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Liebe bis in den Tod: Die Geschichte von Sirius und Kallisto

Verfasst im März 2002, überarbeitet im Mai 2020

Sirius als Jungvogel
Sirius als Jungvogel

Das Liebesleben meiner Wellensittiche mutet oft so an, als würden sich die Tiere nach einem Drehbuch einer packenden Seifenoper verhalten. Heftige Flirts, dramatische Eifersuchtsszenen sowie zärtliche Versöhnungen sind in meinem Vogelschwarm an der Tagesordnung, obwohl in vielen älteren Fachbüchern geschrieben steht, dass Wellensittiche in treuer, lebenslanger Einehe leben. Aufgrund ihres flatterhaften Verhaltens in Liebesdingen habe ich die Macht der Liebe und Treue bei Sirius und Kallisto zu deren Lebzeiten vollkommen unterschätzt. Wie schön und gleichzeitig zerstörerisch tiefe Zuneigung unter Wellensittichen sein kann, führte mir ihr tragisches Schicksal schmerzhaft vor Augen. Und das, obwohl ich die Vögel keineswegs vermenschlichen möchte. Doch ich bin mir sicher, dass sie Gefühle hatten, und diese Gefühle haben letztlich zu einer Tragödie geführt.

Sirius lebte seit ihrer Geburt im Dezember 1996 bei mir. Sie war mein absoluter Lieblingsvogel, da sie nicht nur außerordentlich charmant, anhänglich und charakterstark war. Hinzu kam ein hohes Maß an Intelligenz, das ich bislang bei keinem anderen Wellensittich in dieser beachtlichen Ausprägung beobachtet hatte.

Kallisto im Profil
Kallisto im Profil

Etwa zwei Jahre nach Sirius‘ Geburt zog der damals noch sehr junge Vogelmann Kallisto in mein Vogelzimmer ein. Schon bald nach seiner Ankunft begann er damit, Sirius hartnäckig zu umwerben. Aber er war ihr noch zu jung und so recht interessierte sie sich anfangs nicht für ihn. Weil er jedoch nicht aufgab und über eine lange Zeit seinen Charme spielen ließ, gelang es ihm im Herbst 1999 endlich, das Herz seiner Angebeteten doch noch zu erobern. Und das veränderte Sirius grundlegend: Nach kurzer Zeit in dieser „Ehe“ mit dem jüngeren Gefährten war sie kaum mehr wiederzuerkennen. Sie wurde praktisch zu Kallistos Schatten und wich ihm keine Sekunde von der Seite, obwohl sie zuvor stets ein freiheitsliebendes Weibchen gewesen war.

Sirius füttert ihre Tochter Rana, die sie ohne ihren Partner Kallisto großzog
Sirius füttert ihre Tochter Rana, die sie ohne ihren Partner Kallisto großzog

Nach einigen Wochen intensiver Balz begannen die beiden damit, eine Familie zu gründen, was ich allerdings damals alles andere als passend fand. Ich wollte keine Nestlinge, da mir ein Brutversuch meiner Sittiche zeitlich nicht in den Kram passte. Also sterilisierte ich das Gelege meiner lieben Sirius. Alle Eier trockneten ein – zumindest dachte ich das … Wie sehr ich mit dieser Annahme falschlag, beschreibt mein Erlebnisbericht über das Sorgenküken Rana. Denn in einem der Eier war trotz allem ein Jungtier herangewachsen, dessen Leben äußerst dramatisch begann. Es ist Sirius zu verdanken, dass ihre Tochter überlebt hat. Mit ihrem Scharfsinn holte sie sich im entscheidenden Moment die Hilfe eines Menschen, die dringend notwendig war.

