Gelähmte Füße und Beine

Text und Bilder von Birds-Online.de (Gaby Schulemann-Maier), Juli 2005

Der rechte Fuß des Wellensittichweibchens Wega war gelähmt.
Der rechte Fuß des Wellensittichweibchens Wega war gelähmt.

Meist kommt es bei Wellensittichen und anderen Vögeln durch einen Unfall oder durch eine schwere Erkrankung zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Beweglichkeit ihrer Füße. Knochenbrüche sowie Verletzungen der Bänder in einzelnen Zehen als Ursache für permanente Unbeweglichkeit stelle ich im entsprechenden Beitrag vor.  Auf dieser Seite finden Sie einen Fallbericht, der verdeutlichen soll, wie sich diese Form der Bewegungseinschränkung für Heimvögel darstellen kann.

Einst war das Vogelweibchen Wega gesund und munter, bis sein damaliger Lebensgefährte im Frühsommer 2001 schwer erkrankte und ich ihn für einige Wochen aus dem Vogelzimmer herausnehmen musste. Wega, die schon immer ein scheues, zurückhaltendes und nur wenig zutrauliches Tier war, rief unablässig nach ihrem Partner. Sie war aufgrund seines plötzlichen Verschwindens sichtlich verstört und gestresst. Auch nach einigen Tagen hatte sich ihre Gemütslage noch nicht gebessert, noch immer war sie aufgeregt und nervös. Von morgens bis abends suchte sie verzweifelt nach ihrem Gefährten. Leider war mir zu dieser Zeit nicht bewusst, wie gravierend sich diese starke psychische Anspannung auf Wegas Gesundheit auswirkte und welch dramatische Folgen sich bald ergeben sollten. Ihr Körper war dem lang anhaltenden Stress nicht gewachsen. In einer der folgenden Nächte erlitt Wega eine sehr plötzlich auftretende neurologische Erkrankung, die einem Schlaganfall ähnelte. Obwohl Wega am Abend zuvor noch vollkommen in Ordnung gewesen war, fiel sie nachts plötzlich schreiend von der Stange. Sie konnte von jetzt auf gleich ihr rechtes Bein und Teile ihrer rechten Körperhälfte nicht mehr bewegen.

Ich brachte Wega noch in der Nacht auf dem schnellsten Wege zu einem tierärztlichen Notdienst. Meiner Patientin wurden Notfallmedikamente verabreicht, um den geschädigten Nerven und Hirnarealen eine rasche Regeneration zu ermöglichen. Die weitere Behandlung übernahm anschließend mein Tierarzt. Er versuchte der Lähmung entgegenzuwirken, indem er meinem Vogel einen Vitamin-B-Komplex per Spritze verabreichte. Ferner bekam sie ein Mittel, das die Beweglichkeit wiederherstellen sollte und ich erhielt den Auftrag, Krankengymnastik mit Wega durchzuführen, damit ihre Gelenke in den Tagen und Wochen nach dem Einsetzen der Lähmung nicht versteifen und sich die Muskeln und Bänder nicht verkürzen.

Innerhalb einer Woche erhielt Wega mehrfach die genannten Medikamente. Glücklicherweise erzielten diese bald eine Wirkung, wenn auch nicht mit so durchschlagendem Erfolg wie von mir erhofft. Zwar konnte Wega nach Abschluss der Behandlung dank der Medikamente und der von mir durchgeführten Krankengymnastik den größten Teil ihrer rechten Körperhälfte war wieder voll beweglich. Die Zehen des rechten Fußes verblieben jedoch in der sogenannten „Kusshandstellung“, und das Bein war ebenfalls in seiner Beweglichkeit eingeschränkt. Es schien, als würde eine Teillähmung vorliegen. Infolge der Bewegungseinschränkungen des Beins war der rechte Fuß zum Laufen und Klettern nahezu unbrauchbar geworden, was in mancherlei Hinsicht eine enorme Einschränkung der Mobilität für den Vogel bedeutete.

Stehen auf einem gelähmten Fuß

Stehen konnte Wega nur auf dem gesunden, linken Fuß, mitunter stützte sie sich auf dem Lauf des rechten, gelähmten Fußes auf.
Stehen konnte Wega nur auf dem gesunden, linken Fuß, mitunter stützte sie sich auf dem Lauf des rechten, gelähmten Fußes auf.

