Leo, adoptiert am 9. März ’19, † 4. Dezember ’21
Im Sommer 2017 hatte ich von einer großen Beschlagnahmungsaktion gehört, in deren Rahmen Tausende Tiere gerettet worden waren, darunter etliche Wellensittiche. Die Tiere hatten in einem Transporter aus dem Belgien kommend nach Spanien gebracht werden sollen. Sie waren unter fürchterlichen Bedingungen eng eingepfercht – und dann hatte der Transporter im Süden Deutschlands eine Panne. Vermutlich ahnte der Fahrer bereits, dass es in der Werkstatt schwierig werden könnte, die sich im Fahrzeug befindende Ware geheim zu halten. Und so war es dann auch. Den Mechanikern fiel sofort auf, dass sich in dem Transporter immens viele Vögel befunden haben, und sie alarmierten die Behörden. Zum Glück ist dieser illegale Tiertransport aufgeflogen, doch für viele Hamster war jede Hilfe zu spät gekommen, sie waren qualvoll in dem Wagen gestorben. Die Wellensittiche und anderen Vögel waren auf verschiedene Tierheime verteilt worden, von dort aus sollten sie vermittelt werden. Damals erschütterte mich die Geschichte und ich hoffte für die Tiere, dass sie alle eine bessere Zukunft vor sich haben würden. Dass ich gut 1,5 Jahre später einen Vogel aus diesem illegalen Transport aufnehmen würde, ahnte ich seinerzeit nicht.
Am 9. März 2019, der ein Samstag war, wirbelte ich mit dem Staubsauger durch das Vogelzimmer und hörte deshalb das Klingeln meines Telefons nicht sofort. Doch wie durch einen großen Zufall bekam ich beim Staubsaugen plötzlich Durst, schaltete das Gerät aus und ging in die Küche. Unterwegs fiel mein Blick auf das blinkende Telefon und ich erkannte die Nummer einer lieben Freundin. Sofort rief ich zurück und erwischte sie in einem Tierheim im Rheinland. Dorthin war sie mit ihrem Mann an dem Tag gefahren, um einen Wellensittich zu adoptieren. In ihrem Vogelschwarm hatte es leider einige Tage zuvor einen Todesfall gegeben. Die dadurch frei gewordene Schaukel sollte an eine arme Seele aus dem Tierschutz gehen.
Während sie sich unter den im Tierheim auf ein neues Zuhause wartenden Vögeln umsahen, fiel ihr Blick auf ein Wellensittichmännchen, das in dem großen Käfig auf dem Boden kauerte und unablässig die Wand anstarrte. Ulrike sprach mit ihm, aber er reagierte überhaupt nicht auf sie und wirkte teilnahmslos. Meine Freunde erfuhren vom Tierheimpersonal, dass der Vogel flugunfähig war und deshalb schon sehr lange nicht vermittelt werden konnte. Niemand interessierte sich für diesen „defekten“ Wellensittich und in dem Tierheimkäfig kam er nicht allzu gut zurecht. Einige Zeit zuvor hatte er sich notgedrungen mit einem gehandicapten Kanarienvogel angefreundet, erklärte man meinen Freunden. Dann sei der Kanarienvogel aber vermittelt worden und der Wellensittich seither wieder einsam und entsprechend traurig.
Es zerriss meinen Freunden das Herz und sie riefen mich deshalb an, wussten sie doch, dass ich in meinem Vogelzimmer gehandicapten Tieren ein sicheres und geräumiges Umfeld bieten kann. Bis dahin hatte ich nur die traurige Geschichte über die Freundschaft mit dem Kanarienvogel und den Verlust des Freundes gehört und sagte zu, dem Wellensittich ein Zuhause zu geben, obwohl ich ihn noch nicht einmal gesehen hatte. Zwar muss man eigentlich persönlich ins Tierheim kommen und die Formulare ausfüllen. Angesichts der besonderen Umstände wurde aber nach einem Telefonat mit mir eine Ausnahme gemacht und der gefiederte „Ladenhüter“ wurde meinen Freunden inklusive der Adoptionspapiere mitgegeben, damit er schnellstmöglich bei mir einziehen können würde. Kurz zuvor hatte ich eilig einige frisch angefertigte Fotos meines Vogelzimmers an die Tierheimadresse gemailt, damit man sich dort einen Eindruck davon machen konnte, wohin der kleine Kerl ziehen würde. Das war alles andere als der übliche Weg und es war klar: Das Tierheim-Team war einfach nur froh, dass dieser arme Wellensittichmann nach so langer Zeit endlich ein Zuhause gefunden hatte und war deshalb offen für den unbürokratischen Weg.
