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Lähmung durch ein verrutschtes Ei
In seltenen Fällen kann es während der Fortpflanzungsperiode bei Vogelweibchen zu einer Komplikation kommen, die für das betroffene Tier schwerwiegende und vor allem langwierige gesundheitliche Konsequenzen hat. Innerhalb des Körpers eines Vogels ist nur wenig Platz. Alle Organe sowie die Muskeln, Knochen und Nervenstränge liegen eng beieinander, und wenn sich im Körper eines Weibchens ein Ei befindet, wird es noch enger im Bauchraum. Normalerweise ist dies kein Problem, weil sich die Eier jeweils nur für kurze Zeit im Vogelkörper befinden und dann gelegt werden. Wird ein Weibchen, in dessen Bauch sich gerade ein voll ausgereiftes Ei befindet, jedoch in einen Unfall verwickelt, kann dies gravierende Folgen haben.
Stürzt ein Vogelweibchen oder wird es anderweitig eingeklemmt, kann das vergleichsweise harte Ei in seinem Körper von innen gegen die Wirbelsäule drücken und dabei die dort verlaufenden Nervenstränge einquetschen. Abgesehen davon, dass dies ausgesprochen schmerzhaft für das betroffene Weibchen ist, können die Nerven geschädigt werden, und das sogar dann, wenn das Ei nicht zerbricht. Nervenquetschungen im Bereich des unteren Rückens führen häufig dazu, dass ein Vogelweibchen seine Beine nur noch schlecht oder gar nicht mehr bewegen kann. Bei uns Menschen ist das ähnlich: Wer einen schweren Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich erleidet, kann danach nur noch eingeschränkt laufen oder seine Füße nicht mehr heben.
Falls ein Weibchen durch ein im Körper liegendes Ei eine Quetschung der Nerven an der Wirbelsäule erleidet, sind die daraus entstehenden körperlichen Einschränkungen häufig gravierend. Zudem lässt sich nicht sagen, ob sich ein Vogelweibchen von dieser Art der inneren Verletzung überhaupt wieder erholen wird. Die Heilungschancen hängen maßgeblich davon ab, wie schwer die Nerven geschädigt worden sind, wie widerstandsfähig der betroffene Vogel ist und wie intensiv er durch den Halter und einen erfahrenen vogelkundigen Tierarzt betreut wird.
Lähmungen der Beine oder plötzliche Bewegungsstörungen sind bei einem brütenden Vogelweibchen also immer ein Notfall und man sollte so schnell wie möglich einen fachkundigen Tierarzt aufsuchen. Denn je eher man eine Behandlung einleitet, desto größer sind die Chancen, dass sich geschädigtes Nervengewebe wieder regeneriert – wenn auch häufig erst nach einigen Tagen oder gar Wochen. Während dieser Heilungsphase braucht der Vogel eine intensive Betreuung, um buchstäblich wieder auf die Beine zu kommen. Brüten lassen sollte man ein hiervon betroffenes Weibchen auf keinen Fall. Das würde den Körper zu sehr belasten.
Fallbeispiel des Wellensittichweibchens Cordelia
Anhand der Krankengeschichte der Vogeldame Cordelia, die aufgrund eines verrutschten Eis und einer damit verbundenen Quetschung der Nerven vorübergehend beide Beine nicht mehr bewegen konnte, werden im Folgenden die Behandlungsschritte erläutert. Cordelia hatte Glück. Sie ist wieder gesund geworden, was jedoch leider nicht für jeden betroffenen Vogel gilt. In manchen Fällen ist eine Wiederherstellung der Beweglichkeit der Beine nicht möglich. Dann kann es sinnvoll sein, über das Einschläfern des betroffenen Vogels nachzudenken. Zu früh sollte man jedoch nicht aufgeben. Es kann viele Wochen dauern, bis Nervenschäden heilen. Nach spätestens vier bis sechs Wochen sollten sich aber erste Erfolge einer Therapie abzeichnen. Ist bis dahin keinerlei Besserung zu erkennen, ist die Querschnittlähmung sehr wahrscheinlich dauerhaft.
Eigentlich sollte Cordelia aus unterschiedlichen Gründen nicht brüten. Der Wichtigste war, dass ihr Partner Pollux sich als Jungtier mit Viren angesteckt hat, die die Französische Mauser verursachen und somit zu Befiederungsstörungen führen. Zwar war er längst symptomfrei und sah normal aus, doch er war zeitlebens Träger der für die Erkrankung verantwortlichen Polyoma-Viren und hätte sie auf seine Nachkommen übertragen. Deshalb wollte ich nicht riskieren, dass er mit Cordelia Junge großziehen würde.
