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Verhaltensauffälligkeiten nach Handaufzucht
Haben junge Papageien und Sittiche unmittelbar nach dem Verlassen des Nestes keinen Kontakt zu Artgenossen, können sie deren Körpersprache, Lautäußerungen und soziale Regeln nicht kennenlernen. Normalerweise ist es so, dass junge Papageien, die das Nest verlassen haben, die also keine Nestlinge mehr sind, noch einige Tage bis Wochen von ihren Eltern gefüttert werden. In dieser Zeit bezeichnet man die Jungvögel als Ästlinge, weil sie in der Natur meist auf Ästen sitzen und die Eltern um Futter anbetteln. Ästlinge beobachten ihre Umgebung und die Artgenossen sehr genau. Sie lernen in dieser Phase, die beim Wellensittich etwa ab dem 35. Lebenstag beginnt und meist maximal bis zum 45. Tag dauert, all das, was sie für ein arttypisches Leben benötigen. Jene Lebensspanne im Familienverband oder Schwarm ist für die Vögel deshalb extrem wichtig. Welche Verhaltensauffälligkeiten sich aus einer Handaufzucht bei den Vögeln ergeben können, erfahren Sie im Folgenden.
Heftiges Beißen
Werden junge Wellensittiche sehr früh aus ihrem natürlichen sozialen Umfeld, sprich aus ihrer Familie oder ihrem Schwarm genommen, können sie weder lernen, wie beispielsweise ein Drohgurren klingt, oder ab wann es einem Artgenossen zu viel wird und er aufdringliches Verhalten mit Gegenwehr abblockt. Sie werden nicht von ihresgleichen in ihre Schranken verwiesen, wenn sie zu weit gehen und beißen ihre menschlichen „Partner“ deshalb nicht selten in manchen Situationen über alle Maßen heftig. Das ist nicht etwa so, weil sie böse sind, sondern weil sie es nicht gelernt haben, wo ihre Grenzen sein sollten, und das sowohl gegenüber Menschen als auch gegenüber anderen Vögeln.
Würde ein Jungvogel hingegen seinesgleichen zu fest beißen, erhielte er daraufhin postwendend eine Schnabelhieb-Lektion, die ihm der Mensch normalerweise nicht erteilt. Oft ist es ja ach so niedlich, wenn der junge Vogel am Finger knabbert und dabei zwischenzeitlich auch mal fester zwickt. Wird ihm nicht auf für ihn verständliche Weise verdeutlicht, dass er zu weit geht, lernt er nicht, dass diese Bisse schmerzhaft sind und hält sie für normal. Spätestens dann, wenn das Tier die Geschlechtsreife erreicht und seinen Partner, also seine Bezugsperson, gegen anderen Menschen verteidigt, kann das sehr kräftige Beißen zu massiven Problemen führen.
Ein Vogel, der in Brutstimmung ist und seinen federlosen Partner eifersüchtig verteidigt, folgt dem ihm angeborenen Instinkt – nur dass sich dieser eben nicht auf Artgenossen bezieht, sondern auf Menschen. Zuvor verträgliche Vögel werden zu regelrechten Rüpeln, wenn sie geschlechtsreif werden, und ihre Bissigkeit ist nicht selten ein Grund, dass sie dem Besitzer schließlich lästig werden. Wer mag es schon, dass das geliebte Tier plötzlich auf Gäste oder andere Familienmitglieder losgeht und diese mit Bissen traktiert oder einen gar selbst beißt? Dabei ist außerdem zu bedenken: Während ein Biss eines Wellensittichs die Haut allenfalls geringfügig verletzt, kann zum Beispiel ein Kakaduschnabel erhebliche Verletzungen herbeiführen oder im ungünstigsten Fall gar einen Finger abtrennen!
Das Beißen tritt aber nicht nur infolge einer gesteigerten Brutstimmung auf. Manche Vögel fühlen sich durch ihre menschliche Bezugsperson mitunter zu wenig beachtet, weil der Tierhalter beispielsweise tagsüber arbeiten geht oder sich gelegentlich anderen Menschen widmet. Hat ein fehlgeprägter Papagei gelernt, dass ein kräftiger Biss eine Reaktion des Halters provoziert – und sei es nur lautes Schimpfen –, so wird er unter Umständen das Beißen als Mittel einsetzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Mit seinem Fehlverhalten setzt er gewissermaßen seine Interessen durch und erhält dadurch seine „Belohnung“, nämlich die „Zuwendung“ des (verärgerten) Menschen. Es erfordert viel Fingerspitzengefühl, dem Vogel dieses schlechte Benehmen wieder abzugewöhnen. Mit Strafen wie Aufmerksamkeits- und Liebesentzug erreicht man zudem meist nur das Gegenteil.
Und bedenken Sie bitte: Dies ist nur eine mögliche Ursache von vielen; Papageien und Sittiche können sich auch aus anderen Gründen zu sogenannten Beißern entwickeln. Es ist wichtig, im individuellen Fall die jeweiligen Gründe genau zu ermitteln. Nur wenn die Ursachen für das Beißen bekannt sind, kann eine Lösungsstrategie erarbeitet werden.
Häufige Paarungen
Ausgesprochen unangenehm kann es werden, wenn ein fehlgeprägter Papagei oder Sittich Körperteile des Menschen zum Paarungsakt nutzt. So mancher fehlgeprägter männliche Wellensittich stürzt sich auf die Hand seiner Bezugsperson und begattet sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Oder er setzt sich auf den Kopf und beginnt damit, sich am Haar zu befriedigen – bei Frauen gern an Haargummis, die Pferdeschwänze zusammenhalten. Dieses Verhalten kann zwar auch bei sexuell hyperaktiven Wellensittichen, die nicht fehlgeprägt sind und im Schwarm gehalten werden, durchaus vorkommen. Aber es ist bei ihnen eher nicht die Regel.
