Ravi, adoptiert am 6. Januar ’09, † 25. Juni ’14

Ravi im Porträt.
Ravi im Porträt.

Anfang Dezember 2008 ging eine Geschichte durch die deutschen Medien, die nicht nur Tierschützer schockierte: In Berlin hält ein Mann in seiner rund 60 Quadratmeter großen Wohnung circa 500 Wellensittiche, hieß es in den ersten Berichten. Videos, die das Chaos zeigten, waren unter anderem bei RTL zu sehen. Damals ahnte allerdings noch niemand, wie groß das Ausmaß der Sammelleidenschaft des Mannes tatsächlich war. Doch schon als ich diese ersten Berichte im Internet gelesen und die dazugehörigen Videos betrachtet hatte, war mir klar, dass sich unter den Vögeln sehr wahrscheinlich etliche gehandicapte Tiere befinden würden. Deshalb sagte ich dem damals noch existierenden Verein der Wellensittich-Freunde Deutschland e. V. (VWFD), der sich bei den entsprechenden Stellen in der Hauptstadt gleich als Helfer bei der Rettungs- und Vermittlungsaktion angeboten hatte, ich würde zwei Vögel mit Behinderung aufnehmen können.

Ravi hatte infolge einer schweren Erkrankung nur noch ein Auge.
Ravi hatte infolge einer schweren Erkrankung nur noch ein Auge.

Neben dem Berliner Veterinäramt waren somit bald auch Tierschützer unter anderem aus den Reihen des VWFD involviert, um die Vögel aus der Wohnung des Tiersammlers zu holen. Die Vögel wurden schon einige Tage nach dem Bekanntwerden des Falls von dort abtransportiert. In unzähligen Käfigen kamen die geretteten Sittiche zunächst zum überwiegenden Teil im Berliner Tierheim unter. Bei der Fangaktion stellte sich allerdings heraus, dass es sich keineswegs „nur“ um 500 Tiere gehandelt hatte. Der Mann hatte mit etwas mehr als 1.700 Wellensittichen und Nymphensittichen zusammengelebt, wobei letztere nur in kleiner Zahl unter den Tieren waren (siehe Video auf Spiegel.de).

Kolbenhirse war Ravis unbestreitbares Lieblingsfutter.
Kolbenhirse war Ravis unbestreitbares Lieblingsfutter.

Es verhielt sich so, wie ich es vermutet hatte: Einige Wellensittiche waren schwer gehandicapt oder gar verletzt. Deshalb gelangten sie in Berlin sofort in die Obhut einer freiwilligen Helferin, die seit vielen Jahren Erfahrung in der Pflege heikler gefiederter Patienten hatte. Diese Pflegerin ist mir seit einiger Zeit durch meine Aktivitäten in der Wildvogelhilfe bekannt, die Welt der Vogelpäppler ist eben doch recht überschaubar. Über den VWFD erfuhr ich, dass diese Vogelpflegerin die schlimmen Fälle in ihrer Obhut hatte und ich nahm sofort Kontakt zu ihr auf, um mehr über „meine“ beiden Vögel herauszufinden. Sie erzählte mir von den beiden mir zugeteilten Weibchen Aditi und Chandra und ich fieberte mit, während sie die Tiere gegen Trichomonaden behandelte und generell medizinisch versorgte. Doch die Dinge kamen anders, das Schicksal nahm eine eigenwillige Wendung, was meine Adoptionspläne anbelangte.

Ravi am Nachmittag kurz vor dem Einschlafen.
Ravi am Nachmittag kurz vor dem Einschlafen.

Anfang Januar informierte mich meine Bekannte darüber, dass sich das Weibchen Aditi in ein ebenfalls schwer gehandicaptes Männchen verliebt hatte. Der arme Kerl habe eine Wucherung am Auge, höchstwahrscheinlich sei es einen Tumor. Die behandelnde Tierärztin habe ihm noch ein bis zwei Monate gegeben, länger würde er voraussichtlich nicht mehr leben, eher kürzer, hieß es. Der Gedanke, ihn in seinen letzten Lebenswochen von seiner Gefährtin zu trennen, zerriss mir das Herz. Also sagte ich zu, auch dieses Männchen aufzunehmen, obwohl ich eigentlich nur zwei Wellensittiche hatte adoptieren wollen. Es würde ja nur für eine Weile sein und so hätte der arme Kerl einen Platz, wo er die letzten Wochen seines Lebens in Ruhe und in Gesellschaft seiner Partnerin verbringen können würde, dachte ich damals.

Am 6. Januar 2009 war es endlich so weit und meine Vögel wurden für die Vermittlung freigegeben. Meine drei Sittiche wurden von einem tierlieben Herrn mitgenommen, der per Mitfahrzentrale gefunden worden war. Das letzte Stück der Strecke absolvierten die Vögel im Auto des VWFD-Mitglieds Nicole. Sie war es, die die gefiederte Fracht an jenem bitterkalten Dienstagabend zu mir brachte, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei ihr bedanken möchte.

So groß war Ravis Zyste am Abend seiner Ankunft bei mir.
So groß war Ravis Zyste am Abend seiner Ankunft bei mir.

Bis zu jenem Abend hatte ich von meinen drei Vögeln nur das Männchen Ravi auf einem Foto gesehen, und die ersten Bilder waren schlimm anzusehen gewesen. Entsprechend aufgeregt war ich, als ich gemeinsam mit Nicole die dicke wärmende Decke entfernte, die den Transportkäfig umgab. Endlich waren die drei Neuzugänge in ihrem neuen Zuhause angekommen und es ging ihnen gut, sie hatten die lange Fahrt bestens überstanden. Doch mein Entsetzen darüber, wie schwer der arme Ravi durch die noch weiter gewachsene Wucherung in seinem Gesicht inzwischen gezeichnet war, war groß. Wie ein Tumor schien mir dieses Gebilde allerdings nicht auszusehen, vielmehr tippte ich auf eine Zyste. Doch was es auch war, es nahm große Teile der linken Gesichtshälfte ein, das Auge schien blind zu sein.

So sah Ravi knapp zwei Wochen nach der Operation aus, bei der seine Zyste und sein linkes Auge entfernt worden sind.
So sah Ravi knapp zwei Wochen nach der Operation aus, bei der seine Zyste und sein linkes Auge entfernt worden sind.

Am nächsten Abend war ich kaum von der Arbeit zurück, da packte ich Ravi auch schon ein und brachte ihn zur Tierklinik in meinem damaligen Wohnort, um ihn von meinem Vogel-Tierarzt untersuchen zu lassen. Er diagnostizierte eine Zyste und erklärte mir, dass das Punktieren und Absaugen der in ihr enthaltenen Flüssigkeit höchstwahrscheinlich nicht viel bringen würde. Die Zyste würde sich vermutlich rasch wieder mit Flüssigkeit füllen. Ravi alle paar Tage wieder und wieder den Strapazen der Punktierung auszusetzen, würde nicht viel bringen. Deshalb schlug er vor, die Zyste operativ zu entfernen. Er warnte mich allerdings gleich vor, dass vielleicht das Auge nicht gerettet werden könne. Trotzdem stimmte ich zu, denn so konnte Ravi kein schönes Leben führen und die Zyste verursachte allein durch ihre immense Größe vermutlich ständig starke Schmerzen. Am darauffolgenden Morgen wurde er operiert, das Auge konnte bedauerlicherweise tatsächlich nicht erhalten werden. Wider Erwarten verlief der komplizierte Eingriff jedoch ansonsten reibungsfrei und bereits wenige Minuten nach Abschluss der Operation wachte Ravi aus der Narkose auf. Abends holte ich meinen nun einäugigen, zum Glück recht vitalen Patienten aus der Klinik ab. Es dauerte nicht lang, bis er sich von dem schweren Eingriff erholt hatte. Er war wie ausgewechselt, schien keine Schmerzen mehr zu haben und die anfängliche pessimistische Einschätzung, er hätte allenfalls noch ein paar Wochen zu leben, war hinfällig geworden.

Nachdem alles verheilt war, lagen Ravis Federn über der Stelle, an der sich einst sein linkes Auge befunden hat.
Nachdem alles verheilt war, lagen Ravis Federn über der Stelle, an der sich einst sein linkes Auge befunden hat.

Relativ bald war die große Wunde verheilt und Ravi hat sich in einen sehr agilen Vogel verwandelt. Er gehörte nach seiner Genesung zu den besonders laut und ausdauernd singenden Schwarmmitgliedern und flog akrobatische Manöver, obwohl er einseitig blind war. Dieses Handicap meisterte er mit Bravour und er ließ sich auch von anderen Vögeln nicht einschüchtern, wenn sie mal ein wenig schlecht gelaunt waren und sich zanken wollten. Das Federkleid war auf der linken Seite seines Kopfes so gewachsen, dass das Fehlen des Auges aus manchen Perspektiven kaum zu sehen war. Ich bin sehr froh, dass ich den Eingriff durchführen lassen habe, obwohl die Chancen am Anfang nicht besonders gut für den tapferen Ravi standen. Ihm ist durch meinen Tierarzt Dr. Jens Straub, dem ich ganz herzlich danken möchte, ein neues Leben geschenkt worden. Hier ist Ravis Geschichte in voller Länge als Erlebnisbericht nachzulesen.