Schon bald brachten meine Freunde ihn zu mir und an diesem Tag sah ich dann in den Papieren, dass der Vogel aus jener Beschlagnahmung stammte, die mich im Sommer 2017 so sehr schockiert hatte. Da hatte er dieses unsägliche Martyrium überlebt und war gerettet worden, nur um dann mehr als anderthalb Jahre in einem Tierheimkäfig vergeblich auf eine Vermittlung zu warten! Mir wurde ganz schlecht bei der Vorstellung, welches lang andauernde Unglück ihm widerfahren war. Wobei ich natürlich nicht dem Tierheim die Schuld daran gab. Dort hat man sich gut um ihn gekümmert und die ganze Zeit versucht, ein Zuhause für ihn zu finden. Es liegt vielmehr an den Menschen, die keine „unperfekten“ Tiere aufnehmen möchten, dass er so lange kein Vermittlungsglück hatte. Ich war jedenfalls froh, dass meine Freunde mich angerufen hatten, obwohl sie wussten, dass ich eigentlich gerade keine Vögel aufnehmen wollte. Doch für diesen armen Kerl habe ich gern eine Ausnahme gemacht.
Zur Welt gekommen ist er irgendwann Anfang 2017. Als er bei mir eintraf, erhielt er den Namen Leo – als Kurzform von Leopold, weil er irgendwie königlich wirkte. Er war ein sehr freundlicher, sanftmütiger Vogel und sah mit seinen langen und üppigen Federn sehr flauschig aus. Im Rahmen der Eingangsuntersuchung wurde festgestellt, dass er Träger von Megabakterien war, weshalb ich ihn immer gut im Auge behielt. Wie sich außerdem herausstellte, war Leo in mehrfacher Hinsicht gehandicapt. Nicht nur, dass er nicht fliegen konnte – er litt obendrein unter einer Art Epilepsie und bekam hin und wieder neurologische Anfälle, bei denen er krampfte und zuckte. Das passierte mehrmals pro Monat und wir haben leider nie eine Möglichkeit gefunden, ihn davon zu heilen. Nach ein paar Minuten waren seine Anfälle zum Glück immer vorüber und er erholte sich schnell.
Unter den Weibchen hatte er die Wahl, sie mochten ihn alle. Aber er flirtete lieber hier und da und dort – ein echter Herzensbrecher im Federkleid. Letztlich bandelte er dann aber doch mit Sue an, mit der er bis zu seinem Tode liiert war. Er sang sehr gern mit den Männchen, sein bester Freund war Helios. Das Größte für Leo war es, ausgiebig zu baden. Und er mochte es, am Nachmittag in der Sonne sitzend zu dösen.
Ende November 2021 mauserte er sehr stark und erlitt durch die damit verbundene vorübergehende Schwächung seines Immunsystems einen Megabakteriose-Schub. Leo wurde sehr schwer krank und alle Therapieversuche brachten leider keinen Erfolg. Er verlor innerhalb von zehn Tagen elf Gramm an Gewicht und war letztlich zu schwach, um zu überleben. Auf seinem Wärmekissen sitzend, schlief er sehr viel. Dabei blieb sein Herz letztlich stehen und er ist im Schlaf von uns gegangen. Ich werde diesen zauberhaften sanften Riesen nie vergessen!