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Rafaela, adoptiert am 26. August ’19, † 23. Februar ’23
Als sie im späten Frühling des Jahres 2019 zur Welt kam, war diese Katharinasittichdame kerngesund und wuchs bei ihrem Züchter zu einem stattlichen Vogel heran. Muskulös, kräftig gebaut und sehr agil war die cremefarbene junge Vogeldame. Als sie alt genug war, von ihren Eltern getrennt und abgegeben zu werden, fanden sich schnell Interessenten für sie. Ihr Leben hätte fantastisch werden können, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Sie war sehr erwünscht und sollte in eine ausgesprochen gute Vogelhaltung mit viel Erfahrung kommen, doch dann ereignete sich ein tragisches Unglück. Als sie für diesen Umzug beim Züchter eingefangen wurde, reichte ein Sekundenbruchteil der Unaufmerksamkeit. Es gelang dem Vogelweibchen, sich aus den sie greifenden Händen zu entwinden und mit vollem Tempo fliegend zu fliehen. Dabei prallte sie mit dem Kopf voran gegen ein hartes Hindernis und verletzte sich bei diesem Kollisionsunfall schwer.
Sie wirkte benommen und wurde schnellstmöglich zu einer vogelkundigen Tierärztin gebracht. Ihre Gehirnerschütterung war sicher nicht angenehm, aber sie war nicht ihr größtes Problem. Die Tierärztin stellte fest, dass es durch den sehr harten Aufprall Einblutungen in beide Augen gegeben hatte. Die Netzhäute hatten bereits damit angefangen, sich abzulösen. Geschieht dies, geht die Sehfähigkeit unwiederbringlich verloren. Es gibt keine Möglichkeit, diese Verletzungen in den Augen wieder zu heilen. Ein ebenfalls zurate gezogener Tier-Augenarzt bestätigte die Diagnose. Rafaela würde also zeitlebens vollständig blind sein und es wurde die Frage laut, ob ein dermaßen schwer eingeschränkter Vogel überhaupt lebensfähig sei.
Ihre Halter standen vor einer schwierigen Entscheidung. Sollten sie auf den Hinweis des Arztes hören und den Vogel einschläfern lassen? Oder sollten sie ihm eine Chance geben? Und wenn ja, wie? Sie wandten sich an das Katharinasittichnetzwerk und ließen sich beraten, was eine wirklich gute Entscheidung war. So kam ich innerhalb kürzester Zeit mit den verzweifelten Menschen in Kontakt, die sich sicher waren, einem blinden Vogel keine idealen Bedingungen in ihrer Außenvoliere bieten zu können. Deshalb waren sie auf der Suche nach einem behindertengerechten Zuhause mit Innenhaltung, und in meinem Vogelzimmer war gerade ein Platz frei. Also sagte ich zu, sie aufzunehmen, zumal ich viel Erfahrung mit der Haltung blinder Vögel habe.
Weil die erst wenige Tage zuvor erblindete Vogeldame schnellstmöglich umziehen sollte, um sich gleich in ihrem endgültigen Zuhause eingewöhnen zu können, anstatt erst noch die Umgebung bei ihren vorherigen Haltern kennenzulernen, handelten wir sehr schnell. Als ich morgens am 26. August 2019 meinen Computer einschaltete, ahnte ich noch nichts von Rafaelas Existenz. Innerhalb der folgenden drei Stunden überschlugen sich dann die Ereignisse. Am Nachmittag stieg der Vogel im Handgepäck des früheren Halters in einen Zug ein. Und um kurz nach 20 Uhr nahm ich die junge Vogeldame am Essener Hauptbahnhof entgegen. Zwischen dem Lesen der Nachricht „ein blinder Katharinasittich braucht dringend ein Zuhause“ und Rafaelas Ankunft bei mir zu Hause lagen nicht einmal 14 Stunden, und das, obwohl sie erst einmal aus Norddeutschland anreisen musste!
Schon am nächsten Morgen aß sie mit großem Appetit. Weil sie in den vorangegangenen Tagen mehrmals sehr gründlich von Tierärzten durchgecheckt worden war und abgesehen von ihrer bereits abgeklungenen Gehirnerschütterung kerngesund war, durfte sie bald in mein Vogelzimmer einziehen. Sehr zu meinem Entsetzen versuchte sie anfangs noch zu fliegen. Ich konnte nur hoffen, dass sie bald damit aufhören würde, damit sie nicht wieder verunglücken würde. Eine Schnabelprellung und etwa fünf leichte Bruchlandungen später stellte sie ihre Flugversuche dann zum Glück ein und bewegte sich nur noch gehend und kletternd fort. Es dauerte nur etwa zwei Wochen, bis sie durch vorsichtiges Ausprobieren eine „mentale Landkarte“ des Vogelzimmers in ihrem Gehirn erstellt hatte. Danach war es für sie kein Problem mehr, zielsicher umherzulaufen. Sie fand alles vom Futter bis zu ihren Lieblingsplätzen. Mit der Zeit lernte sie es sogar, den komplizierten Kletterparcours zum Schlafkäfig zu meistern. Es hat mich sehr beeindruckt, wie sie es geschafft hat, ohne etwas sehen zu können.
Genauso schnell, wie sie sich im Vogelzimmer zurechtfand, knüpfte sie Freundschaften mit meinen anderen Vögeln. Ihre engsten Freunde wurden Smoky und die ebenfalls blinde Marisol. Mit ihnen kuschelte sie sehr oft, es wurde sich gegenseitig gefüttert und am Tage wichen die drei Katharinasittiche einander nur selten von der Seite. Nachts wurde zu dritt in einer Schlafhöhle gekuschelt.
Leider starb Marisol einige Monate nach Rafaelas Einzug. Dadurch wurde aus dem innigen Trio ein Duo. Fortan war Smoky ständig an ihrer Seite und die beiden waren ein wundervolles Paar. Bis bedauerlicherweise auch Smoky aus dem Leben schied. Er starb im Oktober 2020 an Altersschwäche. Für Rafaela war das ein Schock, weil sie plötzlich keinen Kuschelpartner mehr hatte. Doch sie blieb zum Glück nicht lang allein, weil sie innerhalb kürzester Zeit Miguels Herz eroberte. Mit ihm war sie jahrelang sehr glücklich und in dieser ebenso innigen wie turbulenten Beziehung hatte sie „die Hosen an“.
Anfang 2023 wollte sie eine Familie gründen, was für sie fatal war. Leider erlitt Rafaela eine schwere Legenot und musste notoperiert werden. Die Operation an sich ist zwar gut verlaufen, aber leider erholte sich Rafaela nicht mehr und sie musste zwei Tage später eingeschläfert werden. Es war für uns alle ein schwerer Verlust, vor allem Miguel war am Boden zerstört, als seine Partnerin nicht mehr an seiner Seite war. Die resolute, liebe Vogeldame fehlt uns sehr!