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Erfahrungsbericht über Wellensittich Sammy
Text und Bilder von Daniel Neubauer, Mai 2015
Sammys Geschichte begann im Jahr 2003, als er sich irgendwo aus dem Ei kämpfte. Die ersten zwei Jahre seines Lebens verbrachte er als Einzelvogel bei Menschen, die ihn irgendwann abschoben, weil sie „keinen Bock“ mehr auf ihn hatten. Über einige Umwege kam Sammy zu mir. Sein Gefieder war matt, grau und stumpf und außerdem fehlten ihm die Schwanzfedern, die er bei einer Einfangaktion eingebüßt hatte. Es dauerte ein paar Wochen und Sammys Gefieder verbesserte sich durch die ausgewogene Ernährung deutlich.
In den Jahren von 2005 bis 2011 lebte Sammy sein Leben in vollen Zügen. Der neugierige und agile Sittich hatte für kurze Zeit ein blaues Wellensittichweibchen als Partnerin, war aber die meiste Zeit unverpaart und pflegte lockere Bekanntschaften mit den anderen Vögeln.
Im Jahr 2011, Sammy war etwa acht Jahre alt, fiel er mir eines Tages durch ein seltsames Verhalten auf: Er wirkte orientierungslos und flog anscheinend verwirrt durch das Vogelzimmer. Mein erster Verdacht war eine neurologische Ausfallserscheinung. Ich schaute mir Sammy genauer an und war erschrocken, als ich sein rechtes Auge sah. Die Linse war getrübt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keinerlei Erfahrung mit blinden Vögeln und mir stand die völlig neue Situation „blinder Vogel“ bevor…
Das Beispielfoto in der Nähe dieses Absatzes zeigt, wie eine Linsentrübung bei einem Wellensittich aussehen kann. Bei diesem Vogel ist sie sehr weit fortgeschritten, er litt an altersbedingtem Grauen Star, was bei betagten Heimvögeln gar nicht so selten vorkommt. Doch kehren wir zurück zu Sammy.
Tja… was nun? Die bis dahin gute Nachricht: Meine Experimente in Eigenregie (den Finger vor die Augen des Vogels halten und seine Reaktion abwarten) ergaben, dass er mit dem linken Auge vollständig sehen konnte, das rechte Auge war vollständig blind. Es folgte eine lange Recherchephase im Internet, ich sichtete meine Literatur und kontaktierte andere Vogelhalter, von denen ich wusste, dass sie blinde Tiere pflegten. Natürlich fuhr ich mit Sammy in den Tagen darauf zu einem vogelkundigen Tierarzt, der sich die Augen von Sammy näher ansah. Leider sind mir die Bezeichnungen für die durchgeführten Untersuchungen entfallen, jedoch wurde der Lichteinfall in das Auge untersucht und die Reaktion der Pupille bewertet. Resultat war: Das rechte Auge war, wie ich bereits vermutet hatte, fast komplett erblindetet und im linken gab es erste Anzeichen für eine bevorstehende Erblindung. In den nächsten Wochen und Monaten würde Sammy also komplett erblinden. Eine Erkrankung als Ursache ließ sich nicht feststellen, sodass wir davon ausgingen, dass Sammy altersbedingt erblindete.
Wie kam Sammy mit seiner Blindheit zurecht?
Sammy hatte den Vorteil, dass er langsam erblindete. Die Umgebung kannte er seit Jahren und die Futter- und Wassernäpfe befanden sich immer an den gleichen Stellen. Morgens fütterte ich meine Vögel außerhalb des Käfigs und abends im Käfig. Für ihn war dies Routine und auch als er komplett erblindete, fand er die Näpfe problemlos. Er wusste genau, wann „Essenszeit“ war und wann er abends in den Käfig gehen sollte. An den Fressgeräuschen (das Knacken der Spelzen) der anderen Vögel orientierte er sich und flog problemlos nach dem Freiflug in den Käfig zurück.
