Io, adoptiert am 8. November ’01, † 29. Februar ’04

Ios linker Flügel hin infolge einer früheren Verletzung herab und sie war flugunfähig.
Ios linker Flügel hin infolge einer früheren Verletzung herab und sie war flugunfähig.

Eigentlich sollte man meinen, wenn ein Vogel zahm, ausgesprochen hübsch und in seinem Verhalten angenehm ruhig ist, muss man ihn einfach gern haben. Der ehemalige Besitzer des Wellensittichs, um den es hier geht, hat dies jedoch aus mir vollkommen unverständlichen Gründen ganz offenkundig anders gesehen. Mehr noch: Feige wie er oder sie war, hat der einstige Vogelhalter nicht einmal dazu gestanden, des Sittichs überdrüssig geworden zu sein. Er oder sie hat das Tier überdies genau dann im Stich gelassen, als es dringend Hilfe benötigt hätte. Anfang Oktober 2001 wurde der Vogel anonym im Essener Tierheim „abgegeben“. Wobei abgegeben nicht ganz das richtige Wort ist. Genau genommen wurde das arme Tier dort in einer ziemlich kalten Novembernacht in einer Pappschachtel vor der Tür ausgesetzt. Obendrein war auch noch einer der Flügel des Vogels verletzt. Feiger kann sich ein Tierhalter meiner Meinung nach nicht verhalten, wenn er sein Tier „entsorgen“ möchte.

Als der Vogel morgens vom Personal gefunden wurde, war er stark unterkühlt, aber zum Glück noch am Leben. Sofort wurde er gewärmt und tierärztlich versorgt. Im Tierheim kümmerte man sich rührend um sie und versuchte, ein neues Zuhause für sie zu finden. Aber niemand interessierte sich für den Vogel, was wohl auch damit zu tun gehabt haben dürfte, dass die noch immer nicht richtig verheilte Flügelverletzung deutlich zu sehen war. Der Flügel hing herab und es stand zu befürchten, dass der Sittich nie mehr richtig fliegen können würde – eine Befürchtung, die sich leider bewahrheiten sollte. Mitte Oktober 2001 setzte sich eine ehrenamtliche Helferin des Tierheims mit mir in Verbindung und erzählte mir vom traurigen Leben des Vogels, der schon lange im Tierheimkäfig ausharrte und einem ungewissen Schicksal entgegenblickte. Mir tat das Tier sehr leid, da es aufgrund seiner Behinderung nur eine geringe Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung hatte.

Io (rechts) mit ihrem Gefährten Pollux.
Io (rechts) mit ihrem Gefährten Pollux.

Kein Vogel hat es verdient, ein kümmerliches Dasein als abgeschobenes, lästig gewordenes Haustier im Tierheim fristen zu müssen. Zwar kümmerte man sich dort um sie, aber die Vogeldame war nichtsdestotrotz in ihrem Käfig eingesperrt und vermisste es sicherlich, sich frei bewegen zu dürfen. Ich beschloss, sie zu adoptieren. Am 8. November 2001 zog Io bei mir ein und macht sich von diesem Tage an prächtig in meinem Vogelschwarm. Als sie zu mir kam, erhielt sie ihren neuen Namen, der sozusagen ein Symbol für den Beginn ihres neuen Lebensabschnitts sein sollte. Erfreulicherweise war diese Phase ihres Lebens für sie von viel Liebesglück geprägt. Nachdem ihre Schwarmkollegin Paula Ende Februar 2002 leider gestorben war, wurde Io die neue Frau an der Seite des quirligen Wellensittichmännchens Orion, als dieser noch lebte. Nachdem Orion im Mai 2003 leider viel zu früh gestorben war, verliebte sich Io in den kurz zuvor ins Vogelzimmer eingezogenen Pollux, mit dem sie von dieser Zeit an bis zu ihrem Tode eine glückliche und ausgesprochen harmonische Beziehung führte.

Obwohl sie nicht fliegen konnte, war Io sehr lebensfroh.
Obwohl sie nicht fliegen konnte, war Io sehr lebensfroh.