Die schüchterne Wega eroberte vorübergehend Kallistos Herz
Die schüchterne Wega eroberte vorübergehend Kallistos Herz

Während Sirius pflichtbewusst rund einen Monat ihr großes Gelege wärmte, tat Kallisto etwas, mit dem ich angesichts der sehr engen Beziehung der beiden Vögel damals nicht gerechnet hatte: In Abwesenheit seiner Frau verpaarte er sich im Vogelzimmer recht bald mit der schüchternen Wega. Nach der Aufzucht ihres Nachwuchses als „alleinerziehende Mutter“ kehrte Sirius nichts ahnend wieder den Vogelschwarm zurück und wollte Kallisto freudig begrüßen. Aber ihr Ex-Mann stellte sie vor vollendete Tatsachen. Er ließ Sirius abblitzen und wich jetzt Wega nicht mehr von der Seite, sehr zum Missfallen seiner ehemaligen Gefährtin. Dass es zwischen den beiden Weibchen ständig zu kleinen Sticheleien kam, wunderte mich jedenfalls nicht …

In den folgenden zwei Jahren blieb Kallisto seiner neuen Frau weitestgehend treu. Trotzdem machte er alle paar Tage auch seiner „Verflossenen“ Sirius schöne Augen und flirtete heftig mit ihr – vor allem, wenn Wega gerade schlief oder mit anderen Dingen beschäftigt war. So ganz konnte und wollte Kallisto offenbar doch nicht von Sirius lassen. Ich hielt ihn für einen Casanova, wie er im Buche steht, und traute ihm „aufrichtige“ Gefühle daher nicht zu.

In Umbriel hatte Sirius einen treuen Freund, er war ihr Vater
In Umbriel hatte Sirius einen treuen Freund, er war ihr Vater

Anfang Dezember 2001 wandte sich das Blatt plötzlich grundlegend. Von jetzt auf gleich hatte Kallisto nur noch Augen für Sirius, er ließ Wega fallen wie eine heiße Kartoffel und die geprellte Vogeldame verstand die Welt nicht mehr. Sirius, die sich im Sommer 2001 mit Umbriel sehr eng angefreundet hatte, gab ihrem betagten Gefährten zugunsten von Kallisto kurzerhand den Laufpass. Das alte neue Paar war überaus glücklich miteinander, und wieder schritten Sirius und Kallisto relativ schnell zur Familiengründung. Dieses Mal sollte Sirius ein Jungtier großziehen dürfen, da sie mein Herzensvogel war und ich es einfach schön gefunden hätte, wenn es ein weiteres Kind von ihr in meinem Vogelschwarm geben würde.

Leider kamen die Dinge anders, und was letztlich geschah, zerriss mir das Herz. An Heiligabend spürte ich im Bauch meiner lieben Sirius ein Ei und sie war fit wie eh und je, so dass für mich kein Grund zur Sorge bestand. Ich ging davon aus, dass sie es ohne Probleme in der kommenden Nacht legen würde. Am nächsten Tag bot sich mir ein Bild des Grauens. Sirius wirkte matt und hatte große Schmerzen. Das Ei hing halb aus ihr heraus, aber es kam nicht gänzlich hervor, auch nicht, als ich sehr vorsichtig ihren Bauch massierte. Etwas stimmte ganz und gar nicht, meine kleine Freundin befand sich in schlimmster Not.

Sirius war zeitlebens gesund, bis sie infolge einer Komplikation bei der Brut leider unter dramatischen Umständen starb
Sirius war zeitlebens gesund, bis sie infolge einer Komplikation bei der Brut leider unter dramatischen Umständen starb

Eilig fuhren mein damaliger Lebensgefährte und ich die gefiederte Patientin in die Tierklinik, wo sie innerhalb weniger Minuten auf dem OP-Tisch lag. Wie sich bei dem Eingriff herausstellte, hatten sich in ihrem Bauch zwei Eier gleichzeitig gebildet und ineinander verkeilt – eine üble Laune der Natur. Nach der Operation war Sirius so erschöpft, dass sie frierend in meiner Hand lag. Während wir nach Hause fuhren, lag sie dort und ließ sich von mir kraulen. Zu Hause angekommen, verschlechterte sich ihr Zustand leider rapide. Ständig musste sie sich übergeben, da sie das Narkosemittel nicht vertragen hatte. Gut zwei Stunden nach der Operation wurde mir endgültig klar, dass ihr Ende nah und nicht mehr abwendbar war. Ich konnte meiner geliebten Vogeldame nur noch beim Sterben beistehen, indem ich sie wärmte, so gut es ging. Es ging plötzlich alles sehr schnell …