Als Wega genügend Kraft gesammelt hatte und wieder zu ihren Artgenossen ins Vogelzimmer ziehen durfte, hatte sie wie erwartet deutliche Schwierigkeiten beim Klettern und Laufen. Normalerweise stehen Wellensittiche mit ihren Füßen so auf einem ebenen oder gekrümmten Untergrund, das die beiden mittleren Zehen nach vorn und die beiden äußeren nach hinten weisen. In der Mitte des Fußes ist auf dessen Unterseite derjenige Punkt, auf dem in der anatomisch korrekten Position der Großteil des Gewichts der Vögel lastet. Wegas gelähmter Fuß ermöglicht es dem Weibchen nicht mehr, sich in der arttypischen Weise hinzustellen. Sie konnte sich nur noch darauf abstützen, aber richtigen Halt bot ihr der Fuß nicht, weil ein Umgreifen der Stangen nicht mehr möglich war.

Aufgrund ihrer starren Zehenstellung konnte sich Wega beim Laufen, Stehen und Klettern nur noch auf den Teil des Beines stützen, der „Lauf“ genannt wird. Der Laufknochen wird von Medizinern als Tarsometatarsus bezeichnet. Er befindet sich oberhalb der Zehen der Vögel und grenzt nach oben hin an den Unterschenkelknochen. Wegas Körpergewicht lag also meist auf der Hinterseite des Laufs und auf dem Gelenk, das den Lauf und den Unterschenkelknochen miteinander verbindet; hierbei handelt es sich um das Intertarsalgelenk. Ich betrachtete die Haut am Bein  und Gelenk regelmäßig aus der Nähe, um im Bedarfsfall sofort eine Hautsalbe auftragen zu können, die mir mein Tierarzt gegen wunde Stellen und Hautverletzungen bei meinen Vögeln mitgegeben hatte. Die dünne Haut am Gelenk ist von Natur aus ausgesprochen empfindlich und nicht für derartige Dauerbelastungen vorgesehen, wie sie im Falle eines gelähmten Fußes oder eines Fußes mit gelähmten Zehen auftreten. Zum Glück kam die Salbe bei Wega nur selten zum Einsatz, weil ihre Haut nicht allzu oft wund wurde.

Klettern, Laufen, Landen, Schlafen

Mit dem gelähmten rechten Fuß konnte Wega keine Sitzstangen umgreifen und auf glatten Oberflächen nur bedingt sicheren Halt finden.
Mit dem gelähmten rechten Fuß konnte Wega keine Sitzstangen umgreifen und auf glatten Oberflächen nur bedingt sicheren Halt finden.

Weil Wega ihren gelähmten Fuß nicht mehr zum Greifen benutzen konnte, stellten waagerechte Gitterstäbe beim Klettern große Anforderungen an ihr Geschick. Mit dem gesunden Fuß griff sie wie für Wellensittiche typisch um mindestens eine Gitterverstrebung und fand durch ihren festen Griff guten Halt. Das Bein mit dem gelähmten Fuß legte sie so auf die Gitterstäbe, dass ihr Lauf sie trug. Wie wackelig dies war, merkte man, wenn sie mit dem gesunden Fuß das Gitter losließ, um woanders neuen Halt zu finden. Stieß beispielsweise ein anderer Sittich die kletternde Wega in einem solchen Moment an, geriet sie stark ins Wanken und musste ihren Schnabel zur Hilfe nehmen, um nicht zu stürzen. Senkrecht verlaufende Stäbe, die meist an den Seiten von Vogelkäfigen angebracht sind, konnte sie seit dem Auftreten ihrer Behinderung nicht mehr kletternd bewältigen, da sie mit nur einem gesunden Fuß daran keinerlei Halt fand.

Wegas Laufstil hatte sich also seit dem Beginn der Krankheit zwangsläufig verändert. Sie lief viel langsamer als zuvor und war leichter aus dem Gleichgewicht zu bringen. Beim „Gehen“ rollte sie sich über ihren Lauf ab, was einen hinkenden Eindruck beim Betrachter erweckte. Seit Wega das Problem mit ihrem Fuß hatte und noch fliegen konnte, sahen ihre Landungen alles andere als elegant aus. Viel mehr wackelte sie vergleichsweise unbeholfen, wenn es darum ging, auf einem schwankenden Untergrund wie einer Schaukel aus Naturästen zu landen. Käfigoberteile stellten aufgrund der Abstände zwischen den einzelnen Gitterstäben ebenfalls kein leichtes Terrain zum sanften Aufsetzen für das Wellensittichweibchen dar. Ebene Flächen bereiteten ihr die geringsten Schwierigkeiten, dort landete sie meist sanft und punktgenau. Einige Monate, nachdem es zu ihrer Beinlähmung gekommen war, verlor sie jedoch aufgrund einer weiteren schweren Erkrankung leider auch noch ihre Flugfähigkeit.

Auf Korkbrettchen im Käfig und auch im Freiflugzimmer lag Wega gern, um ihr gesundes Bein zu entlasten.
Auf Korkbrettchen im Käfig und auch im Freiflugzimmer lag Wega gern, um ihr gesundes Bein zu entlasten.

Weil ihr das Stehen auf Sitzstangen schwerfiel, bot ich Wega kleine Liegebrettchen aus Korkeichenrinde an, auf denen sie schlafen konnte. Dieses Angebot nahm die Vogeldame gern und dankbar an. Bäuchlings liegend, entlastete Wega während der Nacht ihr gesundes Bein, auf dem sie die meiste Zeit des Tages stand. Auf ihrem „Schlafbrett“ wirkte sie rundherum zufrieden und entspannt.

Ihren Behinderungen zum Trotz stand Wega mit beiden Beinen voll im Leben. Sie war schon immer ein eher zurückhaltender, schüchterner Sittich, was jedoch nicht heißen soll, dass sie sich schlecht fühlte. Je mehr Vögel um sie herum lebten, desto mehr blühte Wega auf. Anfang Dezember 2001 hat sie sogar Ambitionen gezeigt, einen Nistkasten zu beziehen. Da sie zu jener Zeit keinen festen Gefährten hatte, der mit ihr eine Familie hätte gründen können, wurde aus der Sache aber nichts – und ich wollte ohnehin nicht, dass die gehandicapte Vogeldame Nachwuchs großzieht. Ich hielt dies für eine zu große Anstrengung.

Was bei der Haltung zu beachten ist

Wer einen Vogel pflegt, dessen Fuß des beringten Beins gelähmt ist oder der Bewegungseinschränkungen dieses Beines zeigt, sollte vorsichtshalber den Ring entfernen lassen. Der Vogel bleibt ohnehin gelegentlich mit dem steifen Bein hängen, deshalb sollte man kein Risiko eingehen und den Ring, der in einem solchen Fall unter Umständen eine ernsthafte Gefährdung für den Vogel darstellen kann, vom Tierarzt mit einer Spezialzange durchtrennen lassen. Hinzu kommt außerdem, dass sich Fußringe meist am Laufknochen befinden und die Vögel sich auf den Ring stützen müssen, was zu einer Überlastung der Haut am Bein führt.

Bei Wellensittichen und einigen anderen Vogelarten ist das Entfernen des Fußrings unproblematisch. Es gibt jedoch Vogelarten, die aus Artenschutzgründen eine Kennzeichnung am Körper tragen müssen. Ihr Tierarzt wird Sie beraten und gegebenenfalls eine alternative Möglichkeit der gesetzlich vorgeschriebenen Kennzeichnung am Vogel anbringen. So besteht bei größeren Papageien beispielsweise die Möglichkeit, ihnen einen Chip implantieren zu lassen. Sicherheitshalber sollten Sie die Fragmente des entfernten Fußrings zusammen mit einer tierärztlichen Bescheinigung aufbewahren. So haben Sie einen Nachweis darüber, dass Ihr Vogel einst den Ring getragen hat.

Bitte entfernen Sie außerdem sicherheitshalber alle Gegenstände aus der Reichweite Ihres Vogels, an denen er mit seinem gelähmten Fuß hängen bleiben kann. Eine Liste gängiger Gefahrenquellen, die einem Heimvogel beim Freiflug zum Verhängnis werden könnten, finden Sie hier.

Buchtipp
Cover des Buches 'Vogelhaltung mit Handicap'Weil mir, der Betreiberin von Birds-online.de, gehandicapte Vögel so sehr am Herzen liegen, habe ich gemeinsam mit der erfahrenen Vogelhalterin Sigrid März ein Buch geschrieben. Darin werden die häufigsten Handicaps vorgestellt, Herausforderungen im Alltag beschrieben und natürlich Lösungen aufgezeigt. Von Amputationen über Blindheit bis hin zu altersbedingten Einschränkungen wie Arthrose reicht die Themenpalette. Ergänzend gibt es ein paar Einrichtungstipps, um gehandicapten Vögeln ein angenehmes und sicheres Umfeld bieten zu können. Wir haben den Inhalt bewusst so gestaltet, dass er sich nicht nur um kleine Sittiche dreht. Kanarienvögel, Täubchen und größere Vogelarten wie Graupapageien und Co. wurden von uns gleichermaßen mit einbezogen.

Das Buch kann für 29,90 € direkt beim Verlag bestellt werden: Web-Shop des Arndt-Verlags