Raj, adoptiert am 26. Oktober ’13, † 4. August ’15
Als Raj am 2. Dezember 2006 aus seinem Ei schlüpfte, war meine Freundin überaus glücklich. Er war das erste Küken, das in ihrer Obhut zur Welt gekommen war. Sie hatte eigens eine Züchterprüfung abgelegt, wie es damals in Deutschland noch erforderlich war, und freute sich sehr über den Zuwachs in ihrem Vogelschwarm. Raj, der anfangs noch Ravi hieß, wurde vom ersten Tag an mit viel Liebe intensiv beobachtet und umsorgt. Meine Freundin dokumentierte sein Heranwachsen, und schon damals nahm ich rege an diesem kleinen Wunder des Lebens teil. Als Raj das Fliegen erlernte, gelang es meiner Freundin, einige sehr schöne Flugaufnahmen von dem quirligen jungen Wellensittichmann anzufertigen. Ein besonders schönes Foto ziert seit langer Zeit eine englischsprachige Seite dieses Internetprojekts, die über die Nachteile des Flügelstutzens aufklärt – einer Praxis, die vor allem in den USA leider weit verbreitet ist.
Weil er das erste nachgezüchtete Jungtier war, hatte Raj einen ganz besonderen Platz im Herzen meiner Freundin. Sie brachte es nicht über sich, ihn wegzugeben. So kam es, dass er viele Jahre glücklich in ihrem Vogelschwarm lebte, der in einem Vogelzimmer untergebracht war. Täglicher Freiflug, viele Kletter- und Spielmöglichkeiten, immer eine ausgewogene und gesunde Ernährung und natürlich viele Artgenossen um sich herum – was kann sich ein Vogel mehr wünschen? Raj ging es sehr gut bei meiner Freundin. Doch irgendwann bemerkte sie plötzlich, dass er nicht mehr fliegen konnte. Was auch immer dazu geführt haben mag, es blieb ein Rätsel. Er wies keine sichtbaren Hinweise auf Verletzungen auf und machte nicht den Anschein, als würde er unter Schmerzen leiden. Und dass seine Flugunfähigkeit an seinen kleinen „Rettungsringen“ liegen könnte, war eher unwahrscheinlich. Denn Raj war zwar zeitlebens ein bisschen pummelig. Aber so stark, dass es ihn seiner Flugfähigkeit vollständig hätte berauben können, war sein Übergewicht nicht ausgeprägt. Weil er immer wieder zu fliegen versuchte und ins Trudeln geriet, brachen leider später seine Schwungfedern ständig ab. Seine langen Schwanzfedern ruinierte er mit seinen häufigen Bruchlandungen ebenfalls.
Zwar war diese Entwicklung hin zu einem flugunfähigen Vogel unerfreulich, doch auch derart gehandicapte Tiere können ein erfülltes Leben führen. Wenn sie jedoch wie Raj eher introvertiert, ruhig und zurückhaltend sind, können gehandicapte Vögel leider leicht zur Zielscheibe von Mobbingattacken ihrer Artgenossen werden. Bedauerlicherweise widerfuhr dies dem armen Wellensittichmännchen, sodass sich Raj immer mehr zurückzog und nicht mehr so glücklich war wie zuvor. Weil es meine Freundin nicht ertrug, ihn so traurig zu sehen, entschloss sie sich schweren Herzens, sich von ihrem kleinen Liebling zu trennen und ihn in meine Obhut zu geben. In meinem behindertengerecht eingerichteten Vogelzimmer leben ausschließlich sehr ruhige, freundliche Handicap-Vögel, die niemals ihre Artgenossen mobbten. Am 26. Oktober 2013 zog Raj gemeinsam mit seinem ebenfalls flugunfähigen Freund Sunny in mein Vogelzimmer ein. Meine Freundin wusste, dass sie ihre Tiere bei mir jederzeit besuchen können würde, was ihr den Abschied ein wenig erleichterte.