Mit Aditi, seiner alten Gefährtin aus Berlin, verband ihn in meinem Vogelzimmer eine lockere Freundschaft, aber ein echtes Paar sind die beiden Vögel nach ihrer Ankunft nicht mehr gewesen. Angesichts der Tatsache, dass sie in der Berliner Pflegestelle noch so innig miteinander geschmust hatten, hatte ich überhaupt erst zugestimmt, Ravi auch aufzunehmen. Somit hatte er es dieser Liebelei zu verdanken, dass er in meine Obhut gelangt ist. Wer weiß, was sonst aus ihm geworden wäre – hatte ihm die Tierärztin in Berlin doch keine Überlebenschanchen mehr eingeräumt …

Ab dem Frühling 2009 gab es fast 1,5 Jahre lang eine neue gefiederte Frau in Ravis Leben: die olivgrün gefärbte Milla. Durch seine Zuneigung ist das traumatisierte Vogelweibchen aufgeblüht und es ist wohl Ravis Aufmerksamkeit zu verdanken, dass Milla sehr viel selbstbewusster geworden ist. Leider starb sie im Oktober 2010. Ravi war offenbar noch nie ein „Kostverächter“. Schon als er Milla zur Frau hatte, flirtete er öfter mal fremd, wenn sie gerade nicht hinschaute. Und so kam es, wie es kommen musste. Relativ schnell fand er nach Millas Tod eine neue Partnerin: seine Berliner Schwarmkollegin Chandra. Mit ihr führte er bis zu deren Tod Anfang 2014 eine turbulente Beziehung.

Milla und ihr Gefährte Ravi.
Milla und ihr Gefährte Ravi.
Chandra und Ravi (rechts) waren ein Paar.
Chandra und Ravi (rechts) waren ein Paar.
Ravi einige Monate vor seinem Tod - er war in die Jahre gekommen und von der Mauser gezeichnet.
Ravi einige Monate vor seinem Tod – er war in die Jahre gekommen und von der Mauser gezeichnet.

Danach verpaarte er sich nicht neu und man sah ihm an, dass das Altern seinen Tribut forderte. Er wurde zusehends ruhiger und wirkte bald regelrecht gebrechlich. Im Frühling 2014 erkrankte Ravi an einer Lungenentzündung, die zwar antibiotisch behandelt wurde, von der er sich aber nicht mehr richtig erholten sollte. Am Morgen des 25. Juni 2014 starb Ravi in meinen Händen liegend. Ich vermisse meinen gefiederten Freund sehr, weil er ein wirklich wunderbarer Vogel war – immer sanftmütig und freundlich und ungemein liebenswert. Er wäre nie zu mir gelangt, hätte damals die Berliner Tierärztin mit ihrer Prognose für seine restliche Lebensdauer nicht völlig daneben gelegen und hätte er sich in der Pflegestelle nicht vorübergehend mit Aditi zusammengetan. Man könnte fast meinen, eine höhere Macht hätte ihre Finger im Spiel gehabt, um ihn zu mir zu führen …

Ravis Farbschlag nennt sich Normal in hellblau. Andere Farbschlagseinflüsse waren bei ihm nicht zu festzustellen.

Bedeutung des Namens

Eine seit Langem von mir gepflegte Tradition ist es, meinen Vögeln astronomische Namen zu geben, sie also nach Sternen, Planeten oder Monden zu benennen. Weil mir die astronomischen Namen, die meist auf mythologische Gestalten aus dem westlichen Kulturkreis zurückgehen, langsam knapp wurden – zu viele Vögel habe ich bereites benannt -, habe ich letztlich die indische Mythologie als ergiebige Quelle für Vogelnamen entdeckt. Ravi ist ein Sanskrit-Wort und es bedeutet Sonne. Außerdem ist Ravi ein Hindu-Sonnengott. Das erschien mir noch nahe genug an der Astronomie, weshalb ich diesen Namen für meinen hübschen Wellensittich wählte.

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