Durch die Blindheit war Sammy der Schwächste im Schwarm und konnte sich bei Gerangel um das Futter kaum verteidigen und hatte oft das Nachsehen. Ich beobachtete, dass er aus Hunger auf dem Käfigboden umher lief und nach Futter suchte. Fortan streute ich also Futter auf den Käfigboden und Sammy wühlte im Buchenholzgranulat danach – so konnte er seinen Hunger stillen und war sinnvoll beschäftigt. Außerdem fütterte ich ihm manchmal gesondert Kolbenhirse zu. Freilich sah er die Hirse nicht, aber auch hier orientierte er sich an den Fressgeräuschen der anderen Vögel. Alternativ reichte es, irgendwelche Geräusche mit der Hirse zu machen, sodass es so klang, als würde ein anderer Vogel fressen und ein paar Körner zu Boden fallen… Diese Geräusche kannte er bestens. 😉
Und weil meine Vögel im ganztägigen Freiflug lebten, flog auch Sammy weiterhin mit – theoretisch jedenfalls. Mit zunehmender Blindheit schränkte er seinen Aktionsradius extrem ein und hielt sich meistens nur noch auf oder im Käfig auf. Auf den Käfig habe ich ihm einen kleinen Freisitz gebaut, wo er gerne saß und zwitscherte.
Wenn er mal losflog, dann extrem langsam, fast „kolibriartig“, und er tastete mit ausgestreckten Füßen nach einem Landeplatz. Ich habe die Umgebung seit Sammys Blindheit nicht sonderlich verändert – hier ein neuer Ast, da ein neues Seil, aber der größte Teil blieb gleich. Dies war wichtig, damit er sich orientieren konnte. Es schien, als hatte er eine geistige Landkarte vom Vogelzimmer parat. Schlimme Unfälle gab es in den Jahren der kompletten Blindheit („komplett“ stimmt nicht ganz, denn Helligkeit und Dunkelheit konnte er voneinander unterscheiden) nie. Mein Vogelzimmer war vogelsicher, aber es gibt Situationen, die für einen blinden Vogel gefährlich werden können, wie ich lernen musste. Einmal fand ich Sammy zwischen zwei Stängeln einer Zimmerpflanze eingeklemmt vor. Von allein konnte er sich dort nicht mehr befreien, sodass ich ihm helfen musste.
Mein Umgang mit Sammy war ein bisschen schwieriger – er war zwar zutraulich, aber mit zunehmender Blindheit wurde er schreckhafter. Ich musste ruhig mit ihm sprechen, damit er sich nicht erschreckte und losflog. Ursprünglich hatte ich vor, ihn auf akustische Signale zu trainieren. Das funktionierte jedoch leider nicht, weil er sich immer erschrak, wenn ich beispielsweise mit dem Finger leichten Druck gegen seinen Bauch ausübte (nach dem Motto „Steig auf!“). Weil es aber im Tagesablauf ansonsten keine Probleme gab und er die Umgebung kannte, war ich zufrieden. Wenn ich ihn dennoch einmal fangen musste (zum Beispiel zum Krallenschneiden), dann kommentierte er dies mit lautem Gezeter.
Ende April 2014 ließ ich Sammy aufgrund einer schwerer Krankheit einschläfern. Er wurde 11,5 Jahre alt und war zuletzt das Schwarm-Urgestein, weswegen es mir besonders schwerfiel, ihn gehen zu lassen. Ich bin dankbar, ihn gehabt zu haben und dass ich diese (auch wenn es sich komisch anhört) interessante Erfahrung machen durfte. Er hat sich von seiner Blindheit nicht unterkriegen lassen und das hat mich beeindruckt. Vielleicht machen meine Zeilen dem einen oder anderen Halter in einer ähnlichen Situation Mut und geben eine Hilfestellung bei der Pflege erblindeter Vögel.
Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags