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Pitu, gefunden am 15. Juli ’10, † 24. Juni ’19
„Komm mal schnell, da sitzt ein Wellensittich-ähnlicher Vogel draußen vor der Tür.“ – Diese Worte meines damaligen Chefs haben mich am 15. Juli 2010 aufgeschreckt und blitzschnell aus meinem Büro rennen lassen. Und richtig: Draußen vor den Garagen hat tatsächlich ein Vogel gesessen, der aus der Ferne an einen Wellensittich erinnert, zumindest ein ganz kleines bisschen und mit viel Fantasie … Als ich mich dem Kerlchen genähert habe, ist mir der Irrtum jedoch sofort aufgefallen: Da hat ein kleines, verängstigtes und ziemlich erschöpftes und durchnässtes Ziertäubchen auf dem Boden gesessen und ich habe gleich eine Verletzung an der Nase gesehen. Kurz zuvor war ein heftiges Sommergewitter niedergegangen. Vom Regen ganz nass geworden und den recht kräftigen Windböen vor sich her getrieben, scheint der Vogel gegen ein Hindernis geprallt zu sein. Bei solchen Zusammenstößen ziehen sich Vögel oftmals Platzwunden zu, wie ich sie bei dem Diamanttäubchen sah. Zum Glück war nicht noch mehr passiert …
Mir war bewusst, dass das Fliegen mit derart nassen Federn vermutlich nicht leicht sein würde. Trotzdem hatte ich die Befürchtung, dass das Täubchen entwischen könnte, wenn ich das Einfangen falsch anstellen würde. Um ein Davonfliegen zu vermeiden, jagte ich den Vogel deshalb erst einmal in das nahe gelegene Efeudickicht, das an einer Hauswand wucherte. Das Täubchen dort herauszugreifen, war dann sehr leicht und für den Vogel mit vergleichsweise wenig Stress verbunden. So gelang es mir, das Täubchen innerhalb weniger Sekunden festzusetzen. Den Rest meines Arbeitstages hat der Vogel in einem Pappkarton mit Luftlöchern in meinem Büro verbringen müssen. Selbstverständlich gab es darin Wasser und ein wenig Kolbenhirse. Die hatte ich in der Mittagspause schnell im nahe gelegenen Supermarkt besorgen können. Am Abend ist das Vögelchen dann bei mir zu Hause in einen geräumigen und komfortablen Quarantänekäfig eingezogen, nachdem ich die Verletzung an der Nase desinfiziert und mit pflegender Salbe versorgt hatte. Fürs Erste schien es ihm gut zu gehen und ich wurde bald aus neugierigen und nicht mehr verängstigten Knopfaugen angeschaut.
Fundvögel sollte man melden, denn meist werden sie von irgendwem vermisst. Deshalb habe ich sämtliche Tierheime im Umkreis von Düsseldorf, wo ich seinerzeit wohnte, über den Fund informiert. Aber nach zwei Wochen hatte sich noch immer niemand gemeldet. Offenbar hat der frühere Besitzer entweder nicht nach dem Täubchen gesucht oder es ist demjenigen zu Ferienbeginn gelegen gekommen, dass sein Tier „entwischt“ ist – eventuell ja sogar mit gewisser „Unterstützung“ … Das ist letztlich jedoch egal gewesen, denn auch Monate danach tat sich nichts und nach dem Ablauf der gesetzlichen Frist von sechs Monaten ist das Täubchen letztlich in meinen Besitz übergegangen. Zu jenem Zeitpunkt wäre es mir schwergefallen, den Vogel wieder herzugeben – zu sehr hatte ich ihn ins Herz geschlossen.
Bereits rund zwei Wochen nach dem Finden des Diamanttäubchens habe ich dem hübschen Vogel einen Namen gegeben: Pitu. Und selbstverständlich ist der kleine Täuber tierärztlich durchgecheckt worden. Abgesehen von seiner Wunde an der Nase war er aber zum Glück kerngesund. Nachdem das feststand, musste er nicht mehr in Quarantäne bleiben und ich entschied, dass er ins Vogelzimmer einziehen durfte. Dort war er zwar anfangs das einzige Diamanttäubchen, doch die Wellensittiche und Katharinasittiche ließen bei ihm zumindest keine allzu große Langeweile aufkommen.
Unter den Krummschnäbeln sollte Pitu aber natürlich auf keinen Fall allein bleiben. Schon im August 2010 habe ich die Suche nach einem Weibchen aufgenommen – kein leichtes Unterfangen, wie sich bald herausstellen sollte. Mein Wunsch war es, einen Vogel aus dem Tierschutz aufzunehmen. Aber es war nirgendwo in der Nähe in einem Tierheim oder einer ähnlichen Einrichtung ein Diamanttaubenweibchen abzugeben, auch nicht in bis zu 100 km Entfernung. Also musste ich doch nach einem Vogel von einem Züchter suchen. Das gestaltete sich ebenfalls als ein wenig kompliziert, weil es nicht allzu viele Diamanttaubenzüchter gibt.
