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Marisol, adoptiert am 6. November ’10, † 6. Januar ’20
Ihr Start ins Leben in meiner Obhut ist bedauerlicherweise nicht gerade optimal verlaufen. Doch zum Glück hat mir Marisol verziehen, was sie am Anfang erleben musste. Als ich sie an einem Samstag Anfang November 2010 bei einem Züchter abgeholt habe, ist mir schon vor Ort ihre extrem verstopfte Nase und das geschwollene Gesicht aufgefallen. Zu Hause habe ich mir das Ganze genauer angeschaut und voller Entsetzen festgestellt, dass sich im linken Teil der Nase und in den Nebenhöhlen große Mengen Eiter befunden haben; Marisol hatte eine schwere Sinusitis. Nach dem Transport hat für Marisol also erst einmal eine Notversorgung der Nase auf dem Plan gestanden, die mit Sicherheit nicht angenehm für sie gewesen ist. Das Ausräumen des Eiters und das Spülen der Nase sind eine schmerzhafte Prozedur, weshalb ich der bemitleidenswerten Vogeldame erst einmal ein Schmerzmittel eingegeben habe, das ich glücklicherweise noch im Haus hatte. Denn kurz zuvor hatte ein anderes Katharinasittichweibchen ähnliche Nasenprobleme erlitten und musste mit einem Schmerzmittel behandelt werden. Für Marisol war es also kein angenehmer Einstand, aber sie war sehr tapfer.
Am darauffolgenden Montag habe ich Marisol meinem vogelkundigen Tierarzt zum Eingangscheck vorgestellt und dieser hat die Nase gründlich untersucht. Es hat sich herausgestellt, dass sich Fäkalbakterien eingenistet hatten und leider auch Schimmelpilze der Gattung Mucor. Damals ahnte ich noch nicht, wie langwierig die Behandlung werden würde. Wochenlang habe ich Marisols entzündete Nase mehrmals täglich mit einer Desinfektionslösung spülen müssen. Meine kleine Patientin musste außerdem mehrere Medikamente einnehmen. Ich vermutete schon, sie würde mich zeitlebens hassen, zumal sie während dieser Zeit in Quarantäne sicher auch unter enormer Langeweile gelitten haben muss. In dieser Zeit hat sie mir sehr, sehr leidgetan. Beim Züchter ist sie noch von vielen Artgenossen umgebene gewesen, dann plötzlich hat sie allein gesessen und hat diese Schmerzen sowie die unangenehme Behandlung über sich ergehen lassen müssen. Aber all das geschah zu ihrem Wohle und nach einiger Zeit gehörte diese unschöne Episode glücklicherweise der Vergangenheit an.
Glücklicherweise hat die Therapie sehr gut angeschlagen und Marisol durfte Ende November 2010 endlich ins Vogelzimmer einziehen. Erst einmal hat die zu diesem Zeitpunkt etwa ein halbes Jahr alte Vogeldame das Fliegen wieder üben müssen. Denn durch die lange Quarantäne ohne Freiflug ist sie ein wenig untrainiert gewesen. Hinzu kommt, dass sie zuvor beim Züchter ebenfalls in einem sehr beengten Käfig untergebracht worden war. Deshalb verwunderte es mich nicht, dass sie kaum fliegen konnte.
Doch sie hat dieses Problem sehr schnell gemeistert und sich innerhalb kurzer Zeit zu einer gewandten Fliegerin entwickelt. Ihre neuen Gefährten waren ein wenig irritiert, als sie noch in der Trainingsphase war. Hin und wieder rempelte sie die anderen Katharinasittiche beim Landen, was diese ihr leider ein wenig übel nahmen.
Entsprechend schwierig war es für Marisol am Anfang, sich mit den anderen Vögeln anzufreunden. Sie wurde oft verjagt, obwohl sie nach der langen Quarantänezeit geradezu fieberhaft nach Anschluss suchte. Den anderen Vögeln gingen ihre zugegebenermaßen etwas penetranten Annäherungsversuche bedeutend zu schnell und das zeigten sie ihr, indem sie sie in ihre Schranken wiesen.
Marisol dachte nicht ans Aufgeben und blieb hartnäckig. Mit der Zeit besserte sich die Lage für sie merklich. Es dauerte zwar noch ein paar Wochen, doch dann hatten die anderen Katharinasittiche sie letztlich voll und ganz als Mitglied des kleinen Schwarms akzeptiert. Darüber schien Marisol überglücklich zu sein, denn sie blühte merklich auf. Vor allem mit Pinto knüpfte sie dann bald zarte Bande, sehr zu deren Freude, denn die ältere grüne Vogeldame hatte Marisol schon während diese noch in Quarantäne verweilte oft durch die Plexiglas-Bodenluke des Vogelzimmers beobachtet …
Ihr engster Freund und fester Partner wurde dann aber nach einiger Zeit das Männchen Smoky. Nach anfänglichen kleinen Streitigkeiten haben sich die beiden Vögel zu einem Paar zusammengefunden und sie gehen seitdem sehr freundlich und zärtlich miteinander um. Zwischenzeitlich hatte Marisol jedoch einen anderen Partner. Der alte, blinde Katharinasittich Enrique ihr Herz und mit ihm war sie bis zu seinem Tod im März 2015 sehr glücklich. Danach kehrte sie zu Smoky zurück, der ihr die „Untreue“ zum Glück verziehen konnte. Wenn Smoky gerade nicht hinschaute, kuschelte sie übrigens auch gern mit dem hübschen jungen Juan, als dieser noch Single war. Und natürlich verstand sich Marisol auch mit den Wellensittichen und Diamanttäubchen gut, denn sie war ein sehr friedliebender Vogel. Weil sie in den darauffolgenden Jahren hinsichtlich ihrer Gesundheit nicht gerade vom Glück verfolgt war, kam es bedauerlicherweise mitunter vor, dass sie die anderen Vögel versehentlich rempelte, ohne es zu wollen. Das hatte mehrere Gründe.
