Flugunfähigkeit durch Federlosigkeit (Befiederungsstörungen)

Aufgrund eines schweren Gefiederdefekts war dieser Wellensittich flugunfähig.
Aufgrund eines schweren Gefiederdefekts war dieser Wellensittich flugunfähig.

Unterschiedliche Ursachen können zu einem mehr oder minder starken, dauerhaften Federverlust führen. Damit einher geht oft eine Einschränkung der Flugfähigkeit. In besonders schweren Fällen können die betroffenen Vögel sogar vollständig flugunfähig werden. Sie sind dadurch der für Vögel typischen Fortbewegungsmethode beraubt und stellen besondere Ansprüche an die Haltung. Denn ihre Unterbringung muss dem erhöhten Sturzrisiko angepasst werden. In diesem Kapitel erfahren Sie mehr über dieses komplexe Thema, seine möglichen Ursachen und was Sie beim Unterbringen betroffener Vögel beachten sollten.

Ursachen für Gefiederdefekte

Einerseits können Krankheiten eine solche Gefiederstörung hervorrufen, auf der anderen Seite stecken mitunter psychische Probleme und eine daraus resultierende Selbstverstümmelung in Form von Federrupfen dahinter, dass Vögel ein defektes Federkleid haben. Die Ursache für den Gefiederverlust entscheidet darüber, ob ein davon betroffenes Tier Kontakt zu gesunden Artgenossen haben darf oder nicht, wie Sie auch den Ausführungen in den folgenden Absätzen und den darin genannten weiteren Kapiteln dieses Internetauftritts entnehmen können.

Viruserkrankungen (Französische Mauser und PBFD)

Ein Wellensittich mit Französischer Mauser, dem alle Schwung- und Schwanzfedern fehlen.
Ein Wellensittich mit Französischer Mauser, dem alle Schwung- und Schwanzfedern fehlen.

Eine der Hauptursachen für die Flugunfähigkeit von Vögeln aufgrund von Federverlust ist zum Beispiel bei Wellensittichen die Französische Mauser. Dieser Virusinfektion wird durch Polyomaviren hervorgerufen und ist ansteckend. Häufig erfolgt die Ansteckung bereits im Nest, wenn infizierte Altvögel Nachwuchs haben. Charakteristisch für diese Erkrankung ist, dass man den Jungvögeln zunächst nicht ansieht, dass sie betroffen sind. Nach dem Verlassen des Nestes fallen ihnen im Alter einiger Wochen oder Monate im Zuge der Jugendmauser ihre Federn aus und wachsen nicht oder nur teilweise nach. Sehr häufig fehlt daraufhin das Großgefieder, also die Schwungfedern an den Flügeln sowie die Schwanzfedern. Ohne ihre Schwungfedern können Vögel nicht fliegen, weshalb die Französische Mauser in den meisten Fällen gravierende Einschränkungen der Flugfähigkeit nach sich zieht. Mehr Informationen über diese Viruserkrankung finden Sie im Kapitel über die Französische Mauser.

Das Federkleid dieses an PBFD erkrankten Wellensittichs sieht zerzaust und lückenhaft aus.
Das Federkleid dieses an PBFD erkrankten Wellensittichs sieht zerzaust und lückenhaft aus.

Ebenfalls vergleichsweise häufig tritt eine durch Circoviren verursachte Krankheit namens PBFD bei Wellensittichen und anderen Heimvögeln auf. Sie ist hochgradig ansteckend, nicht behandelbar und tötet sehr viele betroffene Vögel vergleichsweise schnell. Letzteres gilt vor allem dann, wenn sich Jungtiere im Nest bei ihren Eltern anstecken; meist sterben sie dann innerhalb weniger Tage oder Wochen. Zwischen dem Ausbruch der Krankheit und dem Tod können jedoch in manchen Fällen auch viele Jahre liegen. Dies ist oft dann der Fall, wenn sich ein Altvogel ansteckt und neu erkrankt. Mit Circoviren infizierte Vögel verlieren mehr oder minder rasch nahezu ihr gesamtes Körper- sowie Großgefieder und werden dadurch flugunfähig. Zwar trat PBFD noch vor nicht allzu langer Zeit seltener als die Französische Mauser in Erscheinung. Aber insgesamt betrachtet, ist die Krankheit bedauerlicherweise auf dem Vormarsch, was stetig steigende Meldungen neuer Fälle belegen. Im Kapitel über PBFD erfahren Sie mehr darüber, was im Fall einer solchen Erkrankung zu beachten ist.

