Welli-Märchen – Serenio und der böse Wasserstrahl

Erstellt im Dezember 2004, überarbeitet im Mai 2020

Serenio nach dem ausgiebigen Baden
Serenio nach dem ausgiebigen Baden

Es war einmal ein kleiner hellblauer Wellensittich namens Serenio. Er war in Not geraten und musste von einer Federlosen mit Futter versorgt werden. Eine gemeine Fügung des Schicksals hatte es so gewollt, dass er danach Breireste in den Federn seines Gesichts kleben hatte.

„Das ziept und zerrt, wann immer ich mich bewege, weil alles verklebt ist“, jammerte der kleine Vogel. Seine Federlose kraulte ihn, so oft sie nur konnte. Dabei versuchte sie, die Breireste aus den Federn zu reiben – vergebens. Serenios Unbehagen wuchs, und deshalb beschloss die Federlose, dass die Zeit für ein ausgiebiges Bad gekommen war.

„Oh, wohin bringst Du mich, große Federlose?“ – Dies schienen die schwarzen Knopfaugen des kleinen Wellensittichs sie zu fragen.
„Ins Badezimmer, mein süßer Fratz, damit Du dort im Waschbecken planschen kannst und endlich die Breireste loswirst.“

Nach wenigen Sekunden erreichten die beiden Gefährten das Badezimmer. Serenio kannte es, hatte er doch am Morgen zuvor erst seiner Federlosen bei einem seltsamen Ritual zugeschaut, bei dem sie zunächst ein großes Etwas in die Hand nahm, dann ein kleines und aus dem Großen eine Paste auf das kleine schmierte. Dann steckte sie sich das kleine Ding in den Mund und bewegte es immer hin und her, bis ganz viel Schaum an ihren Lippen klebte. Danach wusch sie sich den Mund mit Wasser aus. Federlose haben wirklich seltsame Rituale, ging es dem kleinen Serenio bei der Erinnerung an dieses wundersame Erlebnis durch den Kopf.

Er hing seinen Gedanken nach, saß auf dem Finger seiner Federlosen und dachte an nichts Böses, als sich plötzlich unmittelbar vor ihm ein Ungeheuer zeigte: ein tosender Wasserstrahl!

„Gehe hinfort, Du blubberndes Ungeheuer! Verschwinde dorthin, woher Du gekommen bist!“, rief der blaue Sittich empört. Doch der Wasserstrahl achtete nicht auf ihn. Serenios Herz klopfte schneller. Konnte es sein, dass dieses Ungeheuer ihn tatsächlich nicht ernst nahm, obwohl er doch eine gefährliche Waffe bei sich trug? War das Monster etwa so respektlos, seinen spitzen Schnabel, der bereits drohend geöffnet war, zu ignorieren?

Der Wasserstrahl plätscherte ungerührt weiter, während Serenio immer ungehaltener wurde.
„Hinfort, hörst Du? Sonst beiße ich Dich!“, rief der junge Vogelmann ganz außer sich. Doch nach wie vor brodelte der Wasserstrahl ungerührt weiter.

Serenio hat gerade den bösen Wasserstrahl besiegt
Serenio hat gerade den bösen Wasserstrahl besiegt

Das war zu viel für den kleinen Sittich. Mutig stürzte er sich auf den Wasserstrahl und hackte nach ihm. Der Kampf währte einige Minuten. Wild mit den Flügeln schlagend bekämpfte der tapfere Serenio den zischenden Wasserstrahl, bis sein Federkleid völlig durchnässt war.

Dann, ganz unvermittelt, zog sich der Wasserstrahl zurück. Es schien, als habe Serenio den Kampf gewonnen. Zufrieden mit sich selbst und seinem Sieg über das nasse Element, richtete er sich zu voller Größe auf und schüttelte sein Gefieder. Ihm war nicht aufgefallen, dass die Federlose sich an einem der Hebel der Armatur zu schaffen gemacht hatte, unmittelbar bevor sich der Wasserstrahl in Luft aufgelöst hatte.

Das war dem siegreichen Helden ohnehin völlig egal. Hauptsache, er hatte einen glorreichen Sieg errungen. Ganz nebenbei und wie von Zauberhand waren auch noch die Breireste aus seinem Gefieder verschwunden. Zufrieden schwelgte Serenio in seinen Gedanken an den heroischen Sieg. Und wenn er nicht gestorben ist, dann trocknet er noch heute.

Nachtrag

Serenio kurz vor seinem tragischen und viel zu frühen Tod
Serenio kurz vor seinem tragischen und viel zu frühen Tod

Leider ist Serenio wenige Wochen nach dem Entstehen dieses Märchens tatsächlich gestorben. Er wurde das Opfer eines skrupellosen Züchters, der ihn zu früh von seinen Eltern getrennt hatte. Fast verhungert, war er in meine Obhut gelangt. Zunächst sah es so aus, als habe er die Hungerperiode ohne bleibende Schäden überstanden. Doch dann starb er an plötzlichem Organversagen, weil sein Herz und seine Nieren zu schwer geschädigt waren. Ruhe in Frieden, mein geliebter kleiner Freund. Ich hätte Dich so gern viele Jahre an meiner Seite gehabt!

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