Als Marisol schon etwas mehr als ein Jahr bei mir war, hatte sie einen Unfall, bei dem sie sich an der Schulter verletzte und dadurch leider ihre Flugfähigkeit für immer verlor. Der Auslöser des Unfalls war für mich ein sehr großes Ärgernis. Jemand hatte Ende Januar nachts noch ein paar Silvesterböller abgefeuert, was bei meinen Vögeln zu eine Panikattacke geführt hatte. Wildes Geflatter, verletzte Nasen und leider bei Marisol eine gebrochene Schulter waren die bittere Bilanz. Schade, dass die Menschen so rücksichtslos sind und Tiere derart erschrecken, dass sie sich schwer verletzen. Weil das Schicksal es mit Marisol wirklich nicht gut gemeint hat, hat es noch einen draufgesetzt. Anfang 2015 erlitt sie eine Augenentzündung, die so gravierend war, dass sie auf ihrem rechten Auge für immer ihre Sehfähigkeit verloren hat. Mit der Zeit bildete sich erneut eine Entzündung in dem Auge und es musste im März 2016 operativ entfernt werden. Glücklicherweise überstand sie die Operation problemlos.
In den folgenden Monaten arrangierte sie sich mit ihrem Schicksal, fortan einäugig zu sein. Doch dann trübte sich zu meinem Entsetzen auch das verbliebene linke Auge ein. Das dürfte laut unserem Vogel-Tierarzt eine Spätfolge der schweren Infektionen gewesen sein, die Marisol im Jahr 2010 erlitten hatte. Während des Sommers 2016 verlor Marisol deshalb bedauerlicherweise vollständig ihr Augenlicht auf dem noch verbliebenen Auge. Sie war danach noch stärker gehandicapt. Doch trotz allem blieb sie lebensfroh und kam im Vogelzimmer bestens zurecht. Sogar dass wir mehrmals umziehen mussten und sie sich als blinder Vogel neu einzugewöhnen hatte, hat sie gemeistert. Indem sie die Umgebung vorsichtig abschritt, erstellte sie sich eine „geistige Landkarte“ und fand deshalb zielsicher alles vom Futter bis zum Kletterbaum. Damit hat sie mich zutiefst beeindruckt.
Außerdem gab es ja noch das „Fingertaxi“. Früher war sie nie besonders zutraulich, was angesichts unseres „holprigen“ Starts nicht verwundert. Doch nach ihrer Erblindung verließ sie sich gern darauf, auf meinen Finger zu klettern und an ihre Lieblingsplätze getragen zu werden. Hierfür habe ich mit ihr akustische Kommandos eingeübt. Sobald ich „Marisol, auf“ sagte, hob sie Füßchen und kletterte bereitwillig auf meinen Finger. Morgens half ich ihr beispielsweise so immer aus dem Schlafkäfig. Sie hätte das zwar auch allein geschafft. Aber ich hielt es für eine gute Idee, ihr Hilfe anzubieten und dadurch unsere Bindung zu pflegen. Apropos Bindung: Mit Smoky war sie bis zu ihrem Tod liiert, außerdem war in ihren letzten Lebensmonaten die blinde Rafaela ihre neue Kuschelfreundin.
Anfang Januar 2020 bemerkte ich zusehends, dass Marisol in die Jahre gekommen war. Zwar war sie für einen Katharinasittich nicht übermäßig alt. Aber bedenkt man, was sie in ihrem Leben alles durchgemacht hatte, war sie doch überdurchschnittlich stark gealtert. Und schon vorher so oft „totgesagt“ worden. Mein Gefühl sagte mir, dass sie bald zu altersschwach sein würde. Am Abend des 5. Januar 2020 wünschte ich ihr wie immer eine gute Nacht und sagte ihr, dass es in Ordnung sei, wenn sie gehen wolle. Ich würde sie zwar schrecklich vermissen, aber sie dürfe trotzdem loslassen, wenn sie zu altersschwach geworden sei. Außerdem sagte ich ihr, dass ich sie immer lieben würde – vielleicht hat sie mich ja verstanden. Als hätte ich es geahnt, starb sie friedlich in den frühen Morgenstunden des 6. Januar 2020 in der Schlafbox, die sie sich mit ihren Freunden Smoky und Rafaela geteilt hatte. In meinem Herzen wird immer ein Platz für den kleinen Sonnenschein sein.
Wie die meisten meiner Katharinasittiche erhielt Marisol einen spanischen Namen. Dies ist eine Anspielung darauf, dass diese Vogelart aus Mittel- und Südamerika kommt, und somit aus einer Region, in der Spanisch gesprochen wird.