Den Rest des Tages saß ich betäubt von Schmerz und Trauer in meinem Wohnzimmer und konnte es nicht fassen, dass meine über alles geliebte Vogeldame so früh von uns gegangen war. Damit war das Drama jedoch noch nicht zu Ende. Kallisto hatte sehr deutlich mitbekommen, was vorgefallen war. Als Sirius starb, war er dabei und schrie verzweifelt, denn er war kein dummer Vogelmann. Kaum hatte sie ihre Augen für immer geschlossen, sackte er buchstäblich in sich zusammen. Etwas war in ihm zerbrochen, das war deutlich zu erkennen. Am nächsten Tag war er noch immer traurig und der Glanz war nicht wieder in seine Augen zurückgekehrt.

Kallisto bewacht den Nistkasten
Kallisto bewacht den Nistkasten

Bei näherem Hinsehen stellte ich darüber hinaus fest, dass Kallisto nicht fressen wollte. Die Situation spitzte sich mehr und mehr zu. In den folgenden Tagen magerte er ab, wurde immer schwächer und selbst der sofort zurate gezogene Tierarzt konnte nicht helfen. Durch die Trauer und den psychischen Stress war Kallistos Immunsystem letztlich überlastet. Er bekam eine schwere Kropfentzündung und sah aus wie ein Häufchen Elend. Zusehends verfiel der einst so kräftige und stolze Vogelmann. Das Allerschlimmste war: Er kämpfte nicht um sein Leben. Mir kam es so vor, als hätte es durch den Tod seiner geliebten Frau jeden Sinn für ihn verloren.

Am Morgen des 31. Dezember 2001 konnte Kallisto kaum noch seinen Kopf aus eigener Kraft heben, so schwach war er inzwischen geworden. In meiner Hand liegend, starb er am späten Vormittag. Ich hätte schreien können vor Schmerz und Kummer. Nichts hatte den armen Vogelmann von seiner Selbstaufgabe abhalten können, das war mir schließlich klar geworden. Sirius war für ihn einfach alles gewesen. Und ich hatte seine tiefen Gefühle für sie vollkommen unterschätzt, als ich ihn wegen seiner Eskapaden mit Wega mental in die „Casanova-Schublade“ gesteckt hatte. Mein Lebensgefährte und ich setzten Kallisto neben seiner geliebten Partnerin Sirius bei. Wir waren uns sicher: Das war der Ort, an dem er sein wollte.

Rana, die Tochter von Sirius und Kallisto
Rana, die Tochter von Sirius und Kallisto

Die beiden Todesfälle waren sehr schmerzhaft und tragisch, doch das Unglück hielt noch einen dritten „Akt“ bereit. Eines der beiden Eier, die der Tierarzt bei der Operation aus Sirius‘ Bauch geholt hatte, war intakt geblieben und ich hatte es der ebenfalls brütenden Paula untergelegt. Kurz nach Kallistos Tod ging es in Paulas Nistkasten durch einen dummen Zufall zu Bruch, wobei ich feststellte, dass es befruchtet gewesen war. Der einige Tage alte Jungvogel starb in seinem zerbrochenen Ei. Innerhalb weniger Tage wurde damit die gesamte Familie ausgelöscht, also auch das ungeborene Kind. Einzig die zu dem Zeitpunkt zwei Jahre alte Tochter Rana blieb mir erhalten. Sie hatte den Blick ihrer Mutter Sirius und ihr Gefieder erinnert mich sehr an Kallisto. Ich bin froh, dass mir wenigstens Rana geblieben ist.