Achtung
Sowohl die Französische Mauser als auch PBFD können nicht durch „Hingucken“ diagnostiziert werden. Es sollte ein fachkundiger Tierarzt zurate gezogen werden, der eine Laboruntersuchung (Bluttest oder Untersuchung einer frisch ausgezupften Feder) veranlassen kann.

Federrupfen

Federrupfen betrifft meist nur das Kleingefieder und die Vögel sind flugfähig.
Federrupfen betrifft meist nur das Kleingefieder und die Vögel sind flugfähig.

Zu den in ihrer Flugfähigkeit eingeschränkten Vögeln zählen mitunter auch sogenannte Federrupfer, also Tiere, die sich meist infolge einer psychischen Störung selbst die Federn ausreißen. Allerdings rupfen sich solche Tiere meist vor allem das aus kleinen Federn bestehende Körpergefieder aus. Dann fallen die Federn an Bauch, Brust und mitunter sogar am Rücken der selbstzerstörerischen Angewohnheit der Vögel zum Opfer. Weil nur in sehr seltenen Fällen die Schwungfedern (große Federn an den Flügeln) vom Federrupfen betroffen sind, können die meisten Federrupfer ohne Einschränkungen fliegen. Gleichwohl gibt es trotzdem mitunter Vögel, die ihre Schwungfedern ausreißen oder so stark zerbeißen, dass sie zum Fliegen nicht mehr geeignet sind. Das Ausreißen der großen Federn an den Flügeln (Schwungfedern) geht in aller Regel mit erheblichen Blutungen und Schmerzen einher. Aufgrund dieser Tatsache werden die Schwungfedern deshalb meist nur abgebissen und nicht ausgerissen, weil die Vögel Schmerzen und Blutungen vermeiden wollen.

Achtung
Es wurde lange Zeit angenommen, das Federrupfen sei grundsätzlich auf psychische Ursachen zurückzuführen. Dem ist jedoch gemäß neuerer Erkenntnisse nicht zwingend so. Sehr häufig stecken organische Erkrankungen oder Hautausschläge dahinter. Ein Vogel, der sich selbst Federn ausreißt, sollte deshalb grundsätzlich von einem erfahrenen Vogel-Tierarzt untersucht werden.

Nährstoffmangel

Weil dieser junge Wellensittich während der Wachstumsphase zu wenige Nährstoffe erhalten hat, leidet das Tier an einer Gefiederstörung.
Weil dieser junge Wellensittich während der Wachstumsphase zu wenige Nährstoffe erhalten hat, leidet das Tier an einer Gefiederstörung.

Durch massiven Nährstoffmangel während der Wachstumsphase kann es geschehen, dass Jungvögel kein intaktes Gefieder bilden oder dass die Federn zu weich beziehungsweise brüchig sind. Hiervon betroffene Vögel können dann meist nicht fliegen.

Das Tragische ist, dass sich dies in vielen Fällen zeitlebens nicht mehr ändern lässt: Wenn in der Phase des Lebens, in der die Vögel das Fliegen normalerweise erlernen, das Gefieder zu schwer geschädigt ist, können die Tiere nicht üben. Sie bleiben beim Gehen und Klettern, und oft fliegen sie dann auch später im Leben nicht, selbst wenn dann längst intakte Federn nachgewachsen sind, weil sich die Nahrungssituation verbessert hat.

Anforderungen an die Unterbringung und Haltung

Vögel mit stark lückenhaftem Gefieder neigen oft dazu, bei niedrigen Temperaturen rasch zu frieren.
Vögel mit stark lückenhaftem Gefieder neigen oft dazu, bei niedrigen Temperaturen rasch zu frieren.

Flugunfähige, überwiegend nackte Vögel können sehr empfindlich auf große Temperaturschwankungen und Kälte reagieren. Dies ist zu berücksichtigen, wenn sie im Freien in einer Gartenvoliere gehalten werden. Fehlen große Teile des Körpergefieders, können die Vögel ihre Körpertemperatur nicht optimal regulieren. Hierdurch kann es geschehen, dass sie bei Temperaturen frieren, die ihren voll befiederten Artgenossen nichts ausmachen. Vögel mit kahlen Stellen am Körper können durch eine Unterkühlung ihr Immunsystem überlasten, wodurch ihre Infektanfälligkeit steigt. Das heißt, sie haben ein erhöhtes Risiko für Erkältungskrankheiten und andere Infektionskrankheiten.

