Knochenverhärtung (Polyostotische Hyperostose)

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Wie es für Wirbeltiere üblich ist, besteht auch das Skelett der Vögel aus Knochen. Im Unterschied zu denen anderer Wirbeltiere verfügen Vogelknochen jedoch über eine abweichende und sehr spezielle Bauweise. Damit die Tiere fliegen können, sollten sie möglichst leicht sein. Die Knochensubstanz ist an sich aber relativ schwer, sodass die Natur einen ausgeklügelten Bauplan hervorgebracht hat, um Vögel mit wenig Knochengewicht zu belasten: Sie haben Röhrenknochen, die in ihrem Inneren hohl sind und zahlreiche winzige Querverstrebungen aufweisen. Diese Verstrebungen erhöhen die Festigkeit und treiben das Eigengewicht des Knochens dabei nur geringfügig in die Höhe.

Betrachtet man das Röntgenbild eines gesunden Vogels, so sind die Knochen normalerweise nur als schemenhafte, durchscheinende Strukturen zu erkennen. Eines der Fotos etwas weiter unten zeigt ein Röntgenbild eines Wellensittichs, dessen Knochen keinerlei Veränderungen aufwiesen und der aufgrund einer Magenerkrankung geröntgt worden ist. Unten sind die Beinknochen und oben rechts die nach hinten gestreckten Flügelknochen als zarte Schemen zu erkennen. Auch die Wirbelsäule ist nur ansatzweise zu sehen. Der Brustkorb ist kaum sichtbar und die Wirbelsäule zeigt sich ebenfalls nur schemenhaft. Die Vergrößerung des Drüsenmagens ist hingegen enorm, was in Bezug auf eine eventuelle Knochenerkrankung jedoch nicht von Belang ist.

Seit einigen Jahren wird bei Vogelweibchen – vor allem bei weiblichen Wellensittichen – eine krankhafte Veränderung der Knochendichte diagnostiziert. Aufgrund eines Östrogenüberschusses lagert der Körper eines betroffenen Tiers erheblich zu viel Kalzium in die Knochen ein. Sie werden dichter und dichter, bis sie schließlich extrem hart und massiv sind. Die Röntgenaufnahme in der Nähe dieses Absatzes stammt von einem Wellensittichweibchen, dessen Knochen extrem dicht und massiv gewesen sind. Sie sind als grelle, überbelichtete Bereiche auf dem Röntgenbild überdeutlich zu erkennen. Insbesondere im Vergleich zur darüber platzierten Röntgenaufnahme fällt der Unterschied zwischen normalen und verhärteten Knochen auf. Derart verhärtete Knochen sind erheblich schwerer als gesunde Röhrenknochen.

Röntgenbild eines Wellensittichweibchens mit normaler Knochendichte.
Röntgenbild eines Wellensittichweibchens mit normaler Knochendichte.
Röntgenbild eines Wellensittichweibchens mit zu dichten Knochen infolge einer Polyostotischen Hyperostose.
Röntgenbild eines Wellensittichweibchens mit zu dichten Knochen infolge einer Polyostotischen Hyperostose.

In schweren Fällen der Erkrankung bilden sich auf den Knochen zusätzlich kleine Sporne, die in ein Gelenk hinein ragen und dort zu massiven Störungen der Beweglichkeit führen. Grundsätzlich sind die Gelenke der Vögel nicht darauf ausgelegt, derart dichte Knochen miteinander zu verbinden, weshalb die von dieser Krankheit betroffenen Tiere oft zusätzlich an Arthrose erkranken. Hierunter versteht man degenerative Gelenkerkrankungen. Darüber hinaus kann es vor allem durch mechanische Reizung aufgrund von Knochenspornen zu einer Gelenkentzündung, also einer sogenannten Arthritis, kommen.