Ein Nistkasten stand nicht bereit, aber Cordelia geriet dennoch so sehr in Brutstimmung, dass sie Eier auf den Boden legte. Damit sie nicht wieder und wieder neue Eier produzieren würde, ersetzte ich die frisch gelegten Eier jeweils durch Kunststoffeier und ließ Cordelia brüten. Ihr Gelege wuchs, und nach dem achten Ei war klar: Mein Vogel litt an einem Legezwang. Diesem war kaum beizukommen und Cordelia erlitt bedauerlicherweise beim Legen ihres zehnten Eis eine Legenot, was sicher nicht zuletzt auf eine allgemeine Erschöpfung zurückzuführen war.
Glücklicherweise erholte sich Cordelia rasch. Trotz einer hormonellen Behandlung, die vom behandelnden Tierarzt eingeleitet wurde, legte Cordelia in den kommenden Wochen weitere Eier. Sie erhielt Kalzium und hochwertiges Futter, damit sich keinerlei weitere Komplikationen ergeben würden. Ich fürchtete mich besonders vor einer weiteren Legenot, doch dann kam alles ganz anders.
16. April 2005
Während sich das 14. Ei noch in Cordelias Legedarm befand, ist sie gestürzt – warum, das kann ich nicht sagen. Als ich am Abend nach der Arbeit bei den Vögeln nach dem Rechten sah, fand ich Cordelia in einem erschreckend schlechten Zustand vor. Sie schrie und wimmerte abwechselnd vor Schmerzen, was bei einem Wellensittich besonders dramatisch ist, weil die Vögel normalerweise selten Schmerzenslaute von sich geben. Außerdem wand sie sich am Boden und war sichtlich erschöpft. Wieder und wieder versuchte sie erfolglos, ein nach wie vor in ihrem Körper steckendes Ei herauszupressen. Es schien für sie sehr unangenehm zu sein, das Ei in sich zu spüren. Allem Anschein nach verursachte es Schmerzen, was nicht dem Normalfall entspricht. Dabei konnte sie sich nicht auf den Beinen halten, was ich anfangs der Erschöpfung zuschrieb.
Wenige Minuten später wurde sie von einem Tierarzt untersucht, der mir erklärte, das Ei läge noch zu weit innerhalb des Körpers und sei nicht bereit für die Ablage. Damit Cordelia es dennoch aus eigener Kraft würde legen können, gab der Arzt eine große Menge Gleitmittel in die Kloake. Weshalb der Vogel offenkundig Schmerzen hatte und das Ei loswerden wollte, konnte mir der Arzt nicht genau erklären, er konnte lediglich Vermutungen anstellen. Sehr wahrscheinlich hatte ein Sturz zu einer inneren Quetschung geführt. Das Ei würde möglicherweise auf diese Verletzung drücken und somit Schmerzen verursachen, erklärte der Arzt. Ihre Beine konnte sie kaum bewegen, es waren schwere Lähmungen festzustellen. Mein Tierarzt sagte, falls Cordelia die Nacht überleben würde, solle ich am nächsten Morgen zunächst Gleitmittel in die Kloake träufeln und dann vorsichtig versuchen, das Ei heraus zu massieren. Sie erhielt außerdem zur Sicherheit einen Medikamentenmix, der die Heilung verletzter Nerven unterstützen sollte. Ein Schmerzmittel wurde ihr ebenfalls verabreicht.
17. April 2005
Am nächsten Morgen um 6:00 Uhr lebte sie noch, das Ei hatte Cordelia jedoch nicht gelegt. Ihr linker Fuß sowie das gesamte Bein waren nach wie vor schlaff gelähmt und hingen nutzlos am Körper. Meine Vogeldame schien noch immer starke Schmerzen zu haben, und das trotz der Medikamente.
Ich wollte Cordelia erneut zum Tierarzt bringen, dessen Praxis allerdings erst um 9:00 Uhr öffnete. Bis dahin verschlechterte sich ihr Zustand und schließlich war das rechte Bein ebenfalls schlaff gelähmt. In beiden Füßen fehlte der Greifreflex und Cordelia schien zudem kein Gefühl in den Beinen und Füßen zu haben, denn sie reagierte nicht, als ich ihr vorsichtig in die Zehen und Ständer kniff. Beide Füße waren zudem sehr kalt.