Im Oktober 2010 war es dann aber zum Glück endlich doch so weit: Der Nachbar der Eltern einer lieben Freundin hatte ein junges Weibchen aus eigener Zucht abzugeben. Über jene Freundin habe ich davon erfahren und sie hat gemeinsam mit ihrem Mann den Vogel vom Niederrhein zu mir nach Düsseldorf gebracht, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Nach einer gründlichen Untersuchung durch einen vogelkundigen Tierarzt und nach einiger Zeit in Quarantäne durfte die hübsche Pari endlich ins Vogelzimmer einziehen. Von Anfang an suchte Pitu ihre Nähe, ich hatte also offenbar seinen Geschmack in Sachen Frauen getroffen.
Als sie wenige Wochen nach ihrem Einzug die Geschlechtsreife erlangte, gab es für ihn kein Halten mehr: Sofort begann er damit, der anmutigen jungen Taubendame mit großen Gesten den Hof zu machen. Mit seinem perfekt vorgetragenen Balzverhalten eroberte er ihr Herz im Sturm und die beiden Täubchen wurden ein Paar. Sie wichen einander nicht von der Seite und gerieten einige Zeit später in Brutstimmung. Anfang 2012 brüteten sie gemeinsam und eines der beiden Eier war befruchtet. Ihre Tochter Pema wuchs dank ihrer fürsorglichen Pflege zu einem zauberhaften, gesunden Täubchen heran.
Einige Monate lang lebten sie im Familienverband zusammen, allerdings nicht nur zu dritt, sondern in Gesellschaft eines weiteren Weibchens namens Padme. Pitu war das einzige Männchen und genoss es sichtlich, der „Hahn im Korb“ zu sein. Seiner Gefährtin Pari war er dabei aber besonders eng verbunden. Umso schlimmer traf es ihn, als sie im November 2012 viel zu früh aus dem Leben schied. Auch Padme war inzwischen gestorben, so blieben nur noch Pitu und seine Tochter Pema übrig. Glücklicherweise führten sie eine innige Beziehung, die jahrelang sehr harmonisch verlief. Das ist nicht verwunderlich, denn Pitu war ein freundlicher Vogel, ganz charmant und sogar Menschen gegenüber ein wenig zutraulich. Er kam bereitwillig auf die meine Hand, was für Diamanttäubchen eher ungewöhnlich ist. In Sachen Ernährung war er ebenfalls völlig unkompliziert.
Besonders gern legte er sich in die Sonne, wenn die Strahlen durch das Fenster des Vogelzimmers fielen. Ganz nach Art der in Australien heimischen Diamanttäubchen, ruhte er dann auf dem Bauch liegend mit seitlich abgespreizten Flügeln und geschlossenen Augen. Man konnte ihm förmlich ansehen, wie sehr er diese Sonnenbäder genoss. Außerdem wusste er regelmäßige Sandbäder in einem großen Teller mit Sand zu schätzen. Oft trug er seinen leicht melancholisch klingenden Gesang vor, den ich immer sehr beruhigend fand.
Wie alt Pitu war, als ich ihn gefunden habe, weiß ich nicht. Ein Jungvogel war er aber ganz sicher nicht mehr. Mit der Zeit merkte man ihm an, dass er zusehends gebrechlicher wurde. Im Frühling 2019 war er infolge seines wohl schon recht hohen Alters flugunfähig geworden. Weil mein Vogelzimmer behindertengerecht eingerichtet ist, konnte er dank der Kletterrampen seine Lieblingsplätze aber nach wie vor gut erreichen. Ich plante zu jener Zeit bereits einen Umzug und wollte das neue Vogelzimmer für ihn noch mehr optimieren.
Leider hat er aber nicht mehr lange genug gelebt, um dort einziehen zu können. Am 24. Juni 2019 und somit wenige Tage vor dem Umzugstermin starb er an Altersschwäche. Er ist ganz friedlich vor dem Futternapf eingedöst und nicht mehr aufgewacht. In meinem Herzen wird er für immer einen Platz haben – vor allem deshalb, weil ich durch ihn erfahren habe, wie wundervoll Diamanttäubchen sind. Dass ihn sein einstiger Besitzer nicht gesucht hat, habe ich ehrlich gesagt nie verstanden.
Linktipp
Bei Youtube habe ich ein Video hochgeladen, das Pitu bei der Balz zeigt: bitte hier klicken.