Die in diesem Kapitel beschriebene Erkrankung wird als Polyostotische Hyperostose bezeichnet. Der Wortbestandteil Poly bedeutet viele, was also beschreibt, dass in aller Regel nicht nur ein Knochen betroffen ist. Im Wortteil ostotisch steckt das altgriechische Wort für Knochen (οστό) beziehungsweise das lateinische Wort (os). Ebenfalls aus dem Griechischen stammt der erste Bestandteil des zweiten Wortes. Hyper bedeutet soviel wie „übermäßig“ und in ostose steckt wieder der griechische beziehungsweise lateinische Begriff für Knochen und die Endung ose, die eine Krankheit kennzeichnet. Übersetzt man die einzelnen Bestandteile des Krankheitsnamens ins Deutsche, bedeutet er etwa „viele Knochen betreffende übermäßige Knochenverhärtungskrankheit“ oder einfach „Knochenverhärtung“.

Symptome

Es ist nicht leicht, die Polyostotische Hyperostose im Anfangsstadium als Laie zu erkennen. Die betroffenen Tiere verhalten sich zu Beginn der Erkrankung in aller Regel völlig normal und werden erst mit zunehmender Erhöhung der Knochendichte bewegungsfaul. Bei manchen Tieren entwickeln sich Fehlstellungen der Beine oder Flügel. Außerdem nehmen die Vögel an Gewicht zu, was jedoch nur dann wahrzunehmen ist, wenn man die Tiere regelmäßig wiegt und zudem abtastet. Ist der Brustbeinkamm unverändert zu spüren und steigt das Gewicht eines Vogels über Wochen oder Monate hin langsam um einige Gramm, könnte dies ein Indiz für eine zu starke Mineralisierung der Knochen sein.

Dieses Wellensittichweibchen in einem fortgeschrittenen Stadium der Polyostotischen Hyperostose kann sich kaum noch bewegen.
Dieses Wellensittichweibchen in einem fortgeschrittenen Stadium der Polyostotischen Hyperostose kann sich kaum noch bewegen.

Betroffene Vogelweibchen weisen einen enormen Östrogenüberschuss auf und wirken deshalb auf ihre männlichen Schwarmgefährten häufig unwiderstehlich. So manches Weibchen wird von den Männchen ständig bedrängt. Woran die Männchen den sehr hohen Östrogenspiegel erkennen, ist nicht restlos geklärt. Bei Wellensittichen scheint es nicht allein an der dunkelbraunen Wachshautfärbung zu liegen, denn auch Weibchen mit nicht kräftig braun gefärbter Nase werden in diesem Zustand oftmals bedrängt. Möglicherweise verströmen die Weibchen einen bestimmten Geruch, der die Männchen auf den hohen Östrogenspiegel aufmerksam macht. Weibchen, die in normaler Brutstimmung sind und keinen extrem überhöhten Östrogenwert aufweisen, werden zwar ebenfalls mit viel Aufmerksamkeit bedacht, jedoch nicht so arg bedrängt wie jene Artgenossinnen, deren Hormonlevel extrem hoch ist. Wer beobachtet, dass ein Vogelweibchen wieder und wieder von Männchen bedrängt wird und sich außerdem nicht mehr so viel wie zuvor bewegt, der sollte einen fachkundigen Tierarzt hinzuziehen.

Diagnose

Die Knochenverhärtung lässt sich durch das Anfertigen einer Röntgenaufnahme meist leicht nachweisen, sofern sie bereits zu einer Verdichtung des Knochenmaterials geführt hat. Ein fachkundiger Tierarzt wird die Erkrankung sofort erkennen.

Ursachen

Es ist schwer zu sagen, wodurch die Erkrankung hervorgerufen wird. Fehler in der Haltung und Ernährung sind sehr wahrscheinlich keine auslösenden Faktoren. Mir gegenüber hat ein fachkundiger Tierarzt die Vermutung geäußert, dass diese Knochenerkrankung unter Umständen eine direkte Folge der extremen Zuchtbedingungen unter Wellensittichen sein könnte. Auffällig ist, dass vor allem melaninarme (helle) Farbschläge betroffen sind und die meisten erkrankten Vögel sind zudem Standardsittiche, also große Ausstellungsvögel.