Obwohl der Flügel aufgrund eines früheren Bruchs, der nicht richtig verheilt war, stark herunter hing, konnte Io anfangs durchaus ein ganz klein wenig fliegen. Dabei schlingerte sie aber eher unkontrolliert und konnte kaum an Höhe gewinnen. Was aber von Vorteil war, war die Tatsache, dass sie von hohen Startpunkten aus einigermaßen sicher und ohne harten Aufprall nach unten gelangen konnte. Das ist immer noch besser, als wie ein Stein abzustürzen. Schmerzen hatte sie beim Fliegen zum Glück nicht, und auch ansonsten machte Io immer einen aufgeweckten, zugleich aber etwas schüchternen Eindruck. Bedauerlicherweise war auch Ios Rücken ein wenig schief. Sie hatte einen Buckel, was darauf schließen ließ, dass der Sittich vermutliche lange Zeit in einem viel zu kleinen Käfig untergebracht worden war und bleibende Haltungsschäden davongetragen hatte.

Am ohnehin schon gehandicapten linken Flügel der Vogeldame Io bildete sich später ein Tumor.
Am ohnehin schon gehandicapten linken Flügel der Vogeldame Io bildete sich später ein Tumor.

Im Herbst 2003 bildete sich am schief verheilten Flügelknochen ein Tumor, der rasch wuchs. Um ihr ein Weiterleben zu ermöglichen, entschied ich mich dazu, Io operieren und den vom Knochentumor befallenen Teil des Flügels entfernen zu lassen. Die Operation verlief gut, schon wenige Stunden nach der Teilamputation ihres Flügels war die Vogeldame wieder auf den Beinen.

Anschließend war ihr amputierter Flügel ein klein wenig kürzer als der andere, was jedoch weder sie noch ihren Partner störte, obwohl sie nun praktisch gar nicht mehr fliegen konnte. Sie lebte glücklich und schmerzfrei weiter, bis sie Ende Februar 2004 einen Kloakenvorfall erlitt, ohne dass ich im Vorfeld von ihren Absichten, eine Familie gründen zu wollen, überhaupt etwas geahnt hätte.

halb reife Hirse gehörte zu Ios Lieblings-Snacks.
halb reife Hirse gehörte zu Ios Lieblings-Snacks.

Ein nicht vollständiges entwickeltes Ei blieb an jenem Abend in ihr stecken und zog den Legedarm mit heraus. In einer nächtlichen Notoperation versuchte ein Tierarzt, die schwer kranke Io zu retten. Ich tat in den darauf folgenden Stunden alles, um sie durchzubringen. Leider schloss Io am Nachmittag des folgenden Tages ihre Augen für immer. Ich werde ihre wundervolle Art nie vergessen! Io benahm sich stets wie eine große Dame, sie war ein ganz besonderer Vogel. Danke für alles, meine wundervolle kleine Freundin!

Den bunten Farbschlag, dem Io zugerechnet wurde, nennt man einfaktoriger Australischer Schecke in Blau, wobei noch Einflüsse der Farbschläge Gelbgesicht Mutation II und ein Zimtopalin mit in Ios Gefieder steckten. Diese Mischung machte sie zu einem äußerst schönen Sittich. Fast jeden Morgen färbte sich Io außerdem das Gesicht mit Möhrensaft ein. Sobald ich ein Stück Möhre am Käfig angebracht hatte, war sie zur Stelle, um es binnen weniger Minuten in kleinste Teile zu schreddern und raspeln – und sich dabei ganz nebenbei das Gesicht mit dem austretenden Saft einzufärben.

Bedeutung des Namens

Ich habe meine alte Tradition auch bei diesem Sittich fortgesetzt und ihn nach einem astronomischen Objekt benannt. Einer der vier großen Monde des Planeten Jupiter heißt Io und war Namensgeber für den Vogel. Jener Mond ist so hell, dass man ihn in klaren Nächten von der Erde aus mit einem Fernglas in der Nähe seines Mutterplaneten sehen kann. In der griechischen Mythologie war Io eine Geliebte des Zeus. Um sie vor der Rache seiner Frau, der rasend eifersüchtigen Hera, zu beschützen, verwandelte der mächtige Gott Io in eine Färse; so nennt man ein weibliches Hausrind vor dem ersten Kalben.