Angeborene Defekte

Text und Bilder von Birds-Online.de (Gaby Schulemann-Maier), August 2002

Von Geburt an fehlte diesem Wellensittichweibchen am linken Fuß ein Zehenglied.
Von Geburt an fehlte diesem Wellensittichweibchen am linken Fuß ein Zehenglied.

Im Vergleich zu Amputationen, die sich durch Unfälle ergeben, ist das angeborene Fehlen von Gliedmaßen bei Vögeln sehr selten. Trotzdem schlüpfen gelegentlich Vögel aus ihren Eiern, denen von Beginn an ein Körperteil fehlt. Abhängig davon, welches dies ist, muss dieses Fehlen für die Tiere nicht zwangsläufig mit großen körperlichen Einschränkungen verbunden sein muss. Zwar kommt es sehr selten vor, dass zum Beispiel ein Vogel mit nur einem Bein aus dem Ei schlüpft, was definitiv eine Herausforderung im Alltag darstellt. Aber in aller Regel fehlen „nur“ einzelne Zehen oder Zehenglieder, womit die betroffenen Vögel zumeist gut zurechtkommen.

Einer meiner früheren Wellensittiche hatte einen solchen angeborenen Defekt. Das Wellensittichweibchen Rhea war zeitlebens ein ebenso munterer wie selbstbewusster Vogel, vor dem sämtliche Schwarmgenossen größten Respekt hatten. Mit ihrem starken Willen sowie ihrer körperlichen Kraft setzte sie sich immer durch, egal, worum es ging. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie eine leichte Einschränkung zu meistern hatte: An ihrem linken Fuß fehlte am äußeren, hinteren Zeh das letzte Glied. Demnach hatte Rhea dort keine Kralle.

Vögel, denen von Geburt an ein Zehenglied fehlt, lernen von Anfang an, sich damit zu arrangieren und unterscheiden sich in ihrer Beweglichkeit in den meisten Fällen kaum von ihren unversehrten Artgenossen. Sind hingegen größere Körperpartien betroffen, fehlt also beispielsweise ein Fuß oder ein Teil des Flügels, ist die Situation selbstverständlich anders und die Tiere stehen vor erheblichen Herausforderungen. Doch auch das meistern viele betroffene Vögel, wie etwa im Beitrag über Beimamputationen nachzulesen ist.

Doch zurück zu meinem Wellensittich Rhea. Sie führte oft ihre enormen Kletterkünste vor, bei denen sie das Fehlen des Zehenglieds sowie die nicht vorhandene Kralle nicht im Geringsten zu stören schienen. Nur sehr selten kam es vor, dass Rhea an sehr dicken Sitzästen keinen Halt mit dem zu kurzen Zeh fand: Es fehlte die Kralle zum „Einhaken“. Aber da die anderen Zehen und Krallen intakt waren, konnte sie das Fehlen in der Regel gut ausgleichen.

Von Züchtern hörte ich vor einiger Zeit, dass sich derlei angeborene Defekte unter Umständen weiter vererben könnten. Deshalb wird von der Zucht mit Vögeln abgeraten, denen vom Schlupf an an Gliedmaßen fehlen. Bevor ich davon gehört hatte, wurde mein Weibchen Rhea ungeplant Mutter dreier unversehrter Küken. Ihre älteste Tochter hatte ihrerseits drei Jahre später Nachwuchs. Auch Rheas einzige Enkelin war völlig unversehrt. Zumindest in diesen Fällen wurde das angeborene Fehlen eines Zehenglieds also nicht vererbt. Ob es statistisch betrachtet die Regel ist, lässt sich aufgrund der nur sehr kleinen Stichprobengröße allerdings nicht sagen.

Eventuell doch nicht angeboren

Aus unterschiedlichen Gründen kommt es gelegentlich vor, dass Vogelmütter ihre frisch geschlüpften Küken beißen. Hierbei kann es zu Amputationen von Gliedmaßen kommen. In manchen Fällen ist kaum Blut im Nest zu finden und es kann so wirken, als würden einem soeben geschlüpften Jungtier ohne äußere Einwirkungen Körperteile fehlen. Wer so etwas bemerkt, sollte das Nest sehr genau nach Blutspuren absuchen und prüfen, ob von der Vogelmutter eine Gefahr für den eigenen Nachwuchs ausgehen könnte. Mit diesem Thema befasst sich ein anderer Beitrag dieser Website.

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