Schon bald nach seiner Ankunft fühlte sich Raj in der neuen Umgebung sichtlich wohl. Dass ihn nun niemand mehr ärgerte, schien ihm zu gefallen. Auch fand er sich schnell zurecht und gesellte sich zu den anderen gehandicapten Wellensittichen auf deren Lieblingsplatz. Dies war im damaligen Vogelzimmer ein Klettergestell in der Nähe des Fensters. Dort saßen die Tiere fast den ganzen Tag, zwitscherten gemeinsam oder betrieben ausgiebige Gefiederpflege. Generell war ihm die Körperpflege sehr wichtig. Anders als die meisten seiner neuen Gefährten war Raj ein furchtloser „Schwimmer“. Während die anderen Vögel es mochten, nur sehr wenig Wasser in ihrer Badewanne zu haben, durfte es für Raj ruhig ein bisschen mehr sein. Er liebte es, tief im Wasser zu stehen und ausgiebig zu baden. Mir hat es immer große Freude bereitet, ihm dabei zuzuschauen.
Er war ein freundlicher, unkomplizierter Geselle und ich bin froh, dass er sich hier so gut eingelebt hat. Die große Liebe hat er in meinem Vogelschwarm leider nicht gefunden, obwohl sich mehrere der alleinstehenden Weibchen intensiv um ihn bemühten. Raj ließ sie freundlich, aber bestimmt abblitzen. Trotzdem schien er zufrieden zu sein, und während ich im Spätsommer 2014 im Urlaub war und meine Vögel im Vogelzimmer meiner Freunde untergebracht waren, hat er sich schließlich Hals über Kopf in deren Vogelmännchen Willi verliebt. Die beiden gefiederten Herren waren fortan unzertrennlich, deshalb haben meine Freunde und ich beschlossen, sie nicht zu trennen. Raj lebte vom Spätsommer 2014 bis zum Tag seines Todes im August 2015 bei ihnen, um mit Willi zusammen sein zu können. Damit war auch seine frühere Halterin einverstanden, die mit den beiden anderen Vogelhaltern ebenfalls befreundet war. In Anspielung auf einen sehr alten Deo-Werbespruch sagten wir seinerzeit scherzhaft: Mein Raj, Dein Raj – Raj ist für alle da. 😉
Leider wurde unser aller gefiederter Freund und Schützling Anfang August 2015 plötzlich sehr krank. Was genau geschehen war, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Er zeigte Symptome, die entweder auf eine schlaganfallähnliche Erkrankung oder eine schwere Kopfverletzung schließen ließen. Alle Versuche meiner Freunde und unseres Tierarztes, Rajs Leben zu retten, schlugen bedauerlicherweise fehl. Wir waren alle sehr traurig, diesen sehr freundlichen und charmanten kleinen Vogelmann zu verlieren. Sowohl meine Freunde, bei denen er zum Schluss gelebt hatte, als auch meine Freundin, in deren Vogelzimmer er einst zur Welt gekommen war, trauerten mit mir um Raj, der uns zu Lebzeiten alle verzaubert hat. Danke, lieber Freund, dass wir Dich kennenlernen durften. Es war schön mit Dir und ich hätte Dir von Herzen ein noch viel längeres Leben an der Seite Deiner großen Liebe Willi gewünscht.
Rajs Farbschlag nennt sich einfaktoriger Australischer Schecke, außerdem war er ein Opalin-Vogel und ein Europäisches Gelbgesicht Mutation II.
Bedeutung des Namens
Ursprünglich trug dieser hübsche Vogel wie weiter oben erwähnt einen anderen Namen: Ravi. Diesen Namen wählte ich im Jahr 2006 für ihn aus, als er noch bei meiner Freundin lebte. Ich tat dies, ohne dass ich ahnen konnte, Jahre später selbst einen Wellensittich namens Ravi zu haben und damit gewissermaßen einen Namenskonflikt auszulösen. Denn ich habe nicht damit gerechnet, dass der erste Ravi ebenfalls später bei mir einziehen würde. Zwei Vögel mit demselben Namen wollte ich nicht in meiner Obhut haben, das widerstrebte mir. Deshalb entschied ich mich dazu, meinem gescheckten Vogelmännchen bei seinem Einzug einen neuen Namen zu geben. Raj stammt aus Indien und bedeutet König.