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Flugunfähigkeit durch Altersschwäche
Text und Bilder von Birds-Online.de (Gaby Schulemann-Maier), Januar 2003
Die meisten in Deutschland gehaltenen Wellensittiche werden im Durchschnitt leider nicht älter als fünf bis acht Jahre. Erreicht ein Sittich ein Alter von zwölf Jahren, so gilt dies schon als große Ausnahme. Ein kleines Wunder ist für mich auch heute noch das Wellensittichmännchen Kiki. Ich übernahm ihn aus zweiter Hand, als er schon sehr alt war. Er lebte Anfang der 2000er-Jahre bei mir und bis zu seinem Tode am 24. Juni 2002 im Alter von über 17 Jahren fühlte er sich in meinem Vogelzimmer immer wohl. Kiki wirkte mit sich und seinem Leben sehr zufrieden.
Seine Flugfähigkeit hat der greise Vogel im Winter 2000 eingebüßt. Zwar war Kiki ein munterer Sittich, aber man merkte ihm das hohe Alter in seinen letzten Lebensjahren durchaus an. Er bewegte sich langsamer als in den Jahren zuvor, schlief häufiger, war während der Mauser geschwächt und er zeigte während seines letzten Lebensjahrs Anzeichen eines altersbedingten Muskelschwundes. Seine Brustmuskulatur hatte sich stark zurückgebildet, weshalb er nicht mehr dazu in der Lage war, sich in die Luft zu erheben – seine Flügel trugen ihn nicht mehr. Er hatte zudem einen unbeweglichen Zeh sowie einen defekten Schnabel, aber all das konnte den rüstigen Vogelmann nicht unterkriegen.
Immer wieder überraschte mich der gefiederte alte Herr mit seiner besonnenen Art. Als er von Tag zu Tag schlechter fliegen konnte, hörte er irgendwann auf, es zu versuchen, nachdem er sich mehrmals bei einer Bruchlandung wehgetan hatte – er hatte also gelernt, dass weitere Flugversuche nicht gut für ihn waren. Andere meiner flugunfähigen Vögel haben sich in dieser Hinsicht weniger klug verhalten und ständig neue Bruchlandungen riskiert. Stattdessen „erzog“ mich Kiki; er lernte es, mir mit Blicken und Gesten (Bewegungen) mitzuteilen, wohin er gern getragen werden wollte: Schaute er wiederholt in eine Richtung und neigte er den Oberkörper dorthin, wusste ich, wohin es gehen sollte. Natürlich erfüllte ich ihm gern seine Wünsche und brachte den zahmen Vogel dorthin, wohin es ihn zog.
Ich setzte Kiki jedoch niemals an Stellen, die höher als 30 cm über dem Boden gelegen waren, da er unkontrolliert stürzte und hart aufschlug, wenn er von einem der anderen Vögel von seinem Platz gestoßen wurde. Zwar kam das nicht oft vor, aber mir war es lieber, besonders vorsichtig zu sein, damit der Vogelsenior nicht unnötig in Gefahr geraten würde.
Meist saß Kiki auf einem Kletterbaum, der für alle flugunfähigen Vögel erreichbar war und auf dem Fußboden meines Vogelzimmers stand. Kiki teilte sich seinen Lieblingsplatz gern mit den anderen flugunfähigen Sittichen aus meinem Vogelschwarm. Oft kamen die anderen, nicht behinderten Artgenossen ihre Freunde auf dem niedrigen Kletterbaum oder auf dem Käfig, der auf dem Fußboden stand, besuchen. Vor allem in der Mittagszeit konnte ich meine Vögel häufig dabei beobachten, wie sie dicht beieinander allesamt eine Siesta auf dem niedrigen Kletterbaum hielten – auch die Flugfähigen.
Dies widersprach der gängigen Ansicht, dass sich Wellensittiche nie freiwillig über einen längeren Zeitraum in Bodennähe aufhalten. Für wild lebende Wellensittiche mag das zutreffen, aber meine an die sichere Umgebung gewöhnten Vögel, empfanden es meiner Erfahrung nach nicht als unangenehm, sich in Bodennähe aufzuhalten, solange sie dabei von Artgenossen umgeben waren. Und gerade weil der Schwarm die flugunfähigen Vögel wie Kiki dabei umgab, war es für alle Tiere angenehm, schloss ich aus meinen Beobachtungen. Denn während Kiki und seine Freunde gemeinsam dort saßen, wirkten sie immer völlig entspannt.
Einige Wochen vor seinem Tod wurde Kiki zusehends schwächer. Er konnte sich auf Sitzstangen nicht mehr gut halten, das aufrechte Stehen war ihm zu anstrengend geworden. Schmerzen schien er nicht zu haben, doch seine Muskelkraft schwand mehr und mehr. Bei älteren Menschen ist dies ebenfalls häufig zu beobachten. Um Kiki das Leben zu erleichtern, montierte ich Sitzbrettchen in seinem Käfig, in dem er die Nacht verbrachte. Er nahm die Schlafstellen, auf denen er bäuchlings liegen konnte, sofort an. Wer einem Vogel hält, der nur noch liegend schläft, sollte täglich die Haut am Bauch kontrollieren, denn es könnten sich Liegegeschwüre bilden. Zudem ist zu überprüfen, ob das Liegen auf Arthrose in den Beingelenken zurückzuführen ist. Sollte dies der Fall sein – bei Kiki war es zum Glück nicht so –, ist es ratsam, einen vogelkundigen Tierarzt aufzusuchen und das weitere Vorgehen mit ihm zu besprechen. Gefiederte Arthrose-Patienten brauchen wegen der Schmerzen meist Medikamente.
Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags