Mel
Bereits kurz nachdem sie aus ihrem Ei geschlüpft war, ereilte diese Vogeldame ein trauriges Schicksal: Sie steckte sich – vermutlich bei ihren Eltern – an und erkrankte an einer Virusinfektion, die nie mehr heilbar sein würde. Viele Jungvögel überstehen dies nicht, doch sie überlebte und wuchs zu einem ansonsten gesunden Jungvogel heran. Nur leider war ihr Gefieder sehr lückenhaft, was für Infektionen mit Polyomaviren, die die Französische Mauser hervorrufen, oder mit Circoviren, die eine Erkrankung namens PBFD verursachen, typisch ist. Etliche ihrer über 100 Schwarmgefährten, mit denen sie in einer Küche lebte, zeigten ähnliche Befiederungsstörungen. Zudem war ihrer Halterin die Situation über den Kopf gewachsen. Sie wusste, dass sie nicht mehr dazu in der Lage war, dermaßen viele Wellensittiche so zu betreuen, wie sie es verdient hätten. Deshalb holte sie sich Hilfe bei Tierschützer*innen, um auf dieser Weise ihrer Verantwortung doch gerecht zu werden.
Der damals noch existierende Verein der Wellensittich-Freunde Deutschland e. V. (VWFD) wurde damit betraut, die Vögel jener Frau in Obhut zu nehmen und zu vermitteln. Für den Verein war das alles andere als einfach. Von jetzt auf gleich für weit über 100 Tiere neue Halter*innen zu finden, ist an sich schon nicht leicht. Noch dazu mussten die Vögel bis zur Vermittlung irgendwo unterkommen – und leider waren wie bereits erläutert etliche durch die Befiederungsstörungen flugunfähig. Gehandicapte Wellensittiche zu vermitteln, ist zwar kein Ding der Unmöglichkeit. Nur war es in diesem Fall bedauerlicherweise obendrein so, dass im Schwarm eine ansteckende und nicht heilbare Erkrankung vorhanden war. Damit stand der VWFD vor einer wirklich komplizierten Aufgabe.
Schon seit vielen Jahren halte ich fast ausschließlich gehandicapte und/oder chronisch kranke Vögel, darunter auch Tiere, die entweder an PBFD oder der Französischen Mauser erkrankt waren und sind. Also kontaktierte ich den VWFD und bot meine Hilfe an. Für sechs Vögel sollte es bei mir einen vorübergehenden Pflegeplatz geben – mit der Option, ein bis zwei besonders schwer gehandicapte Wellensittiche dauerhaft selbst zu behalten. Wir einigten uns darauf, dass die restlichen vier oder fünf Vögel vermittelt werden sollten. Am 13. August 2019 trafen meine sechs Schützlinge bei mir ein, nachdem sie kurz zuvor von einem vogelkundigen Tierarzt gründlich untersucht worden waren – ebenso wie all ihre Schwarmgefährten in vielen anderen Teilen Nordrhein-Westfalens.
Bedauerlicherweise hatte sich bei den Untersuchungen gezeigt, dass in dem Vogelschwarm Trichomonaden um sich griffen. Gegen diese inneren Parasiten mussten demnach alle Vögel behandelt werden, also auch meine sechs Pflegetiere. Hinzu kam, dass sie unter einem Befall mit Räudemilben litten. Dagegen gingen wir ebenfalls mit Medikamenten vor.
Damit meine eigenen Sittiche sich nicht mit den inneren und äußeren Parasiten infizieren würden, mussten die sechs Pflegevögel erst einmal einige Wochen in Quarantäne bleiben. So hatte ich die Gelegenheit, sie besser kennenzulernen und die Situation einzuschätzen. Innerhalb weniger Tage wurde mir klar, dass der am schwersten gehandicapte Vogel das junge Männchen Barry war. Es war offensichtlich, dass er kaum eine Chance auf eine Vermittlung haben würde, weshalb ich den VWFD darüber informierte, dass ich ihn adoptieren wollte. Der kleine Vogelmann hatte allerdings eine Freundin: die schöne Mel, um die es in diesem Beitrag geht. Wir wollten die beiden jungen Liebenden nicht trennen, weshalb das zu diesem Zeitpunkt erst wenige Monate alte Weibchen den zweiten der beiden festen Plätze in meinem Vogelzimmer in Aussicht gestellt bekam.
