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Neil, adoptiert am 4. Juli ’20, † 30. September ’21
Im Jahr 2009 erblickte Neil das Licht der Welt. Anfangs hatte er noch andere Wellensittiche um sich, doch wie sich aus den wenigen Informationen, die mir über ihn vorliegen, entnehmen lässt, kam er dann wohl recht bald zu seinem ersten Halter. Dieser hielt Neil als Einzelvogel, und das ganze neun Jahre lang. Ohne Artgenossen fristete der blaue Wellensittichmann sein Dasein in einem kleinen Käfig, den er nicht verlassen durfte. Tagein, tagaus saß er darin und seine einzige Abwechslung bestand für ihn darin, rauszuschauen, zu schlafen oder sich den Bauch mit Körnchen vollzuschlagen. Das tat er ausgiebig, und vermutlich fraß er vor allem aus Langeweile besonders viel. In Kombination mit dem Bewegungsmangel, der eine Folge des ständigen Gefangenseins war, konnte es nicht anders kommen: Neil wurde extrem dick und es bildete sich ein Lipom an seinem Bauch.
Als eine tierliebe Frau im Jahr 2018 vom tristen Leben des Vogels erfuhr, setzte sie alle Hebel in Bewegung, um ihn aus dieser furchtbar schlechten Haltung herauszuholen. Zum Glück gelang es ihr, und das Männchen zog in ihren Vogelschwarm. Trotz der neun langen Jahre in „Isolationshaft“ war der kleine Kerl umgänglich, doch er konnte mit den anderen vier Vögeln nicht mithalten. Sie flogen umher und waren sehr agil, aber durch sein Übergewicht und den jahrelangen Bewegungsmangel war Neil, der damals noch Willi hieß, sehr ruhig. Eine Untersuchung beim vogelkundigen Tierarzt sollte zudem Aufschluss darüber geben, weshalb er nach seiner Eingewöhnung im neuen Zuhause trotzdem nicht fliegen wollte und jedes Mal wie ein Stein abstürzte, wann immer er es auch nur ansatzweise versuchte.
Seine Flügel waren völlig in Ordnung, hieß es seinerzeit. Dass er trotzdem nicht flog und es auch bis zu seinem Lebensende nicht mehr tat, wird sehr wahrscheinlich an den neun Jahren ohne Freiflug liegen. Sie haben den armen Vogel flugunfähig werden lassen, obwohl er körperlich eigentlich dazu in der Lage hätte sein solle, sich fliegend fortzubewegen. Eventuell lag seine Flugfähigkeit aber auch daran, dass er schlecht atmen konnte. Denn in seinem allerersten Zuhause war er täglich großen Mengen Zigarettenrauch ausgesetzt. Sein Atmungssystem war dadurch schwer in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich leider nie mehr.
In seinem neuen Zuhause wurde der Boden der Voliere dick gepolstert, damit sich der Vogelmann bei seinen Stürzen nicht verletzte. Glücklicherweise ist das auch nie passiert. Abgesehen davon, dass er im neuen Heim viel mehr Platz hatte, um sich zumindest zu Fuß und kletternd zu bewegen, wurde er zudem an gesundes Futter gewöhnt. Seine neue Halterin achtete genau darauf, dass er nicht zu viel Kolbenhirse in sich hinein schlang, und so nahm er nach und nach ab. Das Lipom an seinem Bauch blieb aber trotzdem zumindest teilweise erhalten, so dass Neil dadurch für den Rest seines Lebens eine Beule vorn am Körper hatte.
Mitunter verändern sich verschiedene Dinge im Leben tierlieber Menschen und sie können deshalb ihre Vögel nicht länger selbst halten. So war es auch bei Neils zweiter Halterin, die im Frühsommer 2020 ein neues Zuhause für ihn und seine vier Schwarmgefährten suchte. Weil er mit den anderen Vögeln nicht allzu innig befreundet war und außerdem als einziger ein Handicap hatte, sollte er separat vermittelt werden. Der Halterin war es wichtig, dass er in einem behindertengerechten Umfeld unterkommen sollte und dort Artgenossen um sich haben würde. Sie wandte sich an den Verein Hürdenwellies e. V., der wiederum den Kontakt zu mir herstellte. So kam es, dass Neil am 4. Juli 2020 Mitglied meines Vogelschwarms wurde. Zum Glück musste er dafür nicht weit reisen, weil er zuvor schon im Ruhrgebiet gelebt hatte.
Er war ein sehr ruhiger Geselle, was sicherlich auf sein schon recht hohes Alter zurückzuführen war. Zwar mochte er es, das bunte Treiben um sich herum zu erleben, mischte sie aber nie mitten in den Trubel. Lieber blieb er am Rand und schaute interessiert zu. Wenn die anderen Vögel zu singen anfingen, wurde er dann aber meist doch aktiv und sang mit – am liebsten, während er dabei auf der großen Hängemattenschaukel saß.
Anfangs war es ihm nicht ganz geheuer, wenn der Katharinasittich Miguel dabei neben ihm saß. Nach einer Weile hat Neil jedoch gemerkt, dass er von ihm nichts zu befürchten hatte und geriet nicht einmal mehr aus der Ruhe, wenn Miguel sich beinahe an ihn kuschelte. An diesem Platz genoss Neil das langsame und entspannte Leben unter Artgenossen, die allesamt freundlich zu ihm waren – ebenso wie die Katharinasittiche. Einzig wenn es halbreife Hirse gab, bewegte sich Neil erstaunlich schnell zum Futterplatz.
Menschen gegenüber war er nicht allzu scheu, er kletterte bereitwillig auf die ihm angebotene Hand. Aber er war trotzdem nicht daran interessiert, sich näher mit uns zu beschäftigen. Die anderen Vögel waren ihm eindeutig lieber. Besonders viel Zeit verbrachte er mit seinem flugunfähigen Schwarmgefährten Leo. Bedauerlicherweise erkrankte Neil Ende September 2021 schwer, seine Nieren arbeiteten nicht mehr richtig. Weil es keine Heilungsmöglichkeit gab und es ihm zusehends schlechter ging, wurde er am 30.September 2021 von seinem Leid erlöst. Zwar war er nur etwas mehr als ein Jahr bei mir. Und doch hat er einen festen Platz in meinem Herzen. Ich werde den freundlichen und oft etwas eigenwilligen Vogelmann sehr vermissen.