Mag es zu Beginn noch als niedliche Marotte angesehen worden sein, wird es irgendwann so lästig, dass es das Fass vielleicht zum Überlaufen bringt. Derlei Paarungsakte können auf die Dauer zermürben und so mancher Halter fühlt sich peinlich berührt, wenn beispielsweise Gäste zu Besuch sind und der Vogel sich ständig mit der Hand paaren möchte. Das hat übrigens bei fehlgeprägten Handaufzuchten nichts mit Selbstbefriedigung zu tun. Sie sehen den Menschen als echten Sexualpartner an und verhalten sich aus ihrer Sicht genau richtig – sie paaren sich mit ihrem Partner.
Permanentes Schreien
Eine typische Verhaltensauffälligkeit, die sich bei fehlgeprägten Handaufzuchten entwickeln kann, ist das permanente laute Rufen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen, und sei es auch nur ein böses Wort des verärgerten Halters. Den Vögeln ist nicht bewusst, dass sie uns Menschen damit frustrieren oder gar wütend machen. Für sie zählt nur, dass wir uns ihnen zuwenden. Dass dies häufig im Ärger geschieht, verstehen sie nicht.
Man bezeichnet solche Vögel, die ständig ihre Stimme in voller Lautstärke vernehmen lassen, in der Fachsprache als Schreier. Ihnen diese Verhaltensauffälligkeit wieder abzugewöhnen, ist äußerst schwierig. Denn das für unsere Ohren unangenehme Fehlverhalten ist im Grunde nichts anderes als ein verzweifelter Hilferuf einer einsamen, unzufriedenen Vogelseele, die in uns Menschen „echte“ Partner sieht und sich zu wenig beachtet fühlt.
Federrupfen und Selbstverstümmelung
Nicht alle fehlgeprägten Vögel, die sich einsam fühlen, werden zu Schreiern oder Beißern. Manche von ihnen entwickeln sich zu sogenannten Federrupfern. Das bedeutet, sie beginnen aufgrund des seelischen Kummers damit, ihre eigenen Federn auszureißen. Vor allem im Bereich der Brust, aber auch am Rücken und mitunter sogar an den Flügeln reißen sie sich ihre Federn aus. Galt früher noch die Lehrmeinung, nur größere Papageien würden diese Verhaltensauffälligkeit entwickeln, so weiß man inzwischen längst, dass auch Wellensittiche zu Federrupfern werden können.
Manche Vögel gehen sogar noch ein Stück weiter und verletzen sich selbst. Vor allem unter den Kakadus kommt es vor, dass sich die Vögel selbst die Brust aufbeißen und sich tiefe, stark blutende Wunden zufügen, nachdem sie sich zuvor bereits sämtliche Federn ausgerissen haben. Dieses Verhalten wird auch als Automutilation bezeichnet, der umgangssprachliche Begriff hierzu lautet Selbstverstümmelung.
Es ist kaum möglich, sie von diesem selbstzerstörerischen Tun wieder abzubringen. Hinzu kommt, dass nicht alle Vögel aufgrund einer seelischen Notlage ihr Gefieder zerstören oder sich selbst verletzen. Mitunter stecken organische Erkrankungen dahinter. Deshalb ist es wichtig, bei jedweder Selbstverstümmelung umgehend einen vogelkundigen Tierarzt zu Rate zu ziehen.
Was Sie im Fall der Fälle tun können
All die „bösen“ Verhaltensweisen wie das Beißen und eifersüchtige Bewachen der Bezugsperson sowie die Paarungsversuche veranlassen viele Vogelhalter dazu, ihren fehlgeprägten Vogel dadurch zu bestrafen, dass sie ihn weniger beachten. Das hat meist fatale Folgen für die Psyche des Vogels, der sich aus seinem „Schwarm“ ausgeschlossen und von seinem Partner verstoßen fühlt. Hierdurch verschlimmert sich die Lage meist.
Umgekehrt werden Federrupfer und Vögel, die sich selbst verstümmeln, oft mit sehr viel Aufmerksamkeit überschüttet, woraus sie lernen: Wenn ich mich selbst verletze, dann bekomme ich Zuwendung. Daraus kann ein fataler Teufelskreis entstehen.
Stellen Sie Verhaltensauffälligkeiten bei einem von Hand aufgezogenen Vogel oder auch bei einem von seinen Eltern großgezogenen Wellensittich fest, sollten Sie niemals in Eigenregie experimentieren. Kontaktieren Sie unbedingt einen Experten wie einen vogelkundigen Tierarzt oder Papageientrainer, um gemeinsam mit diesen Fachleuten eine individuell passende Strategie zu entwickeln. Nur so können Sie ihren seelisch in Not geratenen Tieren helfen.
Das Allerwichtigste ist jedoch, eine solche Situation idealerweise gar nicht erst aufkommen zu lassen. Unterstützen Sie keine Züchter, die Handaufzuchten durchführen. Kaufen Sie solche Vögel erst gar nicht, denn wenn es keinen Markt für fehlgeprägte Vögel gibt, lohnt sich der Aufwand für die Züchter nicht mehr. Dann können hoffentlich mehr Vögel unter ihresgleichen aufwachsen und werden arttypisch sozialisiert.