Unbefiederte, flugunfähige Vögel sollte man außerdem nicht in hohen (Zimmer-)Volieren halten, sofern der Boden nicht gepolstert ist. Die Gefahr ist groß, dass die Vögel nach oben zu ihren Artgenossen klettern und dann aufgrund einer irgendwie gearteten Ursache – sei es, weil sie gerempelt werden oder sei es, weil sie abrutschen – abstürzen. Meist fallen flugunfähige Vögel senkrecht nach unten und sie können den Sturz nicht durch das Ausbreiten ihrer Flügel bremsen. Sie schlagen deshalb hart auf dem Boden auf. Ein solcher Aufprall kann zu inneren Verletzungen und Knochenbrüchen führen. Bei nackten Vögeln kommt hinzu, dass sie sich schwere Verletzungen der Haut zuziehen können, da ihnen eine schützende Federschicht fehlt.

Gesunde und gehandicapte Vögel, darunter einige flugunfähige Tiere, auf dem gemeinsamen Kletterbaum.
Gesunde und gehandicapte Vögel, darunter einige flugunfähige Tiere, auf dem gemeinsamen Kletterbaum.

Die ideale Unterbringung für einen solchen Pflegling ist ein breiter, nicht zu hoher Käfig. Der Boden muss ausreichend gepolstert werden, damit sich das Tier bei einem Sturz nicht verletzen kann. Wie man einen Käfig auspolstert, können Sie im Beitrag über Bodenpolsterung nachlesen. Gewährt man den Tieren Zeit außerhalb des Käfigs, sollte man darauf achten, auch jene Stellen im „Freiflugzimmer“ gut zu polstern, die sich unter den Klettermöglichkeiten befinden. Hierfür eignen sich beispielsweise Sprungtücher. Kletterbäume und Co. sollten freilich ebenfalls nicht zu hoch sein, also bei einem flugunfähigen kleinen Vogel mit der Größe eines Wellensittichs maximal 30 Zentimeter. Bewährt haben sich hier auf den Boden gelegte, stabile und verzweigte Äste. Darauf können auch flugunfähige Vögel meist gut klettern, ohne einer allzu großen Verletzungsgefahr ausgesetzt zu sein, falls sie doch einmal abstürzen.

Wie alle anderen Vögel auch, sollten flugunfähige Tiere nicht allein gehalten werden.
Wie alle anderen Vögel auch, sollten flugunfähige Tiere nicht allein gehalten werden.

Manche Halter sind in Sorge, dass ein infolge eines Gefiederdefekts flugunfähiger Vogel von Artgenossen möglicherweise gerempelt und von der Stange gestoßen werden könnte. Um das Tier davor zu schützen, wird dann in Erwägung gezogen, es lieber einzeln zu halten. Das ist aber der falsche Weg, denn auch unbefiederte, flugunfähige Vögel brauchen arteigene Gesellschaft! Sofern keine ansteckende Krankheit oder aggressives Verhalten gegen Artgenossen (Mobbing) vorliegt, sollte ein eventuell ebenfalls gehandicapter gefiederter Freund in den behindertengerecht ausgestatteten Käfig gesetzt werden. Leidet der gehandicapte Vogel an der Französischen Mauser oder an PBFD, besteht die Möglichkeit, einen ebenfalls daran erkrankten Partnervogel für das erkrankte Tier zu suchen.

Lesetipp
Erfahrungsbericht Flugunfähigkeit durch Französische Mauser

Erfahrungsbericht Flugunfähigkeit durch Französische Mauser

Erfahrungsbericht über einen durch die Französische Mauser flugunfähigen Welli
Buchtipp
Cover des Buches 'Vogelhaltung mit Handicap'Weil mir, der Betreiberin von Birds-online.de, gehandicapte Vögel so sehr am Herzen liegen, habe ich gemeinsam mit der erfahrenen Vogelhalterin Sigrid März ein Buch geschrieben. Darin werden die häufigsten Handicaps vorgestellt, Herausforderungen im Alltag beschrieben und natürlich Lösungen aufgezeigt. Von Amputationen über Blindheit bis hin zu altersbedingten Einschränkungen wie Arthrose reicht die Themenpalette. Ergänzend gibt es ein paar Einrichtungstipps, um gehandicapten Vögeln ein angenehmes und sicheres Umfeld bieten zu können. Wir haben den Inhalt bewusst so gestaltet, dass er sich nicht nur um kleine Sittiche dreht. Kanarienvögel, Täubchen und größere Vogelarten wie Graupapageien und Co. wurden von uns gleichermaßen mit einbezogen.

Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags