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Mutter attackiert oder rupft ihre Küken
Zuweilen ist ein Verhalten bei Wellensittichmüttern zu beobachten, das sich nicht in jedem Fall schlüssig erklären lässt. Eine bis dahin fürsorgliche Vogelmutter attackiert plötzlich ihre eigenen Küken und verletzt sie mehr oder minder schwer. Auch kann es leider vorkommen, dass ein Jungtier, das von der eigenen Mutter nicht großgezogen werden konnte, einer anderen Henne ins Nest gelegt werden muss. Zunächst mag alles gut gehen, aber dann kann es bedauerlicherweise plötzlich zu einem Angriff kommen, bei dem die Amme das fremde Junge schwer verletzt oder gar tötet. Normalerweise sind Wellensittiche nicht derart aggressiv und in den meisten Fällen vorbildliche Ammen, die fremde Küken häufig problemlos akzeptieren. Doch es gibt von jeder Regel Ausnahmen.
Solche Beißattacken richten sich meist gegen sehr junge Küken. Dabei zielen die Weibchen vor allem auf den Kopf ihrer Opfer, wie sie es auch im Kampf mit erwachsenen Artgenossen tun würden. Sehr junge Wellensittiche sind extrem empfindlich und es reicht manchmal ein gezielter Schnabelhieb eines erwachsenen Vogels, um eine tödliche Verletzung zu verursachen. Findet man einen verletzten Jungvogel, sollte er umgehend durch einen fachkundigen Tierarzt versorgt werden. Allerdings ist das nicht unbedingt ein Garant dafür, dass das Küken überlebt. Gerade wenn es zuvor Schnabelhiebe auf den Kopf hat einstecken müssen, könnte eine Hirnverletzung vorliegen, die innerhalb weniger Stunden zum Tode führt.
Warum hacken und beißen Vogelweibchen ihre Küken?
Die Beweggründe der Wellensittiche, die ihren Nachwuchs beißen und auf ihn einhacken, sind für Menschen oft nur schwer zu durchschauen. Als Erklärungsversuch dient häufig das Argument, ein getötetes Jungtier sei vermutlich krank gewesen, was die Mutter gespürt haben muss. Sicher mag dies in einigen Fällen zutreffen. Allerdings töten manche Weibchen immer wieder ihren Nachwuchs. Es ist kaum vorstellbar, dass bei diesen Vogelmüttern bei mehreren verschiedenen Bruten wiederholt kranke und somit nicht überlebensfähige Küken in den Nestern liegen. Somit scheint es zumindest in einigen Fällen eine schlechte Angewohnheit der Wellensittichweibchen zu sein, unter bestimmten Umständen gewalttätig gegenüber dem eigenen Nachwuchs zu werden. Zudem gibt es Fälle, in denen eine zuvor stets vorbildliche Vogelmutter plötzlich ihre Nestlinge durch Bisse verletzt.
Die Frage, weshalb Vogelmütter überhaupt so aggressiv werden, lässt sich nicht pauschal beantworten und es bedarf einer genauen Analyse des jeweiligen Einzelfalls. Es wird vermutet, dass Stress ein möglicher Auslöser für die Beißattacken sein könnte, also beispielsweise ein zu aufdringlicher Partner, wiederholte Störungen der Brut, eine schlechte Nahrungssituation und dergleichen. Oder aber die Vogelmutter hatte ein großes Gelege, einige Junge haben bereits das Nest verlassen und die jüngsten Nachkommen sind noch nicht ganz so weit. Das Weibchen ist nach wie vor in Brutstimmung und steht kurz vor der erneuten Eiablage oder hat gar bereits Eier gelegt. Dann kann es geschehen, dass es zu Angriffen auf die noch im Nest befindlichen Jungtiere kommt, die so vertrieben werden sollen. Diese Angriffe laufen meist nach einem speziellen Muster ab, wie weiter unten beschrieben wird.
Außerdem kann es auch vorkommen, dass eine Vogelmutter während der Jungenaufzucht erkrankt. Leidet sie unter Schmerzen, ist es eine enorme Belastung für sie, von den Jungen angerempelt und um Futter angebettelt zu werden. In einer solchen Situation kann es geschehen, dass ein unter Schmerzen leidendes Weibchen auf diese wiederholten Störungen mit Verteidigung reagiert: Der Vogel beißt und hackt um sich, um seine Ruhe zu haben. Dabei können Jungtiere schwer verletzt werden.
Was kann bei einem solchen Angriff passieren?
Von kleinen Blutergüssen über größere Bisswunden bis hin zu tödlichen Verletzungen reicht die Palette hier. Manche Verletzungen sind so gravierend, dass sie eine lebenslange Behinderung des Jungvogels zur Folge haben. So ist es gelegentlich zu beobachten, dass Wellensittichweibchen ihrem Nachwuchs Flügelglieder, Zehen oder einen Fuß abbeißen. Verletzungen des Schnabels und ausgehackte Augen kommen bedauerlicherweise ebenfalls vor. Allerdings bedeutet eine abgetrennte Gliedmaße nicht immer, dass die Mutter aggressiv ist. In einigen Fällen handelt es sich vielmehr um tragische Unfälle, wenn ein Weibchen beispielsweise versucht, ein Küken für die Fütterung mithilfe des Schnabels auf den Rücken zu drehen. Vollführt das Jungtier im selben Moment eine kräftige Bewegung, kann dies fatale Folgen haben. Je nachdem, wo die Mutter ihr zappelndes Küken mit dem Schnabel gepackt hat, kann hierbei versehentlich ein Körperteil abgetrennt werden.
Besonders bestürzend ist es, wenn ein Jungtier durch die Mutter unbeabsichtigt verletzt wird, während es noch teilweise im Ei steckt. Der auf dem Foto in der Nähe dieses Absatzes gezeigte junge Wellensittich hatte Schwierigkeiten beim Schlüpfen aus dem Ei. Seine Mutter hat versucht, Hilfe zu leisten. Dabei hat sie das Küken leider schwer verletzt. Sie hat dem Jungvogel bei ihren Versuchen, ihn aus der Eischale zu ziehen, einen Teil seines rechten Flügels sowie einige Zehen des rechten Fußes abgebissen. Das Jungtier hat den Blutverlust überlebt und ist zu einem gesunden, wenn auch gehandicapten Wellensittich herangewachsen. Seine Halterin Susann Blum hat einen Erfahrungsbericht über den Vogel namens Pino geschrieben, den Sie hier finden.
Viel häufiger kommt es bei Übergriffen im Nest nicht zu blutigen Verletzungen, sondern es werden Federn ausgerissen. Dieses Rupfen durch die Mutter ist gewissermaßen eine abgeschwächte Form der zuvor beschriebenen Angriffe. Wiederholtes Rupfen kann für die Jungvögel jedoch sehr traumatisierend sein und sollte deshalb keineswegs auf die leichte Schulter genommen werden.
Angriffe auf ältere Küken
Vor allem Jungtiere, die fast alt genug sind, um das Nest zu verlassen und deren Geschwister bereits längst flügge sind, werden mitunter von ihren Müttern gerupft. Besonders oft sind hiervon der Kopf und Nacken betroffen. Gegen andere Körperregionen richten sich die Angriffe der Mütter hingegen seltener. Weil solche Übergriffe meist dann auftreten, wenn es sich um ein sehr großes Gelege handelt, also mindestens sechs bis acht Küken, und in aller Regel die jüngsten Tiere betroffen sind, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Vogelmutter das Federrupfen als ein Stressventil nutzt. Allem Anschein nach ist so manche Vogelmutter durch die Aufzucht derart vieler Küken überlastet und steht unter enormem Stress, sodass sie überreagiert, nachdem bereits einige Jungtiere das Nest verlassen haben, die jüngsten aber noch weiter versorgt werden müssen.