Nun war gewiss, dass der Vogel eine massive Nervenquetschung erlitten hatte, und das nach wie vor in ihr steckende Ei verschlimmerte die Situation. Deshalb setzte der Tierarzt nun alles daran, das Ei aus dem Legedarm zu massieren – leider nach wie vor ohne Erfolg. Außerdem wurde Cordelia mit einem hoch dosierten Vitamin-B-Komplex behandelt, um der Nervenschädigung entgegenzuwirken. Sie erhielt eine Injektion und ich sollte sie in den kommenden Tagen weiterhin oral mit dem Medikament versorgen. Zum Glück waren alle sonstigen motorischen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt. Cordelia konnte den Kopf bewegen, hatte einen normalen Pupillenreflex und war auch dazu in der Lage, Kot abzusetzen. Die Flügel waren voll beweglich. Somit konnten wir eine zusätzliche Kopfverletzung ausschließen. Es war „nur“ die untere Wirbelsäule beziehungsweise der dort entlang laufende Nervenstrang verletzt.
Wieder zu Hause angekommen, legte ich Cordelia auf ein weiches Tuch und stellte einen Futter- und Wassernapf in die Reichweite ihres Schnabels. Sie fraß nichts und nahm auch von ihrem Partner keine Nahrung an. Allerdings trank sie sehr viel. Das Ei war in der Zwischenzeit tiefer gerutscht, aber Cordelia presste nicht mehr. Ich war mir nicht sicher, ob sie aufgrund der massiven Erschöpfung nicht mehr presste oder ob auch die Muskelgruppe, die beim Legen von Eiern zum Einsatz kommt, ebenfalls von der Lähmung betroffen war.
Gegen 11:00 Uhr verfärbte sich ihr Oberschnabel blau, was auf ein schweres Herz-Kreislauf-Problem schließen ließ: Cordelias Sauerstoffsättigung war zu niedrig. Sehr wahrscheinlich war dies eine direkte Folge der allgemeinen Erschöpfung. Nach wie vor nahm sie selbst keine Nahrung auf, wurde aber ab dem späten Nachmittag von ihrem Partner gefüttert und nahm den Körnerbrei zum Glück an. Ich gönnte ihr Ruhe und wärmte sie mit einem Infrarot-Dunkelstrahler, denn sie fror offensichtlich, was man an ihrem Zittern und dem stark aufgeplusterten Gefieder erkennen konnte. Die Sorge war groß, dass sie die kommende Nacht nicht überleben würde.
Das folgende Video zeigt Cordelia morgens nach dem Tierarztbesuch:
18. April 2005
Am Morgen dieses Tages lag Cordelia nach wie vor schwach und mit gelähmten Beinen auf dem Tuch, aber sie hatte wie durch ein Wunder über Nacht das Ei aus eigener Kraft gelegt. Bevor ich zur Arbeit ging, legte ich sie an ihren Lieblingsplatz (ein Stück Kork im Vogelzimmer) und stellte wie am Vortag Futter sowie Wasser in Schnabelreichweite. Leider konnte ich mir nicht freinehmen und ich hoffte, sie würde sich ausruhen und von ihrem Partner umsorgt werden.
Ich verabreichte ihr außerdem wie vom Arzt verordnet den Vitamin-B-Komplex, ein Herz-Kreislauf-Präparat und ein Schmerzmittel. Denn der Tierarzt ging davon aus, dass sie mit Sicherheit unter heftigen Schmerzen leiden würde und wir ihr diese nehmen sollten, wenn wir auch sonst nicht viel tun könnten. Als ich am Abend nach Hause kam, lebte Cordelia noch und sie hatte sogar selbst gefressen. Das war die erste eigenständige Nahrungsaufnahme seit Tagen und ich wertete es als gutes Zeichen.
19. April 2005
Auch diesen Tag überstand sie gut und am Abend brachte ich sie erneut zum Tierarzt. Eine seiner Helferinnen war ausgebildete Tier-Physiotherapeutin. Sie untersuchte Cordelia und machte mir Mut. Sie meinte, dass mithilfe sanfter Krankengymnastik sowie einer intensiven Therapie mit dem Vitamin-B-Komplex die Beweglichkeit durchaus wiederhergestellt werden könnte. Leider stellte der Tierarzt fest, dass sich trotz aller Hormonbehandlungen erneut ein Ei in Cordelias Körper gebildet hatte. Es blieb zu hoffen, dass es nicht zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde. An eine Operation, bei der der Legedarm entfernt werden würde, war in diesem Moment nicht zu denken. Cordelias Zustand war dafür zu schlecht, sie hätte diesen Eingriff höchstwahrscheinlich nicht überlebt.