Anfangs hatte Mel keine Schwung- und Schwanzfedern. Wie ihr Partner Barry konnte sie nicht fliegen. Sie nahm die Klettermöglichkeiten im Vogelzimmer, in das sie nach der Quarantäne gemeinsam mit ihrem Mann und den vier weiteren Pflegevögeln einziehen durfte, sehr gern an. Das große Kletternetz hatte es ihr besonders angetan. Aber auch auf der Weidenkugel saß sie damals gern, weil sich Barry dort mit Vorliebe aufgehalten hat. Die beiden Vögel kuschelten ständig und kraulten einander das Köpfchen. Es war so schön, ihnen dabei zuzusehen. Sie blieben sogar dann noch ein Paar, als Mel längst mehr Federn gewachsen waren und sie ein ganz klein wenig flattern konnte. Immer wieder kehrte sie nach ihren Ausflügen durchs Vogelzimmer zu ihrem geliebten Barry zurück. Bis zu dem traurigen Tag Anfang Mai 2020, als er viel zu jung aus dem Leben schied. Man konnte spüren, wie sehr Mel litt, als sie sich von den sterblichen Überresten ihres Gefährten verabschiedete. Sie und Barry waren ein echtes Traumpaar gewesen.
Im Vogelschwarm hatte Mel inzwischen aber zum Glück längst viele weitere Freunde gefunden. Außerdem waren die vier anderen Pflegevögel nicht vermittelbar gewesen, über Monate hatte sich niemand für sie interessiert. Deshalb waren sie im Spätwinter 2020 offiziell auch Schwarmmitglieder geworden. Vor allem mit Sue, die ebenfalls aus jener Rettungsaktion im Sommer 2019 stammte, verstand sich Mel sehr gut. Oft saß sie außerdem auf dem Fenster-Kletterplatz neben Alana und schaute mit ihr gemeinsam nach draußen, was leider seit Ostern 2023 nicht mehr möglich war, weil ihre Freundin starb. Sue schied ein Jahr später während der Ostertage aus dem Leben. Allein ist Mel trotzdem nicht, im Schwarm hat sie zum Glück Gesellschaft. Momentan ist die flugunfähige Welli-Dame Okelani ihre beste Freundin.
Insgesamt ist Mel sehr schüchtern und hält sich meist im Hintergrund. Was aber nicht heißt, dass sie nicht neugierig ist. Dass im Frühling 2020 Ringeltauben in einem Baum direkt vor dem Fenster gebrütet haben, fand Mel besonders spannend. Sie hat sich regelrecht die Nase an der Fensterscheibe platt gedrückt, damit ihr ja nichts entging. Den anderen Vögeln gegenüber ist Mel immer freundlich und sanftmütig. Konflikten geht sie grundsätzlich aus dem Weg. Ich habe sie noch nie mit irgendwem streiten sehen. Mit den anderen Männchen des Schwarms flirtet sie zwar hier und da, aber seit Barrys Tod hat sie keinen Wellensittichmann mehr nahe an sich herangelassen.
Ihr Farbschlag nennt sich Rainbow. Den Namen Mel habe ich ihr gegeben. Die Geschichte dahinter ist ein wenig verrückt. Anfangs war Mel eng mit Kara befreundet; die wiederum hatte ihren Namen sehr schnell bekommen und ich fand es so süß, wie die beiden miteinander umgingen. Weil Karamell auch süß ist und ihre Freundin wie gesagt Kara hieß, bekam Mel ihren Namen. Denn im Duo waren die zuckersüßen Damen sozusagen Kara-Mel. 🙂
Hintergrundbild für Ihr Smartphone
Von Mel gibt es ein Wallpaper für Ihr Smartphone, siehe Bildersammlung.