Verstärkt wird dies dadurch, dass viele Wellensittichweibchen in einer solchen Situation bereits das nächste Gelege produzieren. Ihre hormonelle Uhr „tickt“ bereits mit großem Nachdruck, obwohl sich der Nachwuchs der ersten Brut noch im Nest befindet. Diese Jungvögel stören bei einem weiteren Brutversuch, weshalb die Vogelweibchen in einen Zwiespalt geraten. Einerseits sagt ihnen ihr Instinkt, dass sie ihre Jungtiere beschützen und großziehen müssen, andererseits ist da der Instinkt, Eindringlinge aus dem Nest zu vertreiben, weil sie ein neues Gelege produzieren möchten. Dieser innere Konflikt löst sehr wahrscheinlich das Fehlverhalten des Federrupfens bei einigen Vogelweibchen aus.
Es ist naheliegend, dass hiervon vor allem die jüngsten Nestlinge aus großen Gelegen betroffen sind. Besteht ein Gelege beispielsweise aus acht Eiern, die im Abstand von je zwei Tagen gelegt wurden und bei dem die Küken alle jeweils nach 18 Bruttagen schlüpfen, so beträgt die Altersdifferenz zwischen dem ältesten und dem jüngsten Küken 14 Tage! Im Alter von durchschnittlich 33 bis 35 Tagen verlassen die Jungtiere das Nest. Wenn das älteste Jungtier also beispielsweise am 33. Lebenstag das Nest verlässt, ist sein jüngstes Geschwister erst 19 Tage alt und noch weit davon entfernt, den Start ins eigenständige Leben anzutreten. Wenn weitere zehn Tage verstreichen und das Jungtier nach wie vor im Nistkasten ausharrt, weil es noch nicht flügge ist, ist es durchaus nachvollziehbar, dass eine Vogelmutter, die ein neues Gelege produzieren möchte, in einen inneren Konflikt gerät und unter Umständen gewalttätig wird.
Kann man solche Angriffe verhindern?
Zunächst einmal lässt es sich kaum voraussehen, ob und wann eine Vogelmutter zu Angriffen auf ihre Küken neigt. Es ist darüber hinaus ausgesprochen schwierig, eine Vogelmutter davon abzuhalten, ihre Küken zu attackieren oder ihnen die Federn auszureißen. Das Ganze geschieht dermaßen schnell, dass das Eingreifen im Moment des Angriffs kaum möglich ist – zumal sich dieser in aller Regel im Nistkasten ereignet und somit vor den Blicken des Menschen verborgen ist.
Stellt man bei der täglichen Nistkastenkontrolle fest, dass es einen Angriff gegeben hat, sollte man die betroffenen Jungtiere zunächst einmal medizinisch versorgen lassen, sofern dies erforderlich beziehungsweise möglich ist. In vielen Fällen ist es sinnvoll, die Jungtiere einer anderen Vogelmutter ins Nest zu geben, die Küken im selben Alter hat. Achtung: Zwar kommt es selten vor, aber mitunter attackieren Wellensittichweibchen fremde Jungtiere! Damit könnte sich die Situation der zuvor von der eigenen Mutter attackierten Küken in einem fremden Nest noch verschlechtern. Es ist deshalb allergrößte Wachsamkeit gefordert.
Zwei Fallbeispiele und ihr zeitlicher Verlauf
Auf den folgenden Bildern sind zwei Jungtiere zu sehen, die im Nest von ihren Müttern gerupft worden sind. Innerhalb weniger Wochen sind nicht nur die jungen Vögel herangewachsen, auch haben sich an den kahlen Stellen neue Federn gebildet und man hat den Vögeln bald nicht mehr angesehen, dass sie zuvor angegriffen worden sind.
Titelbild dieser Seite © Petra Schröder