20. April 2005
Ich traute meinen Augen nicht, als ich am Morgen das Ei, mit dem ich erst am Abend dieses Tages gerechnet hatte, neben Cordelia fand. Sie hatte es in der Nacht ohne Probleme gelegt. Außerdem versuchte sie zu gehen, was ihr allerdings nicht so recht gelang, weil die Beine noch immer kaum beweglich waren und die Füße vollständige Lähmungen zeigten. Cordelia robbte mehr über den Boden, als dass sie ging. Aber dieses Training würde ihren Muskeln guttun. Irgendwie war es ihr Dank einer immensen Kraftanstrengung sogar gelungen, sich auf eine Schaukel im Schlafkäfig zu schleppen. Zwar lag sie mehr auf der Stange, als dass sie saß, aber sie konnte sich dort trotzdem irgendwie halten, was mir sehr imponierte.
Am Abend dieses Tages zeigte Cordelias beharrliches Training erste Erfolge. Sie konnte sich schon erheblich besser bewegen. Sicher trug auch der Vitamin-B-Komplex zur Genesung bei – und nicht zuletzt ihr Partner, der sich fürsorglich um sie kümmerte. Er fütterte sie, kraulte ihren Kopf und wich nicht von ihrer Seite. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte gelang es Cordelia an diesem Abend erstmals wieder, ihren Oberkörper ein wenig aufzurichten und auf eine Kletterkordel zu steigen, auf die sie sich bäuchlings legte.
21. April 2005
Zum ersten Mal seit Tagen putzte Cordelia am heutigen Abend ihr Gefieder. Sie konnte ihren Oberkörper inzwischen einigermaßen gut aufrichten und hatte den ganzen Tag über weiter ihre Beine trainiert. Außerdem habe ich mit ihr krankengymnastische Übungen durchgeführt, die bereits zu einer leichten Besserung der Situation geführt hatten. Die Beine wurden immer beweglicher und das Gefühl schien langsam zurückzukehren, denn Cordelia reagierte auf leichte Kniffe in die Zehen mit ungehaltenem Schimpfen.
Abends gelang es ihr außerdem endlich auch wieder, sich auf einen der Käfige, die im Vogelzimmer auf dem Fußboden standen, hochzuziehen. Es war rührend, wie ihr Partner Pollux ihr dabei durch aufgeregte Pfiffe „moralische Unterstützung“ zu geben schien. Als es ihr gelungen war, den Käfig zu erklimmen, schüttelte er sich, was darauf schließen lässt, dass große Anspannung von ihm abgefallen ist. Danach begann er, sie zu kraulen. Bis zu Pollux‘ Gefiederschütteln ist alles im folgenden Video zu sehen. Das Kraulen habe ich nicht mehr gefilmt, damit Cordelia dabei ihre Ruhe hatte.
Die Tage danach
In den nächsten Tagen kehrte ihre Beweglichkeit vollständig zurück. Bald konnte der Vogel wieder stehen und laufen. Dabei war in der Anfangsphase noch deutlich zu sehen, dass die Füße ein wenig nach innen rotiert waren. Doch das schwand von Tag zu Tag und das Sittichweibchen hatte schließlich wieder eine normale Fußstellung. Cordelia wurde damals fast drei Wochen lang mit dem hoch dosierten Vitamin-B-Komplex behandelt, das Schmerzmittel erhielt sie in den ersten vier Tagen nach dem Unfall. Danach wurde es abgesetzt, weil sie keine Anzeichen starker Schmerzen mehr zeigte. Zwei Wochen lang führte ich mit ihr krankengymnastische Übungen durch. Am Ende war sie wieder ganz die Alte, nach einem Monat rannte sie umher, als wäre der Unfall nie geschehen. Glücklicherweise legte sie keine weiteren Eier.
Abschließende Anmerkungen
Die meisten schwer kranken Vögel benötigen Ruhe. In meinem Vogelschwarm herrscht seit jeher zum Glück recht große Harmonie, so dass ich es riskieren konnte, Cordelia in ihrer gewohnten Umgebung im Schwarm zu belassen, während sie an der schweren Erkrankung litt. Kein anderer Vogel bedrängte sie oder wurde gar gewalttätig. Ihr Partner Pollux kümmerte sich um sie und versorgte sie mit Nahrung. Außerdem bot ihr das Vogelzimmer viele „Trainingsmöglichkeiten“, denn sie konnte dort klettern, ohne tief zu stürzen, weil das Zimmer behindertengerecht eingerichtet war. Die Gefahr, dass Cordelia auf einen der hohen Kletterbäume für die flugfähigen Vögel fliegen würde, bestand nicht, denn sie war bereits als flugunfähiger Vogel zu mir gekommen. Jahre zuvor hatte sie bei ihrem Vorbesitzer einen Flügelbruch erlitten, der nicht behandelt worden war. Aus den genannten Gründen war es also möglich, sie in ihrem gewohnten Umfeld zu belassen. In vielen Fällen sollten derart schwer erkrankte Vögel aber vom Schwarm separiert werden, um sich erholen zu können.