Denkbar wäre es, dass bei der gezielten Zucht jener speziellen Farbschläge unbeabsichtigt bestimmte genetische Eigenschaften gefördert werden, die bei den betroffenen Weibchen zu einer Hormonstörung führen, wodurch der Östrogenspiegel über alle Maßen steigt. Dadurch wiederum erhöht sich die Knochendichte und die Vögel erkranken an der Polyostotischen Hyperostose, so die Theorie.

Erleiden die betroffenen Vögel Schmerzen?

Sehr wahrscheinlich spüren die erkrankten Vögel im Anfangsstadium keine Schmerzen. Je mehr die Knochen verhärten und je stärker die Gelenke belastet werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Tiere Schmerzen empfinden. Hat erst einmal eine Arthrose eingesetzt oder sind die Gelenke entzündet, leiden die Tiere meist unter starken Schmerzen. Dies ist unter anderem daran zu erkennen, dass sie nicht mehr fliegen wollen und nur ungern laufen oder klettern. Viele Vögel liegen in Schonhaltung bäuchlings auf einer glatten Unterlage und bewegen sich insgesamt so wenig wie nur irgend möglich. Mitunter sind stöhnende oder ächzende Laute zu hören, wenn sich die Tiere bewegen. Vermutlich geben sie diese Geräusche infolge ihrer Schmerzen von sich.

Behandlung

Leider bestehen kaum Heilungschancen und eine Behandlung ist schwierig. Man kann allenfalls das Fortschreiten der Knochenverhärtung verlangsamen, aber eine komplette Wiederherstellung der normalen Knochendichte lässt sich normalerweise nicht erzielen.

Eine gängige Methode der Behandlung besteht darin, den Vögeln Hormone zu verabreichen, um den Östrogenhaushalt zu normalisieren. Darüber hinaus werden die Tiere vorübergehend mit einem Schmerzmittel, zum Beispiel Metacam, versorgt.

Das Wellensittichweibchen Tweety leidet an Polyostotischer Hyperostose.
Das Wellensittichweibchen Tweety leidet an Polyostotischer Hyperostose.

Die Vogelhalterin Jana Gleis hat sehr gute Erfahrungen mit dem Trinkwasserzusatz Complexamin gemacht, wie sie Birds-online.de gegenüber mitteilte. Sie gibt ihrem an der Polyostotischen Hyperostose erkrankten Vogel Tweety alle zwei Tage einen Tropfen dieses Präparates ins Trinkwasser. Normalerweise sollte das Mittel nur kurweise verabreicht werden, weshalb Jana eine einmonatige Pause machen wollte. Doch nach nur einer Woche konnte Tweety nicht mehr richtig sitzen, ließ einen Fuß hängen und hatte Schwierigkeiten mit dem Fliegen. Als Jana die Behandlung mit Complexamin fortsetzte, ging es dem Vogel sofort wieder besser. „Sicher verzögert sich der Krankheitsverlauf nur, aber solange sie so unbeschwert und ohne Schmerzen lebt, werde ich weiterhin das Präparat verabreichen“, so das Fazit der Vogelhalterin, die diesen Tipp an dieser Stelle gern weitergeben möchte.

Obwohl manche Präparate in Einzelfällen hilfreich sein können, sollte man als Vogelhalter dennoch immer objektiv bleiben und sich nichts vormachen. Über kurz oder lang ist bei dieser Erkrankung bedauerlicherweise ein Punkt erreicht, an dem sich ein betroffenes Tier nur noch quält. Es ist wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das Einschläfern bewahrt den Vogel vor unsäglichen Qualen, die sogar mit einer hohen Dosis eines Schmerzmittels nicht zu lindern sind.

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