Nähe angesprochen zu werden, nachdem ich Knoblauch gegessen hatte. Er hat sich geschüttelt, die Augenlider zusammenkniffen und er ist einige Schritte rückwärts gelaufen, wann immer ich ihn mit einer „Knoblauchfahne“ angehaucht habe. Dieses Verhalten hat er nie an den Tag gelegt, wenn ich zuvor etwas anderes gegessen hatte.

Der Geschmackssinn – was Vögel schmecken können

Papageienvögel können verschiedene Geschmacksrichtungen unterscheiden
Papageienvögel können verschiedene Geschmacksrichtungen unterscheiden

Im hinteren Bereich der Zunge befinden sich bei Wellensittichen und anderen Ziervögeln die Geschmacksknospen, also jene Bereiche, mit denen sie den Geschmack der Nahrung wahrnehmen. Experimente an verschiedenen Papageienarten haben gezeigt, dass die Tiere die Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und scharf wahrnehmen, wenn auch unterschiedlich stark. Wer seine Wellensittiche aufmerksam beobachtet, der kann bei einigen Tieren feststellen, dass sie geschmackliche Vorlieben zu haben scheinen. So konnte ich in meinem Vogelschwarm bei mehreren Tieren feststellen, dass gleich aussehende, aber verschieden schmeckende Birnensorten unterschiedlich gern gegessen worden sind. Einzelne Vögel hatten ihre Lieblingssorten wie etwa Abate Fetel. Diese wurden dann gern und scheinbar mit Genuss verspeist, wohingegen andere Sorten nur einmal probiert und die Häppchen gleich wieder ausgespuckt wurden.

Auf die Geschmacksrichtung „scharf“ reagieren Papageienvögel übrigens so gut wie gar nicht, in diesem Bereich ist ihr Geschmackssinn sehr unempfindlich. Deshalb kann man den Vögeln, die es gern mögen, auch scharfe Chilischoten servieren. Die Schärfe macht den Tieren nichts aus und viele Papageien und Sittiche lieben dieses Gemüse.